Rezension von Mein Leben, meine Freiheit
(Piper, München 2006)
Wer ist diese schöne, kluge und mutige Frau, der nicht nur von islamischer Seite, sondern inzwischen von linksliberalen Intellektuellen wie Timothy Garton Ash und Ian Buruma vorgeworfen wird, eine „Fundamentalistin der Aufklärung“ zu sein - weil sie nicht nur den Islamismus, sondern den Islam kritisiert und damit angeblich dem Kampf der Kulturen Vorschub leiste? In ihrer ungemein beeindruckenden Autobiographie beschreibt die ehemalige holländische Parlamentsabgeordnete und Autorin Ayaan Hirsi Ali ihren Weg in die Freiheit. Geboren wurde sie 1969 in Somalia, 7 Jahre später folgte ihre Familie dem Vater ins politische Asyl nach Äthiopien, Saudi-Arabien und schließlich nach Kenia. Mit 10 Jahren hatte sie bereits in drei unterschiedlichen politischen Systemen gelebt, verblüfft darüber, daß die Frauen in Somalia und Saudi-Arabien verhüllt und verschleiert waren, während sie sich in Äthiopien lachend und rauchend in knielangen Röcken oder Hosen frei in der Öffentlichkeit bewegten. Die Großmutter hatte dafür gesorgt, daß Hirsi Ali beschnitten und zugenäht wurde, um bis zur Ehe eine reine Jungfrau zu bleiben; die zu Gewalt neigende Mutter steckte sie in die muslimische Mädchenschule und die Koranschule. Als Jugendliche war sie eine fromme Muslima, die sich jedoch in den Debattierclubs über die unterschiedlichen Auslegungen des Islams heftig über die Frauenunterdrückung empörte. Auch der Haß auf den Westen war ihr, die gierig Romane, die in England und den USA spielten, verschlang, suspekt. Hin- und hergerissen zwischen ihrem Glauben, der Loyalität gegenüber ihrem Clan und ihrer Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben, entschied sie sich mit 23 Jahren für die Freiheit: sie verweigerte die Zwangsheirat, um den Preis, von der Familie verstoßen zu werden, flüchtete nach Holland und beantragte dort Asyl. Geplagt von der Angst vor dem Unbekannten und angetrieben von der Lust, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, schlägt sie sich zunächst als Putzfrau und Dolmetscherin durch. Es gelingt ihr gegen erhebliche Widerstände das heiß ersehnte Studium der Politikwissenschaften zu absolvieren. Vorsichtig und neugierig taucht sie in die neue Welt ein, liest begeistert Freud, Spinoza, Durkheim, Locke, Kant, Mill und Popper und dolmescht zugleich ihre Landsleute, die das Elend ihrer alten Welt verkörpern, auf Polizeistationen, in Gerichtssälen oder in Abtreibungskliniken. Alarmiert ist sie von den geschlossenen Migrantenmilieus und der gleichzeitigen multikuturellen Toleranz der Holländer: „Die Kultur der Einwanderer wurde auf Kosten ihrer Frauen und Kinder bewahrt und gleichzeitig wurde so die Integration der Einwanderer verhindert.“
Der Terroranschlag am 11. September 2001 in New York, den Muslime auf der ganzen Welt bejubelten, erschüttert nun endgültig ihren Glauben an den Islam: „Die meisten Artikel, die sich mit Bin Ladin und seiner Terrororganisation beschäftigten, analysierten die Symptome, als könne man Lenin und Stalin analysieren, ohne die Werke von Karl Marx zu berücksichtigen. Nicht Bin Ladin, sondern der Prophet Mohammed war die moralische Führungsgestalt, daher sollte man sich mit ihm auseinandersetzen.“ Der Koran verbreitet in den Augen Hirsi Alis eine Kultur, die rückständig, brutal und bigott ist, darauf aus, Frauen zu unterdrücken und Kriege zu führen und den freien Willen auszuschalten. Enttäuscht von der holländischen Linken, die Armut, Kolonialismus und Kapitalismus für den Terror verantwortlich machen und das Lied der multikuturellen Toleranz singen, geht sie für die liberale Volkspartei ins Parlament. Ihr Anliegen ist die Auseinandersetzung mit einem Islam, der die Frauen unterdrückt, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen blockiert, Wohlstand verhindert und die Gewalt verherrlicht. Sie wagt zu behaupten, der Islam sei totalitär und lebt angesichts der ständigen Todesdrohungen unter Polizeischutz. Zusammen mit Theo van Gogh dreht sie Submission, ein Film gegen die Unterwerfung der Frauen im Islam. Auf offener Straße wird der Regisseur 2004 daraufhin in Amsterdam von einem Moslem ermordet. Hirsi Ali muß monatelang untertauchen. Nachdem sie auf richterlichen Beschluß ihre Wohnung zwangsräumt, weil sich die holländischen Nachbarn vom polizeilichen Personenschutz gestört fühlten und nach einem letztlich gescheiterten Versuch, ihr die niederländische Staatsbürgerschaft zu entziehen, übersiedelt sie in diesem Jahr in die USA und arbeitet heute in Washington im American Enterprise Institute.
Für Hirsi Ali sind die Errungenschaften der Aufklärung, die Trennung von Staat und Religion, die politischen und individuellen Rechte und Freiheiten, die Selbstbestimmung des Individuums, die Vernunft und die Gleichberechtigung der Geschlechter tatsächlich von fundamentaler Bedeutung. Mutig und gelassen erklärt sie, „daß der Islam mit der liberalen Gesellschaft, wie sie sich im Gefolge der Aufklärung herausgebildet hat, nicht vereinbar ist.“ Diese Einsicht und Klarheit weckt offensichtlich nicht nur den Zorn des radikalen Islam, sondern auch jenen europäischer Intellektueller. Angesichts der „schleichenden Scharia“ in Europa stimmt dies sehr nachdenklich.