Hansjörg Müller / 07.02.2015 / 10:26 / 4 / Seite ausdrucken

Luthers letzter Streiter

Am Sonntag, dem 18. Januar, stand Olaf Latzel auf der Kanzel der Bremer St.-Martini-Kirche und konnte nicht anders: Eine regelrechte Philippika liess der 47-jährige lutherische Pfarrer auf das versammelte Kirchenvolk niedergehen, von «Hass-Tiraden», «geistiger Brandstiftung» und «Volksverhetzung» war hernach die Rede; ein Reporter der «Bild»-Zeitung hiess den Geistlichen «Pöbel-Pastor».

Auf dem Internet-Portal Youtube hat Latzel seinen halbstündigen Vortrag mittlerweile aller Welt zugänglich gemacht. Es ist eine furiose Rede, wiewohl nicht frei von primitiven Untertönen: Auf Anlässen wie dem islamischen «Zuckerfest und all diesem Blödsinn» habe ein Christ nichts verloren, predigt Latzel. Ferner wettert er wider katholischen «Reliquiendreck» und die Papst-Verehrung, die «ganz grosser Mist» sei. Talismane, Glückspfennige, Voodoo-Schlüsselanhänger und Christophorus-Plaketten, all das habe ein Christenmensch aus seinem Leben zu verbannen, ebenso Darstellungen eines «fetten, alten Herrn», womit Latzel, selbst ein Mann mit der Statur eines Bodybuilders, Buddha meint.

Bei all dem beruft sich der Pfarrer auf das erste Gebot («Du sollst keine anderen Götter neben mir haben») sowie auf Gideon, einen alttestamentarischen Richter: «Reinigung von fremden Göttern» habe dieser betrieben, etwa, indem er einen Baal-Altar niedergerissen habe. «Hacker» bedeute der Name Gideon. Dies sei es, was Christen tun müssten: «Umhauen, verbrennen, hacken, Schnitte ziehen», deklamierte Latzel ins Kirchenschiff hinein, in einem Tonfall, dass man an einen Roman Thomas Bernhards denken musste, in dem ein Schauspieler «Wald, Hochwald, Holzfällen» deklamiert.

Latzels Kollegen taten, was Theologen gerne tun, wenn Bibel-Exegese nicht nach ihrem Geschmack ausfällt: Sie sagten, er habe Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. Freilich fragt man sich, ob manch lutherischer Pfarrer sich nicht auch deswegen so düpiert fühlt, weil Latzel ihm eine Glaubensgewissheit vorgeführt hat, an der es vielen Geistlichen fehlt: Das Christentum lutherischer Prägung, so kann man seine Rede zusammenfassen, ist die richtige Weltanschauung, alle anderen Religionen irren. Warum sollte er dies als Lutheraner nicht sagen?

Man muss Latzel nicht beipflichten, doch Angst haben muss man vor diesem Gottesmann auch nicht. Zwar behauptet er zeitgeistwidrig, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, doch heisst dies für ihn nicht, «dass wir den Moslems nicht in Liebe und Nähe begegnen müssen.» Wenn Muslime verfolgt würden, müssten Christen sich vor sie stellen. Olaf Latzel und die pluralistische Gesellschaft, sie sollten einander ertragen können. Wem dies schwerfällt, mag sich damit trösten, dass sich Luthers letzter Streiter unter seinen Amtsbrüdern ohnehin auf verlorenem Posten befinden dürfte.

Erschienen in der Basler Zeitung hier.


Siehe auch Gideon Böss: Kein Hassprediger, ein Don Quijote

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Leserpost

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Helmut Driesel / 09.02.2015

Aber bis zu seinem bedeutendem Vorbild Ludwig Münchmeyer hat er noch ziemlich viel Luft. Also doch irgendwie positiv. Es bewährt sich hier wohltuend, dass die Kirchen nicht mehr so staatstragend angesehen werden wie einst. Aber würden sie jeder Versuchung diesbezüglich widerstehen, gäbe es da eine reale konservative Macht, an die sie sich lehnen, an der sie ranken könnten?

Sebastiaan Biehl / 09.02.2015

Gut, dass ab und zu ein evangelischer Pastor noch den Mut hat, die Wahrheit zu sagen. Die meisten Pfarrer relativieren die Bibel so sehr, dass es nichts mehr mit der wirklichen Botschaft zu tun hat. Alles was übrig bleibt ist der barmherzige Samariter und die Botschaft: der Fremde tut Gutes. Möge es mehr Olaf Latzels in Deutschland geben.

Veronika Kottisch / 07.02.2015

Als evangelischer Pastor, der seinen Luther ernst nimmt, kann er eigentlich nichts anderes sagen. Daß er seinen Glauben für den einzig richtigen hält, erwarte ich von ihm. Muslime oder Katholiken vertreten, was ihren Glauben angeht, den gleichen Standpunkt. Das wird toleriert. Warum also nicht auch bei einem Lutheraner ? Was den Ton angeht, den er angeschlagen hat: er hat sich entschuldigt, er hätte Niemanden kränken wollen. Glaub ich ihm.

Isabel Kocsis / 07.02.2015

Wenn ich richtig gelesen habe, waren 300 Zuhörer bei Latzels Predigt anwesend. Davon können die weichgespülten Amtskollegen nur träumen. Also steht Latzel doch nicht völlig auf verlorenem Posten?

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