Wolfram Weimer / 10.12.2012 / 18:41 / 0 / Seite ausdrucken

Kubanische Krönungsmesse vs italienische Oper

Binnen weniger Tage krönen die Volksparteien ihre Kanzlerkandidaten. Während Angela Merkel ihre CDU in kubanischer Manier hinter sich bringt, schiebt Peer Steinbrück seine SPD in einen italienischen Modus der Operette

Horst Seehofer ist ein Schelm. Als er Angela Merkels andächtige Krönungszeromie auf dem Parteitag in Hannover verfolgte und ihr Wahlergebnis von 97,9 Prozent teils bewundernd teils wundernd als “kubanische Verhältnisse” lobte, da wurde auch allen Nicht-Spitzbuben klar, dass er eine wichtige Grundstruktur für das Wahljahr der Union benannt hatte. Die Union ist 2013 ein Kanzlerinnenwahlverein. Kaum je zuvor – eigentlich nur in den Ruhmzeiten Adenauers und Kohls - empfand sich die CDU/CSU so eins mit ihrer Spitzenfigur wie derzeit.

Generalissima Merkel ist nicht nur beliebt wie kaum zuvor, sie hat auch ihre Partei im Griff wie nie. Intellektuelle leiden zwar am parteilichen Tiefkühlfach der Ideen, Wirtschaftsliberale und Deutschnationale fühlen sich wie störende Antiquitäten in einer coolen Machterhaltungslounge, Politologen mögen über die präsidial-demoskopische Führungstechnik näseln, Konservative leiden an der Selbstsozialdemokratisierung wie am Stimmungs-Opportunismus der eigenen Partei und mutlos gewordene Männer beklagen eine Amazonenrevolution. Am Ende aber erkennen sie alle in Angela Merkel die Eurokrisenbewältigerin und Garantin des bürgerlichen Machterhalts. Keiner widerspricht mehr öffentlich, sie entwickelt sich mit all ihrer preußischen Spröde sogar zur Kultfigur, sie wirkt tatsächlich alternativlos in der CDU. Insofern ist das zweischneidige Wort von den kubanischen Verhältnissen so falsch nicht.

In der SPD ist die Lage genau umgekehrt. Selten war die stolze Traditionspartei derart uneins mit ihrem Kanzlerkandidaten. Für die einen verkörpert Peer Steinbrück die ungeliebte Agendapolitik, für die anderen ist er ein habitueller Basta-Macho, der bei Frauen so gar nicht ankommt. Für alle gilt, dass Peer Steinbrück nie ein Parteipolitiker, nie einer von ihnen gewesen ist. Er profilierte sich in seiner gesamten Karriere immer wieder gezielt und lustvoll auf Kosten der eigenen “Heulsusen-”Partei. Das brachte ihm Sympathiepunkte im parteikritischen Wahlvolk, aber auch eine weiträumige Isolierung in der SPD.

Nun aber treibt die Nebeneinkunftsaffäre das SPD-Steinbrück-Wechselspiels von Entfremdung und Nähe auf eine neue Spitze. Die meisten Parteifunktionäre der SPD sind schlichtweg entsetzt über die nicht enden wollende Pannenserie des wahlweise “Pekunien-Peer” oder “Problem-Peer” oder “Honorar-Konsul” gescholtenen Kandidaten. Zugleich aber müssen sie ihre Reihen um ihn schließen und verlangen dafür ihren Preis. Und so deformieren sie den kantigen, wirtschaftsnahen Eigenbrötler zu einem bravgestriegelten Halblinken. Steinbrück mutiert auf offener Bühne zum gequälten Parteisoldaten. Es ist wie in einer komischen italienischen Opera Buffa, bei der alle Rollen vertauscht werden. Sie werden ihn in hohen Tönen besingen, und er wird – ganz ohne Bezahlung – das Solo seines Lebens halten müssen. Komisch wird es allemal.

So werden also beide Krönungsmessen in Hannover gehalten, die eine aber mit kubanischer, die andere mit italienischer Note. Die Wahlergebnisse dürften sich am Ende ähneln, die Ausgangslagen für den Wahlkampf aber könnten unterschiedlicher kaum sein.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 27.02.2020 / 06:11 / 135

Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten…/ mehr

Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / 19

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im…/ mehr

Wolfram Weimer / 14.02.2020 / 06:14 / 106

Die CDU sucht den Merkel

„Angela Merkel will Armin Laschet. Die CDU-Basis will Friedrich Merz.“ So fasst ein CDU-Spitzenpolitiker aus der Bundestagsfraktion die K-Debatte in der Union zusammen. Mit dem…/ mehr

Wolfram Weimer / 13.12.2019 / 06:23 / 33

Batterien aus Deutschland? Potzblitz, und es geht doch!

Monatelang war es bloß ein Gerücht: Angeblich verbaut der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern “AirPods” deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen…/ mehr

Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / 69

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com