Am Sonntag wurde nun gewählt und abgestimmt. Die Italiener haben ihrem Ministerpräsidenten und/oder der Verfassungsänderung mit klarer Mehrheit eine Absage erteilt. Die EU-Verantwortungsträger fürchteten ein wenig, dass all die verborgenen Defizite, all die unerledigten und nur unter den Teppich gekehrten Probleme des Euroraums wieder zum Vorschein kommen könnten. Die Stimmberechtigen nahmen darauf keine Rücksicht.
Jetzt ist ein ungeliebtes Ergebnis da, aber vielleicht lässt es sich ja noch einmal hinreichend kleinreden und weginterpretieren, wie es zuvor schon mit so vielen anderen unangenehmen Ergebnissen gelang, für die die Bürger in letzter Zeit an den Wahlurnen sorgten. Es wird zwar immer schwieriger, aber noch schaffen es die politischen Eliten, eine Welt zu simulieren, in der sie weiterwursteln können wie bisher.
Hilfreich dabei ist ein Sieg. Noch vor wenigen Jahren hätte man kaum geglaubt, wie viele internationale Sieger eine österreichische Bundespräsidentenwahl haben kann. Der Zurückhaltendste unter den vielen Gewinnern scheint noch der Gewählte selbst zu sein. Der großväterlich auftretende künftige Bundespräsident Alexander van der Bellen sah offenbar keinen Anlass, sich allzu laut darüber zu freuen, dass man nun den gefährlichen Rechtspopulisten Norbert Hofer aufgehalten habe. Im Gegenteil. Bei seiner ersten Pressekonferenz am Wahlabend begann er, noch vor dem Dank an seine Wähler: „Zuallererst möchte ich Herrn Hofer meinen Respekt ausdrücken, ihm gratulieren, zu seinem sehr respektablen Ergebnis. Wir sind ja immerhin über sieben Monate in direkter Konkurrenz miteinander gestanden und ich weiß, was das für einen Einsatz erfordert.“
Man könnte normalerweise einwenden, dass das eine reine Höflichkeitsfloskel war, die nun wirklich keiner extra Erwähnung wert ist. Doch heutzutage und verglichen mit dem politischen Stil hier in Deutschland ist diese frühere Selbstverständlichkeit schon bemerkenswert. Würden sich Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt zu einem solchen Satz gegenüber Frauke Petry überwinden können? Oder Sigmar Gabriel, dem im Zusammenhang mit jedem, den er als „Rechtspopulisten“ ausmacht, das Wort „Pack“ sicher leichter von den Lippen kommt als „Respekt“.
Leider stören Fakten die Pflege des eigenen Weltbildes oft ganz erheblich
Der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende jubelte nach den Ergebnissen aus Wien denn auch, als sei er bei dieser Wahl eine Art Hilfsdrachentöter gewesen, dass das Ergebnis ein “ klarer Sieg der Vernunft gegen den Rechtspopulismus in Europa“ gewesen sei. Sein Genosse und mutmaßlicher SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz triumphierte ebenso: Der „Sieg ist eine schwere Niederlage für Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit und antieuropäischen Populismus.“
Der klare Sieg des Guten und die schwere Niederlage des Bösen, das ist natürlich eine Nachricht, an der sich die vom eigenen Wahlvolk meist abgestraften deutschen Genossen ein wenig wärmen möchten. Leider stören Fakten die Pflege des eigenen Weltbildes oft ganz erheblich. Aber in vorweihnachtlicher Milde möchte man darauf verzichten, die Wohlmeinenden daran zu erinnern, dass ein Ergebnis von 52 Prozent zu 48 Prozent solch vollmundige Siegerpose nicht ganz rechtfertigt.
Immerhin ist bei den Reaktionen der deutschen Politiker auf die österreichische Bundespräsidentenwahl eines interessant: Zum „Sieg der Demokratie“ erklärte keiner von ihnen das Ergebnis. Mit dem Satz „Der Wähler hat immer recht“ reagierte stattdessen der Vertreter des „Rechtspopulismus in Europa“, der unterlegene Norbert Hofer, auf die Resultate. Da wäre doch ein ergänzender „Sieg der Demokratie“ eine angemessene und schöne Aussage gewesen. Sie hätte allerdings aus den Mündern derer, die den künftigen deutschen Bundespräsidenten Wochen zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit in kleinen Koalitionsrunden ausgekungelt hatten, etwas merkwürdig gewirkt. Wäre es nicht ein „klarer Sieg der Vernunft“, wenn man die deutschen Bürger auch endlich für mündig genug halten würde, sich ihren Präsidenten selbst zu wählen?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz.