Cora Stephan / 12.01.2013 / 10:49 / 0 / Seite ausdrucken

Liebe Freunde Israels!

Es gibt Kritik an Israel, die ist antisemitisch. Das ist weder ein deutsches Privileg noch überrascht es. Im Gegenteil: danke für Ihre Offenheit, meine Damen und Herren! Weit peinlicher ist jene Kritik an Israel, die seine „Freunde“ üben. Dichter und Denker etwa, die eine so enge Freundschaft mit den Juden pflegen, dass sie sich verpflichtet fühlen, ihnen dabei zu helfen, sich als eingetragene Opfer gefälligst anständig zu benehmen. Oft ist das schlimmer als antisemitisch: nämlich noch dümmer.

Doch richtig duster wird’s, wenn Politiker feiertags vom „besonderen Verhältnis“ zwischen Deutschland und Israel schwadronieren. Könnte es sein, dass sich dahinter ein Missverständnis verbirgt? Unter den Nazis haben Deutsche versucht, alle Juden umzubringen, das ist richtig. Kein gestandener Zionist aber würde Hitler zugestehen, an Israel schuld zu sein. Die ersten Zionisten machten sich Ende des 19. Jahrhunderts nach Palästina auf. Aber vor allem: was ist im Ernstfall von diesem „besonderen Verhältnis“ zu halten?

Solche Feiertagsvokabeln klingen verdächtig nach der Schutzbehauptung dieser und anderer Dichterfürsten, sie seien ein „Freund des Staates Israel“, was die auf dem Fuße folgenden Belehrungen offenbar verdaulicher machen soll. Was soll das? Noch nicht mal auf Facebook bin ich mit Staaten befreundet, auch nicht mit ganzen Völkern, gar dem jüdischen, um Himmelswillen. Auch gehört es sich, zwischen Bevölkerung und Regierung zu unterscheiden, das gilt sogar für die Deutschen unter den Nazis. Im übrigen muss man den Israelis keine Nachhilfe geben, was Kritik und Selbstkritik betrifft, das ist da unten Volkssport. Dafür mag ich sie übrigens, die Israelis. Sofern das nicht schon wieder nach aufgenötigter Freundschaft klingt.

Wie wäre es also, die Beziehung zwischen zwei Ländern, dem westeuropäischen Deutschland und dem nahöstlichen Israel, mal ganz ohne wabernden Wortnebel zu betrachten? Ganz ohne Rekurs auf die Vergangenheit, auch wenn das, zugegeben, schwer fällt? Aber im Hinblick darauf, was im Notfall die „Freundschaft“ wert ist?

Ich bin auf der Seite Israels, wann immer es um die Verteidigung seiner Existenz geht. Dafür gibt es gute Gründe, ganz ohne Vergangenheit und besondere Verhältnisse. Israel, dieses verrückte, zerrissene Land, ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Es ist das Bollwerk des Westens. Es ist seit Jahrzehnten Objekt der zynischen Palästinenserpolitik seiner arabischen Nachbarn. Es wird nicht nur von einem durchgeknallten Despoten im Iran bedroht, auch der Vormarsch islamischer Fundamentalisten in den arabischen Ländern drängt das winzige Land an den Rand. Hinzu kommen seine Gegner im Lande selbst: viele orthodoxe Juden wollen und wollten keinen Staat Israel. Doch wenn es ihn schon gibt, hat der Lubawitscher Rebbe mal gesagt, dann soll es in Israel wenigstens orthodox zugehen. Schlechte Aussichten für das freie, das moderne Israel: auch die liberalen Juden der Welt zieht es nicht unbedingt in das furchtbar enge und ständig nervöse Land.

Doch nicht obwohl, sondern weil es zum Westen gehört, wacht man hierzulande mit Argusaugen darüber, dass die Israelis auch sauber bleiben. Raketen auf Israel sind kaum eine Nachricht wert. Israelische Gegenwehr schon. Zur Folklore friedensliebender Deutscher gehört, denen mit „andersartiger Kultur“ so gut wie alles zu verzeihen, auch Selbstmordanschläge mit voller Tötungsabsicht, während von der israelischen (oder amerikanischen) Armee verursachte „Kollateralschäden“, also versehentliche Ziviltote, skandalisiert werden. Man ist vielleicht nicht vor allem antisemitisch – aber in alter linker Tradition gegen den Westen.

Und gewiss, der „Arabellion“ konnte man zujubeln, zumal dem Abschied von kabarettreifen Despoten. Aber dass freie demokratische Wahlen auch jenen nützen, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut haben und die Demokratie dazu benutzen, sie abzuschaffen, dürfte selbst Freunden des Volkes irgendwann dämmern. Angesichts der trostlosen Lage im Iran sei die Frage erlaubt, ob der Schah (mitsamt Farah Diba) nicht das kleinere Übel war. Und zwar nicht nur, aber auch deshalb, weil das Schahregime für den Westen eine kalkulierbare Größe war.

Womit ich am Punkt bin, an dem ich gerne wüsste, was die „Freunde Israels“ wollen, die schwierige Lage einmal zuendegedacht. Israel möge Frieden bewahren. Schön. Aber wie macht man das ohne verlässliche, ohne kalkulierbare Nachbarn? Die andere Wange hinhalten?

Israel möge die von vielen ersehnte Zweistaatenlösung nicht gefährden, etwa durch Siedlungsprojekte. Sofern die Stadt Maaleh Adumim gemeint ist, in der 4 000 Wohnungen gebaut werden sollen: wie kann ein Ort, der gerade mal sieben Kilometer von Jerusalem entfernt ist und allen bekannten Plänen zufolge einem künftigen Israel zugeschlagen werden würde, den Friedensprozess mehr gefährden als der Beschuss Israels durch die Hamas?
Und überhaupt: die Zweistaatenlösung. Sie gilt als Fortschritt gegenüber der Forderung nach Rückkehrrecht für alle Palästinenser, was angesichts ihrer erdrückenden Mehrheit in Windeseile dafür sorgen würde, dass Israel weder ein Judenstaat noch eine westliche Demokratie bliebe. Aber wie soll sie aussehen? Womöglich so, wie es Barry Shaw in der Jerusalem Post prognostiziert: Im Palästinenserstaat gewinnt die Hamas die demokratischen Wahlen und setzt ihr Programm um, nämlich ganz Palästina zu „befreien“. Mithilfe islamistischer Streiter aus Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten wird das strategisch geschwächte Rumpfisrael in die Enge getrieben. Denn die Hamas wäre damit so nahe gerückt, dass sie nicht nur den internationalen Flughafen kontrollieren, sondern auch jede Ecke des übriggebliebenen Israels bombardieren könnte.
Und dann?

Wir brauchen in Deutschland kein „besonderes Verhältnis“ zu Israel und auch nicht die Beschwörung des Holocaust, es reichte im Grunde das pure Eigeninteresse: das Interesse daran, im Nahen Osten nicht die letzte Bastion von westlicher Moderne, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verlieren.

Und jetzt kommt die Gretchenfrage: was wären wir bereit dafür zu tun?

Die Welt, 11. 1. 2013
Siehe auch bLogisch.

 

 

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