Von Jesko Matthes.
Der erste bedeutende Vorsitzende der FDP, an den ich mich dunkel erinnere, war Jurist, eine distinguierte, ritterliche Gestalt, ein schwarzhaariger, graumelierter „Herr“, und Ritterkreuzträger, das war er auch: Erich Mende.
Von humanistischer Bildung, witzelte meine Mutter, den Namen Mende trage er zu Recht: „men-de“ (altgr. = zwar-aber). 1956 organisierte er in Nordrhein-Westfalen, dem späteren Stammland Christian Lindners, den Wechsel der FDP von der Koalition mit der CDU zu jener mit der SPD. 1961 ging er mit dem Wahlversprechen in die Bundestagswahl, Konrad Adenauer abwählen zu helfen, erhielt mit 12,8 Prozent eines der besten FDP-Ergebnisse bei Bundestagswahlen – und koalierte anschließend mit Konrad Adenauer. Das erzählte man mir, denn ich war zu jung. Geboren wurde ich erst 1966. Vier Jahre später trat Erich Mende zur CDU/CSU über und wurde Mitglied der CDU. Der FDP aber haftete längst stetig das Odium vom „Zünglein an der Waage“ an, nicht erst, als sie zuletzt gegen eine relative Mehrheit der CDU/CSU in den 1970er und frühen 1980er Jahren sozialliberale Koalitionen durchsetzte, nun ohne Mende.
Genschern lohnt sich nicht?
Auch Hans-Dietrich Genscher erwischte das Schicksal seiner Partei; als er 1982 die Koalition mit der SPD Helmut Schmidts aufkündigte, von Otto Graf Lambsdorff vorbereitet, und nicht länger auf das falsche Pferd setzte, da ging ein wütender links-grüner Aufschrei durchs Land, die FDP verlor viele mehr oder weniger Prominente an die SPD oder gar an die Grünen, und an der Wand meiner Schule prangte ein mit „Edding“ hingeworfener Satz in großen schwarzen Lettern: „GENSCHERN LOHNT SICH NICHT.“
Das Entsetzen nahm zu, als es sich 1989/90 doch sehr erheblich lohnte, und Genscher wurde nicht müde, an seine Heimat, Halle an der Saale, zu erinnern. Im Amt des Außenministers folgte ihm Klaus Kinkel.
Danach wurde es stiller um die FDP, von Achtungserfolgen und medialen Drôlerien eines Jürgen W. Möllemann oder der kurzen, steilen Karriere des Guido Westerwelle einmal abgesehen; danach verschwand die FDP kurzzeitig ganz von der Bildfläche des Bundestags; Möllemann wie Westerwelle leben nicht mehr.
Die Liberalen: für den Sündenbock taugen sie immer
Das Leben des politischen Liberalismus in Deutschland ist bunt; ein Blick auf das Kaiserreich und Weimar zeigt, dass es zeitweise mehr als drei liberale Parteien in Deutschland gab, von national-liberal über konservativ-liberal bis hin zu links-liberal. Diesen Segen und Fluch der Offenheit alles Liberalen wird die FDP nicht los; und, was sie auch tut, für zwei Rollen taugt sie immer: den Mehrheitsbeschaffer und den Sündenbock.
Das weiß auch Christian Lindner. Vielleicht hatte er eine sehr schwierige Wahl, als er sich für den Abbruch der Jamaika-Schwampel-Sondierungen entschloss: die zwischen dem Sündenbock, weil er mit Angela Merkel koaliert oder dem Sündenbock, weil er nicht mit ihr koaliert.
Dass er den letzteren Weg gewählt hat, könnte, gemessen an der reichen Geschichte seiner Partei und ihrer Erfahrungen, ein vorausschauender, weitsichtiger und nachhaltiger Entschluss gewesen sein. Hier übernimmt jemand Verantwortung – zuerst im Sinne seiner Partei. Er weiß auch, dass der mediale Sturm der Entrüstung und die Ächtung der Demoskopie genau dann vorübergehen, wenn für jedermann offensichtlich wird, dass es richtig ist, wenn seine Partei nicht auf das falsche Pferd setzt.
Das ist Christian Lindners Verdienst, vielleicht nicht mehr, aber sicher auch nicht weniger.