Vera Lengsfeld / 24.08.2016 / 14:00 / 1 / Seite ausdrucken

Frauen im Aufbruch: Die Malweiber von Paris

Wer in diesen Tagen die Kunststätte Bossard in der Lüneburger Heide besucht, bekommt neben dem  Gesamtkunstwerk aus Architektur, Kunst und Landschaftsgestaltung noch etwas Besonderes geboten: „Die Malweiber von Paris“, eine Ausstellung über Künstlerinnen des Kaiserreichs, denen die Kunstakademien in Deutschland versperrt waren und die zur Ausbildung nach Paris gingen. In der damals modernsten Metropole der Welt war es möglich, dass Frauen gleichberechtigt mit Männern studieren konnten. Sie taten es in der 1908 gegründeten Privatschule des damals schon legendären Henri Matisse, dem gefeierten Meister der Avantgarde, an der Privatakademie von Rudolphe Julian, wurden Schülerinnen des Bildhauers Auguste Rodin oder besuchten die Abendklasse der Académie Colarossi, wo Akte nach lebenden Modellen beiderlei Geschlechts gezeichnet wurden.

Die Ausstellung stellt zehn bekannte und unbekannte „Malweiber“ vor. Angefangen von Käthe Kollwitz, die hier noch nicht klassenkämpferisch daherkommt, über Paula Modersohn-Becker, Carla Rilke-Westhoff bis Maria Slavona und die heute vergessene Martha Bernstein, deren Bilder für die Ausstellung restauriert worden sind.

Kaum eine der Frauen war finanziell unabhängig. Sie mussten entweder von ihren Vätern unterstützt werden, oder, wie Paula Becker, den bekannten Maler Otto Modersohn heiraten, um malen zu können. Modesohn hatte wenig Verständnis für den Wunsch seiner Frau, Worpswede zu verlassen, um „in die Welt hinaus“, nach Paris zu gehen. Sie tat es dennoch, mit ihrer Freundin Clara Westhoff. Beide profitierten außerordentlich von den dort gemachten Erfahrungen.

Heute kaum noch vorstellbaren Hürden und Konflikte

Die Ausstellung vermittelt nebenbei, welche heute kaum noch vorstellbaren Hürden und Konflikte die Frauen zu überwinden hatten, um künstlerisch tätig sein zu können. Annemarie Kirchner-Kruse, die in erster Ehe mit dem russischen Maler Igor von Jachimow verheiratet war und früh Mutter wurde, konnte ihre Bilder nur malen, wenn es ihre Mutterpflichten zuließen. Dabei sind besonders ihre Kinderbilder zauberhaft.

Die frühen Arbeiten von Käthe Kollwitz haben schon etwas von der Düsternis ihres späteren Werkes, aber auch noch eine gewisse Leichtigkeit und Eleganz. Von Paula Modersohn-Becker berührt eine Zeichnung des schlafenden Otto Modersohn. Ida Gerhardi, die lange Zeit eine aus dem Pariser Nachtleben nicht wegzudenkende Figur war, denn sie betrieb ihre Studien vorzugsweise in den Tanzsälen der Stadt, ist mit farbenfrohen, lebensnahen Tanzszenen vertreten.  Von Carla Rilke-Westhoff sind Büsten von Rilke und ihrer Freundin Paula zu sehen. 

Martha Bernstein, die eben wiederentdeckt wurde, brilliert mit einem wunderbaren Akt in neuer, pariserischer Farbigkeit. Sie hat sich auch theoretisch mit Farben und ihren Wirkungen beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. Eines der seltenen erhaltenen Exemplare ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Von Maria Slavona bleiben besonders ihre beiden Selbstporträts in Erinnerung: das erste als junge Frau, das zweite als Mittvierzigerin.

Was die Ausstellung so besonders macht, ist, dass man von den Künstlerinnen nicht nur etwas durch die jeweils sieben Kunstwerke erfährt, sondern im Begleittext nachlesen kann, wie ihr Leben verlaufen ist. Das ist besonders bei den weniger bekannten Frauen  wichtig. Wenn man mit der Lektüre von Bild zu Bild geht, glaubt man, mit den Schöpferinnen ins Gespräch zu kommen. Wie beeindruckend die Ausstellung ist, sieht man schon daran, dass nach der Hälfte der Zeit der Ausstellungskatalog bereits ausverkauft ist. So konnte ich ihn mir nur ansehen, nicht erwerben. Er soll aber demnächst wieder nachgedruckt zur Verfügung stehen.

Wer die Schau in der Künstlerstätte sehen möchte, muss sich allerdings beeilen. Sie läuft nur noch bis zum 11. September.

Der Text erschien zuerst auf meinem Blog vera-legsfeld.de

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Leserpost

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Ulrich Spinner / 24.08.2016

Dank für den lesenswerten Artikel mal abseits der politischen Diskussion. Ich hatte mich schon früher einmal mit der Rolle der Künstlerinnen in früherer Zeit beschäftigt und darf ergänzen: Nicht nur das Studium an den Kunstakademien, sondern auch an den Universitäten blieb Frauen lange verwehrt. Die ersten in Deutschland eingeschriebenen Studentinnen konnten 1899 im vergleichsweise liberalen Baden ihr Studium an der Universität Freiburg aufnehmen. In Preußen wurde die erste Studentin erst 1908 zugelassen. Es gab in der Kunstgeschichte schon früh bedeutende Malerinnen und Grafikerinnen. Man denke an Angelika Kauffmann oder Maria Sibylla Merian. Jene waren allerdings auf private Ausbildung angewiesen oder wuchsen in Künstlerwerkstätten auf. In Karlsruhe gab es immerhin seit 1885 bis zu ihrer Schließung 1923 die staatlich geförderte Großherzogliche Malerinnenschule an der im Schnitt 60 Studentinnen eingeschrieben waren. Das Protektorat übernahm bei der Gründung die Großherzogin. In der Gründungssatzung hieß es: “Die Schule stellt sich die Aufgabe, dem weiblichen Geschlecht dieselben Vortheile zur Ausbildung in der Malerei zu verschaffen, wie sie den Schülern der Kunstakademien geboten werden.” Und weiter wurde als “vornehmstes Ziel” definiert: “den Dilettantismus zu bekämpfen”. In unserer demokratischen Gesellschaft förderte unlängst das Bundespräsidialamt den Dilettantismus, indem es für die Queen als Geschenk ein grottenschlechtes dilettantisches Machwerk einer an Selbstüberschätzung leidenden Amateurmalerin auswählte. Zum Glück war das eher eine Ausnahme, da sich die Regierenden bei Ankäufen im Allgemeinen fachmännisch beraten lassen. Im professionellen Bereich sind Künstlerinnen heute wohl gleichberechtigt anerkannt. Schön, dass eine Ausstellung an diese frühen Vertreterinnen der Malerei erinnert, deren Namen und Werke teilweise nur Insidern bekannt waren. Maria Slavona ist so ein Fall, die im Kunstmarkt bisher weit unter Wert gehandelt wurde. 2011 tauchte ein wunderbares impressionistisches Bild dieser Malerin “Ein Nachmittag im Düsseldorfer Hofgarten” mit einer geradezu lächerlichen Taxe von 1.200.- € bei einer Auktion auf. Zugeschlagen wurde es mit 8.000.- €

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