Gunnar Heinsohn / 27.04.2013 / 15:24 / 0 / Seite ausdrucken

Lusitanischer Zahlungsaufschub

Von 80 auf 210 Milliarden Euro steigert Portugal seine öffentlichen Schulden zwischen 2003 und 2013 –oder von 55 auf 125 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (imf.org). Unter 224 erfaßten Territorien erreicht es bei der Geburtenrate mit 1,5 Kindern pro Frauenleben Platz 189. Mit seinem Durchschnittsalter von 40 Jahren gehört es zum vergreisenden letzten Zehntel der Menschheit.

Von den 5,5 Millionen Erwerbstätigen sind 1 Million arbeitslos. Von den 4,5 Millionen Beschäftigten genießen 600.000 den Staatsdienst. Lissabons oberste Richter entscheiden am 5. April 2013, dass Verkleinerungen der Beamtenschaft und Kürzungen am 14. Monatsgehalt oder gar am Urlaubsgeld für die langen Sommer als Verfassungsbruch zu bestrafen sind. Ein volles Jahrzehnt hat man an diesem imposanten Apparat gebaut und will ihn nie wieder missen. Die Regierung findet denn auch umgehend zur Verfassungstreue zurück.

Brüssels Helfer wollen nicht weniger gesetzesstreng erscheinen. Bereits beim 80 Milliarden-Euro-Hilfspaket vom Mai 2011 (Deutschland übernimmt 26 Mrd.) erklärt man das Weihnachtsgeld und in jedem Fall auch die 13. Monatsgehälter für unantastbar. Seit März 2013 plant man intensiv am nächsten Hilfspaket. Zugleich wird der Tilgungsbeginn für das laufende von 2014 auf 2021 herausgeschoben. Wer hättte dafür nicht Verständnis? Immerhin lastet auf jedem der 3,9 Millionen Aktiven Portugals eine öffentliche Schuld von gut 50.000 Euro. Und diese Schultern werden nicht nur gebrechlicher, sondern auch weniger. Zwischen 2011 und 2013 – so die OECD – begeben sich rund 200.000 Portugiesen außer Lande, die Hälfte davon ist jünger als 29 Jahre. Ihre Staatschulden allerdings nehmen sie nicht mit, sondern überwälzen sie auf die weniger Beweglichen in der alten Heimat.

Natürlich dürfen all die Megamilliarden nicht als Geschenke mißverstanden werden. Die Brüsseler Beamten versuchen sich an dem, wo sie sich am meisten zutrauen, nämlich an der Wiederherstellung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Südländer. Wenn die einmal da ist, werde Lissabon über die Besteuerung ausgeklügelter Zukunftsexporte auch zur Tilgung schreiten, so dass deutsche Beschäftigte für das Abtragen der lusitanischen Schuldenberge nicht auch noch ihre elften oder gar zehnten Monatsgehälter einsetzen müssen.

Allerdings wird Portugal beim neuen Tilgungsbeginn unter einem Durchschnittsalter nicht nur von 40, sondern von 50 Jahren keuchen. Auch zum Stand seiner zukünftigen Konkurrenzfähigkeit gibt es bereits recht sichere Auskunft. Der Manufacturing Competitiveness Index (deloitte), der 38 Nationen auf einer Skala von 1 bis 10 anordnet, sieht Portugal 2013 mit 3,39 Punkten auf dem 35. Platz. Für 2018 werden nur noch 2,85 Punkte erwartet, was den 37. Platz einträgt. Immerhin hat man den sicher, weil mit der Minimalzahl von einem Punkt Griechenland zu beiden Zeitpunkten den letzten Platz unangefochten verteidigen kann. 

Das Gefälle zwischen beiden Ländern spiegelt sich auch in der europäischen Patentebilanz. Mit 140 portugiesischen Anmeldungen gegenüber 139 griechischen im Jahre 2012 zeigt der Westrand dem Ostrand der EU, wem die Zukunft gehört. Dass es so bleiben wird, verbürgen auch die PISA-Mathematikränge von 2009. Die wie immer siegreichen Ostsiaten schaffen zwischen 540 und 600 Punkten. Portugual holt mit 487 Punkten einen schönen 30. Rang, während Griechenland mit 466 Punkten acht Plätze dahinter einläuft. Deshalb gibt es für Griechenlands zukünftige Konkurrenzfähigkeit ja auch nicht nur 80, sondern 240 Milliarden Euro (davon aus D 61 Milliarden). Ob die Portugiesen wenigstens bis 2023 vom vorletzen wieder auf den drittletzten Platz von heute zurückfinden, wenn man auch bei ihnen noch einmal 160 Millliarden drauflegt? Zehn bis zwanzig zusätzliche Patente könnten dabei schon abfallen.

Leicht wird es für sie in keinem Fall. Denn Nationen mit weniger Menschen aber zigfach mehr Patenten zeigen den beiden 11-Millionenvölker im Süden, dass ihre Aufholjagd durchaus noch schneller werden darf. Schweden (9,5 Millionen Einwohner) und die Schweiz (8 Millionen) schaffen im selben Jahr 4674 bzw. 8182 Patente (epo.org).  Dabei gab und gibt es für diese Länder weder Hilfspakete noch Besuche von Beamten-Troikas. Könnte das für die Brüsseler einen Hinweis liefern für ihr Vorgehen nach 2033, wenn Portugal und Griechenland wieder eine halbe Billion für das Erreichen der Konkurrenzfähigkeit benötigen?

 

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