Hansjörg Müller / 06.02.2011 / 10:54 / 0 / Seite ausdrucken

Kreisky und der Antisemitismus

Über den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann heißt es auf einer SPÖ-Homepage: „Die Universität besucht Faymann berufsbegleitend wie eine Volkshochschule und hört Vorlesungen aus Jus und Kunstgeschichte. Als jüngstes Mitglied zieht er 1985 in den Wiener Landtag ein und wird Konsulent für die Wiener Zentralsparkasse“ ( http://bit.ly/h717fw ). Wäre man böse, könnte man sagen: das Jurastudium hat er nicht gepackt, da hat er stattdessen a bisserl Kunstgeschichte studiert und nebenher seine Parteibuchkarriere in einem staatseigenen Betrieb gestartet. Wie dem auch sei, eines ist sicher: Österreich hat schon beeindruckendere Kanzler gehabt und die SPÖ schon inspirierendere Vorsitzende. Vielleicht ist das der Grund, dass Republik und Partei in diesen Wochen mit solcher Inbrunst Bruno Kreisky feiern, der am 22. Jänner 100 Jahre alt geworden wäre.

Wer dieser Tage durch Österreich reist, kommt an Kreisky kaum vorbei: Kreisky-Schwerpunkte in allen Tageszeitungen, Kreisky-Podiumsdiskussionen und Gedenkveranstaltungen. Bruno Kreisky habe Österreich „nachhaltig verändert, modernisiert, gerechter und weltoffener gemacht“, heißt es auf der SPÖ-Homepage im fürchterlichsten Sozialdemokraten-Jargon. Die Österreicher sind ja bekannt dafür, dass sie gewisse Kapitel ihrer Geschichte am liebsten vergessen, und so erstaunt es auch nicht, dass, bei aller Kreisky-Manie, ein potentielles Mega-Thema so ganz unter den Tisch fällt: Bruno Kreisky und der Antisemitismus. Kreisky war ein Opfer des österreichischen Antisemitismus, aber er war auch selbst Antisemit – so paradox sich das anhören mag. Beide Tatsachen müssen seinen Verehrern unangenehm sein, lassen sie doch sowohl den Kanzler als auch seine Landsleute in einem schiefen Licht erscheinen.

1945 kehrte Bruno Kreisky aus dem schwedischen Exil nach Wien zurück. Bald musste er erfahren, dass seine sozialistischen Parteifreunde ihn dort nicht haben wollten – zumindest nicht in der Parteispitze. Die SPÖ, so befürchteten Karl Renner und Adolf Schärf, könne ja sonst von den Wählern als „Judenpartei“ wahrgenommen werden. Also schickten sie Kreisky erst einmal zurück nach Stockholm, wo er die österreichische Vertretung neu aufbauen sollte. Als Bruno Kreisky ein zweites Mal nach Österreich zurückkehrt, hat er seine Lektion gelernt: um als Jude in Österreich Erfolg zu haben, so glaubt er nun, muss man selbst Antisemit sein. Um von seinen Landsleuten als einer der Ihren akzeptiert zu werden, inszeniert er sich von nun an als Gegner Israels. 1979 empfängt er Jassir Arafat in Wien und erlaubt ihm, dort eine PLO-Botschaft einzurichten. Die PLO ist zu diesem Zeitpunkt noch eine Terrororganisation, deren erklärtes Ziel die Zerstörung des jüdischen Staates ist. Gegenüber dem israelischen Journalisten Zeev Barth wirft Kreisky der israelischen Regierung einen „mysteriösen Rassismus“ vor. Er beendet seine Tirade mit den Worten: „Wenn die Juden ein Volk sind, dann ist es ein mieses Volk.“ Kreiskys Freunde in der Sozialistischen Internationalen störten solche Aussagen übrigens nicht: anlässlich des runden Geburtstags ihres Über-Kanzlers präsentiert die SPÖ im Internet eine Dia-Schau, die uns Kreisky in der Gartenschaukel beim entspannten Plausch mit seinen Freunden Willy Brandt und Olof Palme zeigt; klickt man weiter, sieht man den Kanzler im Gespräch mit Brandt und dem Terroristen Arafat ( http://kreisky100.at/ ).

