Bernhard Lassahn / 05.03.2012 / 08:07 / 0 / Seite ausdrucken

Kunst runterholen (download art): Gerhard Richter in Berlin

Zuerst hatte ich Pech. Warum musste ich es auch ausgerechnet am Tag der Eröffnung versuchen? Es war dermaßen voll, ich hätte dermaßen lange anstehen müssen, dass ich resignierte. So musste ich mich mit den Bildern begnügen, die man von außen erkennen konnte: bunte Quadrate, die wiederum in bunte Quadrate unterteilt sind. Mein erster Gedanke war, dass bei der farblichen Anordnung wahrscheinlich ein Prinzip zugrunde liegt, und ich fühlte mich herausgefordert, die Formel zu erraten, nach der die Farben angeordnet sind. War es wie beim Sudokurätsel? Wenn man da die Zahlen der Senkrechten und die der Waagerechten zusammenrechnet, ergeben sich jeweils dieselben Werte. Doch es war kalt, und ich bin, ehrlich gesagt, bekennender Sudoku-Verweigerer und kenne mich auch nicht so gut mit zeitgenössischer Kunst aus, dass ich da mit voreiligen Interpretationen auftrumpfen möchte.

Ich hatte Glück. Den nächsten Versuch (da musste ich auch nicht lange warten) unternahm ich zusammen mit dem streitbaren Kunstprofessor Martin Oswald, den ich bisher vor allem als Experten für Feinschmeckerei kannte – und natürlich als Kenner der Kunstszene in China. Er konnte mein Verständnis von den bunten Quadratbildern vertiefen. Es ist nämlich so: So wie es Gerhard Richter in seinem Werk sowieso tut, so spielt auch die gesamte Ausstellung mit der Erwartung des Betrachters und seiner Brüskierung. Dieses umlaufende Band aus kleinformatigen Farb-Feld-Arbeiten verleiht der Präsentation den scheinbar lieblichen Rahmen eines hochästhetischen Geschenkpapiers, die bunte Reihe bildet eine Art fröhliches Streifenband, hinter dem sich pure Harmonie zu verstecken scheint. Doch schon ein erster Blick hinter die Kulissen der Ausstellungsstaffagen decouvriert einen ganz anderen Richter.

Das stimmte. Kaum waren wir drin, schon bot sich ein vielfältiges, ja - man kann sagen - ein buntes, doch gleichwohl verstörendes Bild: Der Einsatz von großflächigen Spiegeln und schräg gestellten Glasscheiben, die ebenfalls als Spiegel wirken - wenn auch mit einer gnädigen Vernebelung -, wirft den Betrachter sofort auf sich selbst zurück und macht ihn selber zu einem unerbittlichen „Richter“ über seine Existenz und über seine physische Erscheinung. Der Besucher wird somit Teil der Ausstellung, kaum dass er die ersten großen Kunstwerke im Eingangsbereich hinter sich hat.

Wir waren verabredet mit Heloisa Correa-Eickhoff, einer Künstlerin, die aus Venezuela angereist war, um nach Parallelen zu ihrem Werk zu suchen, das an ganz anderer Stelle zu ganz anderer Zeit entstanden war. Sie hatte Postkarten dabei. Wenn man die Arbeiten nebeneinander sah, offenbarten sich in der Tat erstaunliche Parallelen. Sie wirkte sehr zufrieden; ich kann das verstehen, sie war vermutlich auch diejenige von uns, die bei einem kritischen Blick in die großen „Richter-Spiegel“ rundum zufrieden sein konnte.

Vielleicht lag es daran, dass Martin Oswald mit seine Erklärungen mehr und mehr zu großer Form auflief und nicht nur die Werke selber interpretierte, sondern speziell die Hängung. Die bunte Reihung nämlich, die hier - außen und innen - zu sehen war, hebt die Chronologie (was auch eine Möglichkeit gewesen wäre, die Stücke zu ordnen) unmerklich auf und ersetzt es durch eine behauptete Gleichzeitigkeit, sie entbindet damit die Bilder der Zeitlichkeit überhaupt, und damit wird genau das, was manche als „heterogenes, sprunghaft suchendes Werk“ einstufen, zum künstlerischen Prinzip. Das hat durchaus seinen Charme. Die Multi-Perspektivität als Charakteristikum lässt sich in der Hängung, wie sie in der Neuen Nationalgalerie vorgenommen wurde, besonders deutlich erkennen - so deutlich wie nie zuvor.

Zu den berühmten Wolkenbildern hatte ich eine Frage – er hatte eine Antwort: Was Caspar David Friederich einst Goethe verweigert hatte, holt Richter an dieser Stelle nach. Bekanntlich hatte sich Goethe von dem Stubenhocker Friederich Wolkenstudien zur Untermalung seiner farbatmosphärischen Studien gewünscht, was Friederich in seiner notorisch kauzigen Art abgelehnt hatte. Nun haben wir die Wolken. Und nun sehen wir sie gleich mit anderen Augen. Richter gelingt es, - wie auch mit seinem Bezug auf das berühmte Tizianrot - durch eine weitere Anspielung, sein eigenes Schaffen in den „Stream of Great Culture“ hineinzudefinieren.

Martin Oswald erklärt es so: Die Reihe der richterschen Vielfalt ist vom Prinzip her unendlich fortsetzbar, ganz unabhängig von den noch zu erwartenden stilistischen Varianten. Die „Richter-Skala“ ist sozusagen nach oben offen – in einem neuen Sinne. Damit könnte Richter zum ersten Künstler werden, dessen Werk noch posthum eine Fortsetzung findet, so wie es sich schon im Werk des Neo-Sensualisten Victor-Maria-Stoessel angedeutet hatte. Jedenfalls ansatzweise.

Den kannte ich nicht. Ich hatte auch womöglich nicht alles richtig verstanden. Er war das gewohnt. Er hat Erfahrung mit Studenten, die naive Fragen stellen, und er versucht stets, Kunst auch dann noch nachvollziehbar zu erklären, wenn andere längst aufgegeben haben. In diesem Sinne ist auch seine Aktion „Kunst runterholen“ gemeint, oder wie es seine Studenten, die ihn überhaupt erst auf die Idee gebracht haben, nennen: download art. Seine Reihe „Kleinkunst trifft Großkunst“ soll fortgesetzt werden. Hier ein kleiner Einblick:

http://www.youtube.com/watch?v=0zqFneP1YEs

 

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