Gastautor / 20.08.2016 / 06:20 / Foto: T Chu / 5 / Seite ausdrucken

Korruption ist oft das geringere Übel

Von Ralf Ostner.

Man ist für den Weltfrieden und gegen Korruption - damit meinen viele Menschen schon alles Wesentliche zur Weltpolitik gesagt zu haben. Wann immer eine Oppositionsbewegung auftritt, wird diese zumeist von dem running gag begleitet, dass sie erzählt, die jeweilige Regierung wäre korrupt, würde also mehr in die eigene Tasche als für den Volkskörper wirtschaften. Dass der jeweilige Herrscher ein Neofeudalist sei, moralisch versaut und charakterlich vollkommen verkommen. Horrorgeschichten von Prostituierten, Bunga-Bunga-Partys, Villen, Yachten und dergleichen kursieren. Nun stimmt dies sicherlich für einen Teil der Herrschenden, aber selbst der bescheiden auftretende Teil der Herrschenden steht immer noch im Visier des Berufungstitels „zahlender Steuerzahler“ und seines Erbsenzählerverbandes, dem Bund der Steuerzahler oder solch illustrer NGOs wie Transparency International.

Selbst der bescheidene Teil der Herrschenden muss sich jeden Flug, jedes Hummeressen, jede kostspieligere Flasche getrunkenen Weins vorrechnen lassen - zumal „prinzipiell“. Man stößt hier schon auf einen moralischen Rigorismus und Puritanismus, der vielleicht noch mit Mao Zedong vergleichbar ist, der Gleichmacherei und den Lebensstandard des armen Bauerns forderte.

Man fragt sich manchmal polemisch: Wollen diese Leute wirklich unkorrupte Politiker wie es etwa Adolf Hitler war? Hitler war nicht korrupt, es wird auch heute niemals behauptet, dass er sich selbst bereichert habe, dafür war er aber ein fanatischer Nationalist, der alles seinem Ideal von einem reinrassigen Großdeutschen Reich unterordnete und dieses Ideal auch von jedem seiner Untertanen samt einhergehender Opfer einforderte, sowie für seine unkorrupten Ideale einen Weltkrieg mit 60 Millionen Toten und 6 Millionen ermordeten Juden vollzog.

Unkorrupte Saubermänner brachten viel Unheil über die Welt

Die erste Tatsache, die es einmal festzuhalten gilt: Es waren weniger die korrupten Politikertypen, die soviel Unheil über die Welt brachten, sondern solch unkorrupte Saubermänner und asketische Idealisten wie Hitler, Stalin, Mao oder Pol Pot, die die Welt in unkorrumpierten Idealgesellschaften - mal auf Rasse, mal auf Klasse gründend - errichten wollten. Henryk M. Broder hat exakt diesen Sachverhalt mal gut anhand der Hamas illustriert: Wäre die Hamas korrupt, wäre sie vielleicht nicht so fanatisch und könnte man vielleicht sogar mit ihr verhandlen. Eine Bunga- Bunga-Party mit Hamasfunktionären und Prostituierten auf Video festgehalten und der Nahostfriedensprozess wäre eine Stufe weiter.

Aber – so betont Broder: es handelt sich bei den religiösen Fundamentalisten und der Hamas um Idealisten und Asketen und diese kennen bei der Verwirklichung ihrer Ideale keine Verhältnismäßigkeit der Mittel und sind unkorrumpierbar. Der dickliche, angeblich korrupte Arafat ist einer fanatisch-idealistischen Hamas vorzuziehen, die selbst Kinder mit Sprengstoffgürteln ins Feld schickt. Erste These: Korrupte Politiker sind nicht so gefährlich wie idealistische Politiker, da sie zu sogenannten faulen Kompromissen, Interessenausgleich und Realpolitik neigen, man also mit ihnen ins Geschäft kommen kann, wie sie auch eher sich in die Interessen der anderen Seite hineinversetzen können.

Der zweite Kritikpunkt an der Korruption: Sie verhindert das wirtschaftliche Wachstum. Das ist in einem Gutteil der erwiesenen Fälle falsch. Man würde breite Zustimmung erhalten, wenn man behauptete, dass Franz Josef Strauß der korrupteste Politiker Deutschlands gewesen sein soll. Nehmen wir dies einmal an, so muss man doch zugestehen, dass trotz der angeblichen Korruptheit von Strauß sich Bayern dynamisch von einer Agrargesellschaft zu einem Industriestaat entwickelte - mit dem höchsten Lebensstandard in ganz Deutschland. Das Buch eines Straußkritikers beziffert das durch Korruption erlangte Vermögen der Straußfamilie auf etwa 400 Millionen Euro. Nehmen wir einmal diese Zahl als gegeben an, so ist sie doch über Jahrzehnte betrachtet und gerechnet ein vernachlässigender Teil des bayerischen Bruttoinlandsproduktes und seiner Steigerung. Korruption hat sicherlich nicht Bayerns Modernisierung verhindert.