Österreichs Intellektuelle, die doch so gerne kritisch und unbequem sind, hat Kreiskys Antisemitismus nie gestört. Kein Wunder, wussten sie doch, was sie ihrem Bundeskanzler zu verdanken hatten. 1971 sprach Kreisky allen Ernstes von der „Notwendigkeit eines Kulturradikalismus“ – was auch immer das heißen sollte. Schriftsteller wie Peter Turrini und Gerhard Roth verstanden darunter jedenfalls, sich ihren Anteil aus den immer weiter wachsenden Kultursubventionen zu nehmen und dafür radikalstmögliche Staatskunst im Sinne der Mächtigen zu liefern: 1981, anlässlich des 70. Geburtstags des Bundeskanzlers, veröffentlichen sie ein Buch über Kreisky – vermutlich die peinlichste Lobhudelei über einen Regierungschef, die jemals in einer westlichen Demokratie erschienen ist. Thomas Bernhard inspirierte das Machwerk immerhin dazu, Kreisky in Anlehnung an den jugoslawischen Diktator einen „Salzkammergut- und Walzer-Tito“ zu nennen.

Wenn Kreiskys Antisemitismus überhaupt einmal zur Sprache kam, dann hat man den Bundeskanzler meist verteidigt: er sei ja selber Jude gewesen und angesichts der antisemitischen Vorurteile seiner Landsleute habe er als Politiker nur bestehen können, indem er sich selbst verleugnete. Darin bestehe Kreiskys Tragik. Nun, Tragik besteht darin, dass jemand sich in einer ausweglosen Lage befindet und immer nur falsch handeln kann, egal, was er auch tut. Doch Kreisky befand sich in keiner ausweglosen Situation. Er hat sich nicht antisemitisch geäußert, um zu überleben, sondern, um Karriere zu machen. Niemand hat ihn gezwungen, SPÖ-Chef und Bundeskanzler zu werden. Ebenso gut hätte er sich dafür entscheiden können, den in Österreich weitverbreiteten Antisemitismus anzuprangern und dafür auf die Kanzlerschaft zu verzichten.

Pflegte Kreisky beste Beziehungen zu Terroristen wie Arafat und arabischen Diktatoren wie Gaddafi, so war er auch bei der Wahl seiner innenpolitischen Verbündeten wenig zimperlich: seit 1970 koalierte er mit der FPÖ. Die FPÖ war zu diesem Zeitpunkt ein Sammelbecken für Deutschnationale und alte Nazis. Eine Koalition mit den Sozialisten ging sich trotzdem aus, weil sich die FPÖ nach außen hin als liberale Partei nach dem Vorbild der deutschen FDP inszenierte (das sollte sich erst in den 80er Jahren ändern, als die Partei unter Jörg Haider begann, offen ausländerfeindlich aufzutreten). Als Simon Wiesenthal 1971 den FPÖ-Vorsitzenden Friedrich Peter als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS enttarnte, trat Kreisky eine beispiellose Verleumdungskampagne los: Wiesenthal habe während des Krieges mit der Gestapo zusammengearbeitet, behauptete der Kanzler, wohlgemerkt ohne, dass es dafür irgendwelche Indizien, geschweige denn Beweise gegeben hätte. Seine gerade geschmiedete Koalition wollte sich Kreisky von Wiesenthal nicht kaputtmachen lassen, koste es, was es wolle. 

Doch zurück in die Gegenwart: von den absoluten Mehrheiten, auf die sich sein Vorgänger Kreisky zeitweise stützen konnte, kann Werner Faymann nur träumen. Freilich hat es die heutige SPÖ auch schwerer: das Wählersegment, das für populistische Parolen anfällig ist, wählt seit Haiders Zeiten FPÖ – und um Haiders Nachfolger Heinz-Christian Strache rechts oder links oder wo auch immer überholen zu können, müsste die SPÖ einen Populismus betreiben, der derartig brutal sein müsste, dass ihn das Ausland nicht einmal einem Bruno Kreisky hätte durchgehen lassen. Den Kampf um die Stimmen der kleinbürgerlichen Gemeindebaubewohner – einstmals die treuesten Kreisky-Unterstützer – wird die Sozialdemokratie wohl verloren geben müssen. Aber vielleicht wird man ja irgendwann wenigstens mit der FPÖ wieder koalieren können: im Juni 2010 beschloss der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen beider Parteien, einem Vorschlag eines SPÖ-Abgeordneten namens Omar Al-Rawi zu folgen. Dieser hatte eine Resolution eingebracht, in der das israelische Vorgehen gegen die „Gaza-Hilfsflotte“ aufs Schärfste verurteilt wurde. Eine Entscheidung, die sicher auch Bruno Kreisky bestens gefallen hätte. Vielleicht wächst da ja wieder zusammen, was einmal zusammengehört hat.

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