Zu den Konstanten unseres Kulturlebens gehört der unabänderliche Glaube der Kritiker, das, was die Massen gerne sehen, lesen oder hören, müsse der letzte Mist sein. Hochkultur ist für sie, was keine Sau interessiert, abgesehen vielleicht vom überschaubaren Kreis der Abonnenten von „Theater heute“ oder den Lesern verstiegener Filmkritiken in den Hinterzimmern der Feuilletons. So erhielt die Hauptdarstellerin eines typischen Produktes der deutschen Filmförderung, das im Vorjahr praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief („Yella“ mit Nina Hoss, 60 000 Zuschauer) vor kurzem einen Filmpreis. Til Schweigers „Keinohrhasen“, ein Experiment, von ihm mit eigenem Geld auf eigenes Risiko produziert, lockte sechs Millionen in die Kinos, trug zur künftigen Existenz derselben mithin einiges bei, war aber den Filmpreisvergebern nicht mal einen feuchten Händedruck wert.
Beim Zwangsgebühreneinstreicher ZDF spielt Geld erst recht keine Rolex. Letzten Freitag begann das ZDF mit der Ausstrahlung der zweiten Staffel von „Kriminaldauerdienst“...
Die erste war 2007 schon faktisch gescheitert. Sie erreichte anfangs gerade mal 4,5 Millionen Zuschauer, um zuletzt auf unter drei Millionen abzusacken. Das ist für den Freitagabend eine jämmerliche Quote, und auf Quoten ist man auf dem Lerchenberg angeblich scharf.
Oder doch nicht immer? Weil praktisch die gesamte Fernsehkritik KDD feierte („Sehr gut, weitermachen!“) und die Serie serienweise Preise abräumte, den Grimme-Preis inklusive, wurde flugs eine neue Staffel für 2008 beschlossen. Dabei war nichts von dem, was die erste so zuschauerfeindlich und misserfolgreich gemacht hatte, verändert worden. Beibehalten wurden die hektischen, verwackelten Kamerafahrten, das Stakkato ultrakurzer Szenen, die oft völlig unverständlichen Dialoge. „Wer nicht aufpasst, hat Pech gehabt“, freute sich eine KDD-Freundin im Deutschlandradio. Die Protagonisten, ein Haufen miesepetriger, superkaputter Bullen in Berlin-Kreuzberg, quasseln bevorzugt übereinander weg, umeinander herum und aneinander vorbei, eine Machart, die ausdrücklich intendiert ist und vom Sender als „authentisch“ verkauft wird.
Beibehalten wurde auch der Flopp-Garant, dass die Serie eine durchgängige Handlung aufweist. Man muss somit jede Folge gucken, um dem Geschehen halbwegs folgen zu können. „Schenkt dem Zuschauer nichts!“ jubelte, natürlich, die „taz“. Der zusätzliche Clou der zweiten Staffel besteht darin, dass sie gar niemand verstehen kann, der die erste nicht gesehen hat – sie knüpft in allem an diese an. Die Zuschauer zappten daher am Freitag scharenweise weg, obwohl ARD, ZDF und viele Fernseh-Zeitschriften KDD seit Wochen in einer beispiellosen Kampagne als ultimative Erfindung des Krimifernsehens hoch gejazzt hatten. Half alles nichts. Mit 3,47 Millionen lag die Quote hübsch im Keller. Besonders schwach war der Zuspruch der Jüngeren, den sich die Macher des Fetzkrimis so sehr gewünscht hatten. Selbst die dem KDD vorangegangene Folge der tutigen Serie „ Der Alte“ hatte mehr Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren erreicht.
Mag sein, es liegt nicht nur an der formalen Blödsinnigkeit der Serie. Sie ist auch inhaltlich unglaublich verschmockt. Geboten wird eine Art Aufguss des Film noir der sechziger Jahre, der Gendarmen und Räuber gern als moralisch ein und dieselbe Marke darstellte. KDD handele „von der guten Polizei, die gegen das Böse in sich selbst kämpft“, schwärmte ein Kritiker. „And every cop is a criminal“ - logisch, wissen wir nicht erst seit „Sympathy For The Devil“. Die Vorstellung, dass die Verhältnisse prinzipiell austauschbar seien, grassiert unter westlichen Wohlstandsinsulanern seit, sagen wir, 1968. DDR und „BRD“, viele bei uns erkannten da keinen großen Unterschied. Islam und Christentum, für den liberalen Bildungsbürger ist das dieselbe Chose. Das Leben, ein Italo-Western.
Die Vorstellung, dass es sich bei deutschen Kriminalbeamten um einen Haufen von Psychopathen, korrupten Ganoven und Schwerst-Alkis handelt, der ungefähr 70 Prozent aller Kriminalfälle selber verursacht beziehungsweise irgendwie darin verstrickt ist, hat sich in Krimimacherbirnen als fixe Idee eingenistet. Sie kommt der Weltsicht des gewöhnlichen „Spiegel“-Lesers und „Monitor“-Sehers entgegen, wird aber nirgendwo so verbissen umgesetzt wie in KDD. Ausgerechnet im hoch kriminellen Kreuzberg haben Bullen nichts Besseres zu tun, als sich ständig mit ihren diversen Macken zu beschäftigen? Die Serie KDD, so Kritiker, „zeigt, wozu Fernsehen fähig ist.“ Die Zuschauer zeigen´s aber auch. Und zwar dem ZDF. Danke, liebe Couch potatoes!