Gastbeitrag von Richard Wagner:
Beginnt mit den Wahlergebnissen aus Hessen und Niedersachsen eine neue politische Ära? Ist es vorbei mit dem bequemen Koalitionsregieren der Nachkriegszeit? Der Einzug der Linken in die beiden Parlamente hat das Rechnerische sicherlich komplizierter gemacht. Wie steht es aber um das Berechenbare? Kommen die Weimarer Zeiten wieder?
Noch sind die Ähnlichkeiten gering und die Unterschiede immens. Weimar war als Konstruktion an sich ein Problem, zumindest wurde es von den meisten Beteiligten und Betroffenen so eingeschätzt. Keiner von ihnen wollte den Status quo behalten.
Ganz anders die heutige Bundesrepublik. Sie verkörpert geradezu den Status quo. Der Konsens ihrer Akteure besteht darin, dass sich nichts, aber auch gar nichts verändern soll. Selbst die neuen Kommunisten der Linken sind ja nicht angetreten, um die Republik zu verändern, sondern um für sich und ihre Klientel die Teilhabe einzufordern…
Das aber ist nur möglich, weil es etwas zu verteilen gibt. Also kann die Lage so schlimm nicht sein. Dass diese Schlussfolgerung richtig ist, lässt sich schon mit den Themen belegen, mit denen der Wahlkampf geführt und die Wahlen bestritten wurden. In Hessen wurde das Plebiszit bekanntlich mit einem Gewaltakt aus der Münchener U-Bahn verloren und mit einem Plädoyer für Toleranz und Bildungsgerechtigkeit gewonnen. Die Frau, die für beides steht, trägt zwar den einschlägig wirkungsvollen Namen Ypsilanti, ihr Mädchenname aber ist Dill, sie stammt aus Rüsselsheim und der Sohn geht auf eine Privatschule.
Macht das was? Nein, es macht nichts. Das wiederum besagt, dass die Probleme im Land so groß gar nicht sein können, dass es eine Abstimmung gebraucht hätte, um sie zu lösen, geschweige denn eine Abwahl. So schlecht geht es uns ja nicht, es geht uns sogar noch gut genug, so dass wir einfach nach Sympathien entscheiden können.
Ypsilanti ist sympathischer als Koch. Zumindest für die Mehrheit. Es ist aber auch keine allzu große Kunst sympathischer als Koch zu erscheinen. Und das ist das eigentliche Problem.
Mit jedem neuen öffentlichen Luxus, den wir uns leisten, handeln wir uns auch ein neues Problem ein. Der Wohlstand erlaubt zwar immer noch mehr als genug, aber alles hat auch seinen Preis. Das gilt sogar für die neue Liebe zu den Kommunisten. Mal abgesehen davon, dass man hätte annehmen wollen, das Ende der DDR könnte den brustschwachen Antikommunismus in Deutschland stärken, bleibt letzten Endes die in jedem Fall berechtigte Frage: Muss es wirklich Diether Dehm sein?
Wahl oder Abwahl, egal, der eigentliche Sieger des Votums ist Christian Wulff im unerschütterlichen Hannover. Mit ihm blickt uns die deutsche Zuversicht wie aus den Versen der DDR-Hymne entgegen. Wo Wulff auftritt, hört selbst das Beben auf. Auf ihn ist Verlass. Er wird sich weder beeilen, das VW-Gesetz zu kippen noch wird er den Castorgegnern ihr Gorleben nehmen. Mit ihm bleibt es ruhig im Land Niedersachsen, und dass es Wind gibt, erkennt man bestenfalls an den Windrädern, wenn sie sich mal drehen sollten, unter der Subventionslast.
Wulff ist das, was man früher einen Kurfürsten nannte. Kann ein Kurfürst aber auch Kanzler werden und wenn ja, bedeutet es etwas? Eine solche Frage pflegte man früher bei Radio Eriwan zu stellen, heute hat man dafür gerade noch Anne Will. Das aber sollte uns wirklich zu denken geben.