Markus Vahlefeld / 08.10.2015 / 14:02 / 6 / Seite ausdrucken

Luther reloaded - Hier steht sie und kann auch anders

Prediger glauben an die gute Sache. Wenn es um Gott und die Moral geht, sind Fakten herzlich egal. Dass Offenbarung und Weltenende in der christlichen Terminologie in eins verschmelzen, ist bereits ein Hinweis darauf, wie nah Erkenntnis und Wahnsinn liegen.

Nun haben wir Deutschen also nach dem Bundespräsidenten, der im vorangegangenen Leben Pastor war, eine Physikerin, die in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin zur Predigerin mutiert. Ihr freundliches Gesicht, ihre Käßmannsche Frömmigkeit, ihre die Vulva nachbildende Handhaltung und ihre bar jeder Fakten wie ein Mantra vorgetragene Überzeugung, dass geschlossene Grenzen keine Probleme lösen, scheinen dem Politikverständnis der meisten Deutschen zu entsprechen, zumindest wenn man den Meldungen der Medien Glauben schenken darf.

„Die Kanzlerin der Herzen“ heißt es da (FAZ). Oder „Merkels ehrlichste Regierungserklärung“ (SPON). Und im Bieterwettstreit um die wärmste und schönste Überschrift titelt die Süddeutsche „Ich habe aus meinem Herzen gesprochen“. Ja herrjeh, hat man je Weltpolitik menschlicher, kleingeistiger und frömmelnder dargestellt gesehen? Mit der Ablösung des männlichen Führers durch eine weibliche Priesterin muss die Wiedergutwerdung der Deutschen wohl als endgültig abgeschlossen gelten. Dass der Großteil unserer europäischen Nachbarn da nicht mitziehen will, kann nur daran liegen, dass ihr Glaube nicht fest und ihr Herz bereits erkaltet ist. Schlimm, schlimm.

Der Auftritt der Bundeskanzlerin bei Anne Will war selbstverständlich gut orchestriert. Am Tag der deutschen Einheit hatte sich Angela Merkel mit ihrer Erweckungspolitik noch nicht in die volle Öffentlichkeit gewagt. Stattdessen gab sie dem Deutschlandfunk, einem halbstaatlichen Sender, der knapp oberhalb der Wahrnehmungsschwelle funkt, ein Interview, das man nur mit gutem Willen als wirr bezeichnen kann. In ihm versucht sie mit Heideggerschem Geraune und religiösem Pathos ihrer Politik einen menschlich-philosophischen Anstrich zu verpassen. Das geht dann so: Sie, also Frau Merkel, halte es mit Kardinal Marx, „der gesagt hat: Der Herrgott hat uns diese Aufgabe jetzt auf den Tisch gelegt“.

Soso, hat uns der Herrgott also diese Aufgabe auf den Tisch gelegt? Klingt irgendwie etwas abgedreht für eine deutsche Kanzlerin und streng genommen war es ja auch nicht der liebe Herrgott, sondern Frau Merkel höchstpersönlich, die uns diese Aufgabe „auf den Tisch gelegt” hat. Und streng genommen hat sie uns diese Aufgabe auch nicht auf den Tisch gelegt, sondern mit Schulterzucken vor die Füße geknallt („Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin. Nun sind sie halt da.“). Aber das sind sicher Petitessen im Angesicht der Größe der Aufgabe, von der die Kanzlerin wie beseelt zu sein scheint.

Hübsch ist auch folgender Satz von Frau Merkel, der in dem Interview fällt: „Und das ist die Tatsache, dass wir unter den Bedingungen der Globalisierung, unter den Bedingungen von Bürgerkriegen, von schwierigen Situationen einfach sehr, sehr viele Flüchtlinge aufnehmen, von denen viele auch bleiben werden, und das Sollen ist sehr stark.“

Achso, ne. Das „Sollen“ ist sehr stark. Fehlt nur noch, dass die Lichtung lichtet und die Stille stillt und der Fragesteller, der in Wahrheit nur als Stichwortgeber fungiert, anfängt vor Rührung zu schluchzen. Keine Angst, hat er nicht. Das Interview ist in seiner Banalität und Geschwurbeltheit trotzdem hörenswert, um den momentanen Zustand der deutschen Politik im Verbund mit den Medien einschätzen zu können.

