Binnen weniger Tage krönen die Volksparteien ihre Kanzlerkandidaten. Während Angela Merkel ihre CDU in kubanischer Manier hinter sich bringt, schiebt Peer Steinbrück seine SPD in einen italienischen Modus der Operette
Horst Seehofer ist ein Schelm. Als er Angela Merkels andächtige Krönungszeromie auf dem Parteitag in Hannover verfolgte und ihr Wahlergebnis von 97,9 Prozent teils bewundernd teils wundernd als “kubanische Verhältnisse” lobte, da wurde auch allen Nicht-Spitzbuben klar, dass er eine wichtige Grundstruktur für das Wahljahr der Union benannt hatte. Die Union ist 2013 ein Kanzlerinnenwahlverein. Kaum je zuvor – eigentlich nur in den Ruhmzeiten Adenauers und Kohls - empfand sich die CDU/CSU so eins mit ihrer Spitzenfigur wie derzeit.
Generalissima Merkel ist nicht nur beliebt wie kaum zuvor, sie hat auch ihre Partei im Griff wie nie. Intellektuelle leiden zwar am parteilichen Tiefkühlfach der Ideen, Wirtschaftsliberale und Deutschnationale fühlen sich wie störende Antiquitäten in einer coolen Machterhaltungslounge, Politologen mögen über die präsidial-demoskopische Führungstechnik näseln, Konservative leiden an der Selbstsozialdemokratisierung wie am Stimmungs-Opportunismus der eigenen Partei und mutlos gewordene Männer beklagen eine Amazonenrevolution. Am Ende aber erkennen sie alle in Angela Merkel die Eurokrisenbewältigerin und Garantin des bürgerlichen Machterhalts. Keiner widerspricht mehr öffentlich, sie entwickelt sich mit all ihrer preußischen Spröde sogar zur Kultfigur, sie wirkt tatsächlich alternativlos in der CDU. Insofern ist das zweischneidige Wort von den kubanischen Verhältnissen so falsch nicht.
In der SPD ist die Lage genau umgekehrt. Selten war die stolze Traditionspartei derart uneins mit ihrem Kanzlerkandidaten. Für die einen verkörpert Peer Steinbrück die ungeliebte Agendapolitik, für die anderen ist er ein habitueller Basta-Macho, der bei Frauen so gar nicht ankommt. Für alle gilt, dass Peer Steinbrück nie ein Parteipolitiker, nie einer von ihnen gewesen ist. Er profilierte sich in seiner gesamten Karriere immer wieder gezielt und lustvoll auf Kosten der eigenen “Heulsusen-”Partei. Das brachte ihm Sympathiepunkte im parteikritischen Wahlvolk, aber auch eine weiträumige Isolierung in der SPD.
Nun aber treibt die Nebeneinkunftsaffäre das SPD-Steinbrück-Wechselspiels von Entfremdung und Nähe auf eine neue Spitze. Die meisten Parteifunktionäre der SPD sind schlichtweg entsetzt über die nicht enden wollende Pannenserie des wahlweise “Pekunien-Peer” oder “Problem-Peer” oder “Honorar-Konsul” gescholtenen Kandidaten. Zugleich aber müssen sie ihre Reihen um ihn schließen und verlangen dafür ihren Preis. Und so deformieren sie den kantigen, wirtschaftsnahen Eigenbrötler zu einem bravgestriegelten Halblinken. Steinbrück mutiert auf offener Bühne zum gequälten Parteisoldaten. Es ist wie in einer komischen italienischen Opera Buffa, bei der alle Rollen vertauscht werden. Sie werden ihn in hohen Tönen besingen, und er wird – ganz ohne Bezahlung – das Solo seines Lebens halten müssen. Komisch wird es allemal.
So werden also beide Krönungsmessen in Hannover gehalten, die eine aber mit kubanischer, die andere mit italienischer Note. Die Wahlergebnisse dürften sich am Ende ähneln, die Ausgangslagen für den Wahlkampf aber könnten unterschiedlicher kaum sein.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online