Genau auf halber Strecke zwischen Angela Merkels Proseminar für Predigeranfänger im Deutschlandfunk und dem Gespräch mit Anne Will in der ARD gestern abend geschah dann das Erwartete. Eben jener Deutschlandfunk-Stichwortgeber mit Namen Stephan Detjen reiste im Kanzlerinnen-Tross - das ist immer eine große Auszeichnung - nach Indien und wurde am Morgen des 5. Oktober 2015 exklusiv in seinem Haussender nach dem Befinden der Kanzlerin gefragt. Jeder halbwegs seriöse Journalist würde jetzt erwidern, ob ihm nicht bitte eine ernsthafte Frage zur Politik gestellt werden könnte, statt eine Merkelsche Homestory aufzuwärmen. Aber sei’s drum.

Sie wirke, fühlte sich Herr Detjen bemüßigt zu antworten, trotz der parteiinternen Kritik ruhig und gefasst, nicht ohne den folgenden Satz hinterherzuschieben, über den sich das Kanzleramt ganz sicher gefreut haben wird: „Also für mich war das eine Situation, wo auch der Protestantismus Frau Merkels durchscheint, eine fast lutherische Haltung: hier stehe ich und ich kann nicht anders!“

Oha, jetzt war es raus. Merkel die neue Luther, Seehofer der olle Katholen-Papst und die Bundesrepublik mutiert zum Reichstag zu Worms, Schisma und Bauernkriege inklusive.

Natürlich müssen Journalisten tagein, tagaus irgendwelchen Quatsch absondern, um die Sendeminuten voll zu kriegen. Aber geht es auch etwas kleiner? Mit etwas weniger Pathos? Mit weniger Mythenbildung, die merkwürdigerweise nicht ganz zufällig erscheinen will? Fehlt nur noch, dass Angela Merkel 95 Thesen an die Bayrische Staatskanzlei nagelt. Und was wetten wir, dass sich Herr Detjen damit als künftiger Biograph Merkels empfohlen hat?

Natürlich fehlt valides Zahlenmaterial, um einschätzen zu können, ob die Mehrheit der Deutschen froh und erleichtert ist, endlich von Luther reloaded regiert zu werden. Im Land der Käßmanns könnte das sogar sein.

Lassen wir uns aber den Vergleich zwischen Angela Merkel mit Martin Luther auf der Zunge zergehen, wird deutlich, dass mit Martin Luther der Hang der Deutschen nach Sonderwegen beginnt, der sich in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts dann endgültig vollendet. Hier könnte man wirklich Parallelen ziehen. Dass Merkel ihre Politik nun mit religiösem Pathos vorträgt, sollte trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihr nicht um Gott, Kirche oder die Erlösung geht, sondern dass ihr einfach eine rationale Erklärung für ihr Handeln fehlt, was sie mit einer Art göttlichem Erweckungserlebnis zu kaschieren versucht.

Damit ähnelt die deutsche Bundeskanzlerin, die sich ihr gesamtes politisches Leben durch komplette Prinzipienlosigkeit ausgezeichnet hat, weniger Martin Luther, als vielmehr Kaiser Wilhelm II. Beide verbindet nämlich das entgegengesetzte Credo, das, um Martin Luther etwas zu variieren, das politische Überleben Angela Merkels geprägt hat: „Hier steh ich nun, ich kann auch anders!“

Als letzte Zuflucht ihres Anders-Könnens hat Frau Merkel nun Gott und Glaube gewählt und damit eine wirklich unvorhersehbare Volte geschlagen.

Allein, für Politik im 21. Jahrhundert sind Gott und Glaube dennoch denkbar schlechte Begründungen.

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Jochen Kramer / 09.10.2015

“Als letzte Zuflucht ihres Anders-Könnens hat Frau Merkel nun Gott und Glaube gewählt und damit eine wirklich unvorhersehbare Volte geschlagen.” Großartig! Das muß sie sich jetzt an die 10 Gebote halten. Entsprechend dem 3. Gebot “Du sollst nicht stehlen.” müßte sie die Steuern senken, die Energiewende rückgängig machen und das an Griechenland verschleuderte Geld des deutschen Steuerzahlers wieder einsammeln.

Horst Jungsbluth / 09.10.2015

Unsere “Heilsbringer” kümmerten sich nie um Gesetze, Vorschriften oder Vereinbarungen und schon gar nicht um das Wohl des Landes und der darin lebenden Bürger, wenn sie von einer Botschaft beseelt waren oder ihre wirklichen Interessen hinter dieser Botschaft versteckten. Diese oft von kriminellen Schleppern organisierten Flüchtlingsströme überfordern unser Land in mehrfacher Hinsicht, weil wieder einmal keinerlei Vorkehrungen getroffen und gewisse Kräfte dieses kostenträchtige Durcheinander nutzen werden, um unseren, wenn auch nur noch schwachen demokratischen Rechtsstaat weiter zu destabilisieren. Dabei hätte man aus den neunziger Jahren lernen müssen, weil bereits damals als das schon einmal ablief. So nahm zum Beispiel das eigentlich bankrotte Land Berlin mehr Flüchtlinge aus dem Balkan auf, als Großbritannien und Frankreich zusammen, obwohl die Einigung der beiden Stadthälften schon eine Herkulesaufgabe darstellte. Man nahm damals die Asylsuchenden auch nicht aus humanitären Gründen auf, guckte weg,  wenn sich darunter Schwerverbrecher befanden und auch, wenn diese Leute bei mehreren Sozialämtern abkassierten oder nach Auszahlungen zurückkehrten, weil “das Geld gestohlen oder verloren gegangen war” Die “Berater” hatten hier ganze Arbeit geleistet. Der Senat von Berlin, Ämter und Justiz wollten damals vertuschen, dass sie mit dem Start des SPD/AL-Senats 1989 eine kriminelle Wohnungsnotkampagne starteten, die nach einem Strategiepapier mit gefälschten Vorschriften und unzutreffenden Gründen wie ein Theaterstück inszeniert hatten, um Existenzen, Arbeits- und Ausbildungsplätze zu vernichten. Man verfolgte unbescholtene Bürger wie Verbrecher, während diese zum Entsetzen der Einwohner und zum Schaden der Stadt unbehelligt schalten und walten konnten. Warum ich das schreibe? Damit das Ganze nicht noch einmal mit schrecklichen Folgen durchgezogen werden kann. Der Bundeskanzlerin stehe ich gerne zur Verfügung. Wohnungsnot? Der Reg. Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit pries 2007 im Gespräch mit dem Münchener OB Uhde, 150.000 leerstehende Wohnungen (lt. Stat. Landesamt 156.000) wie einen Erfolg seiner Politik.

Anna Löw / 08.10.2015

Genialer Artikel! Aber eine Frage hätte ich noch: Fühlt sich Angela Merkel überhaupt noch Gesetz und Verfassung verpflichtet? Oder ist sie nur noch dem lieben Gott höchstpersönlich verantwortlich? Als Nachfahrin von Hugenotten bin ich Gott sei Dank calvinistisch geprägt und nicht lutherisch. Im Gegensatz zu Käßmann, Merkel & Co. habe ich noch alle Tassen im Schrank.

Thorsten Siepmann / 08.10.2015

Vielleicht liegt es an der Anzeige, unter dem Text, für eine Riffstation (“Das Programm für echte Gitarrenliebhaber”), welches mich zur Metapher führt - aber ‘Luther reloaded’ rockt. Hat Spass gemacht, was nicht wenig ist in diesen Tagen. Danke. Das der Deutschlandfunk knapp oberhalb der Wahrnehmungsschwelle funkt, dürfte allerdings eine Untertreibung sein. Dafür ist das Weiterdenken des Satzes von Merkels lutherischer Haltung um so treffender. Nur wäre mir fast lieber, der Gedanke wäre nicht so plausibel.

Philipp Richardt / 08.10.2015

„Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.“ In Zeiten der allgemeinen Täuschung ist es eine revolutionäre Tat, die Wahrheit zu sagen. (George Orwell) Öffentliche Meinung vs. veröffentlichte Meinung.

Thomas Schade / 08.10.2015

Herr Vahlefeld, Ihnen fehlt einfach der Wille, nach einem 60minütigen “Wir schaffen das!” gläubig zu werden. Es liegt an Ihnen - so einfach ist das.

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