Korruption ist nicht der wesentliche Erklärungsfaktor für wirtschaftliche Unterentwicklung

Nehmen wir Mubarak. Mubarak wird nachgesagt 40 bis 80 Milliarden US-Dollar durch Korruption angehäuft zu haben. Dann muss man aber auch sagen: Über 30 Jahre. Wenn man Ägyptens Bruttoinlandsprodukt von 102, 8 Milliarden US-Dollar pro Jahr nimmt und dies mit Mubaraks Vermögen über die Jahrzehnte verrechnet, kommt man bestenfalls auf 5 Prozent der ägytischen Wirtschaft. Die Abzweigung von 5 Prozent kann jedoch sicherlich nicht die weitgehende Stagnation von 95 Prozent der Wirtschaft erklären.

Nehmen wir die KP China. Sicherlich ist sie eine der korruptesten Parteien der Welt, aber sie erwirtschaftet ein jährliches 10 prozentiges Wirtschaftswachstum, das breite Teile der Bauern aus Hungersnot und Unterernährung befreite und einem rasant steigendem Mittelstand Geld brachte. Zweite These: Korruption ist nicht der wesentliche Erklärungsfaktor für wirtschaftliche Unterentwicklung. Es kommt mehr auf die Wirtschaftspolitik eines Landes an und bei richtiger Wahl kann das Land auch TROTZ Korruption florieren.

Ein schlemmender, fettgefressener Ostjunker, der sich an der Eisenbahnspekulation hemmungslos bereicherte namens Bismarck war mehr auf Satuierung und Interessenausgleich zwischen den europäischen Nationalstaaten aus, als ein unkorrumpierter, finanziell unabhängiger Kaiser Wilhelm II, der meinte, am deutschen Wesen müsse die Welt genesen und für dieses Ideal den ersten Weltkrieg losbrach. Und was war eigentlich mit Konrad Adenauer und dem Kölner Klüngel? Er gilt heute als der wohl beliebteste Nachkriegspolitiker Deutschlands, der das Land ins Wirtschaftswunder führte. Und was ist mit Richard Weizsäcker? Als Berliner Bürgermeister war er vor allem bekannt für die verfilzte und korrupte Berliner CDU – danach wurde er der beliebteste und wohl herausragendste Bundespräsident.

Zudem übersehen Kritiker der Korruption, dass die wirklichen Milliardendefizite nicht durch illegale Vorteilnahme produziert werden, sondern durch das ganz legale, staatlich geschützte Geschäftemachen. Bevor man lauthals Korruption beklagt, sollte man erst mal den ganz normalen gesellschaftlichen Konsens des Washington Consensus kritisieren, der Finanzspekulationen durch Deregulierungen und Privatiisierungen erst möglich machte. These 3: Die Weltgeschichte zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass auf die sogenannt korrupten Politiker, die mehr an Interessensausgleich und Realpolitik interessiert sind, Säuberungsbewegungen gegen Korruption und für einen vermeintlich sauberen Staat aufkommen, die die Welt reinigen und erlösen wollen. Als Paradebeispiel des 20. Jahrhunderts hierfür: Faschismus und Kommunismus. Sie führten die Welt in mehr Unheil als dies die sogenannt korrupten Politiker jemals wollten oder konnten.

Ralf Ostner, 51, Diplompolitologe, Open-Source-Analyst, arbeitet als Übersetzer für Englisch und Chinesisch. Mehr vom Autor finden Sie hier

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Ralf Pöhling / 21.08.2016

Korruption ist allgegenwärtig und begründet sich im Anliegen der Menschen, Widerstände oder feste Regeln zu den eigenen Gunsten aufzuweichen. Insofern ist Korruption in einer Gesellschaft bis zu einem gewissen Grade normal. Zum gesellschaftlichen Problem wird sie immer erst dann, wenn von ihren Folgen aussergewöhnlich viele Menschen betroffen sind. Ob jemand eine Politesse “schmiert” um seinen Wagen vor dem Abschleppen zu bewahren oder ein Großunternehmen die Politik “schmiert”, um Milliarden von Steuergeldern in ein Bauprojekt zu investieren, das keinen gesellschaftlichen Nutzen bringt, ist ein gewaltiger Unterschied. Nur letzteres hat das Potential zum Politikum zu werden. Wenn also die Gesellschaft nach einem Saubermann schreit, der die Korruption abklemmt, hat die Politik üblicherweise das Volk in seiner Gänze aus dem Blick verloren und den Pfad der Demokratie vollständig verlassen. Die Korruption als solche ist damit nicht das eigentliche Problem, sondern ihr Ausmaß nur der Indikator für einen bereits eingetretenen und für das gesamte Volk relevanten Demokratieverlust. Ihre Bekämpfung wird damit zum letzten Hebel, um die Führung der Gesellschaft wieder auf Kurs zu bringen. Insofern trifft These 3 im Artikel den Nagel auf den Kopf. Wer es dauerhaft übertreibt, wird irgendwann gewaltsam abgesetzt.

Richard Straetmans / 20.08.2016

Sehr geehrter Herr Ostener, Ihr flammendes Plädoyer für mehr Korruktion im Interesse einer auf Interessenausgleich gerichteten Politik habe ich mit wirklichem Erstaunenen gelesen, zumal ich auch Ihre Argumentation nicht nachvollziehen kann. Hitler hat sich vor den entscheidenden Wahlen die Unterstützung der deutschen Industrie gesichert und dabei unmittelbar den Sozialismus seiner Partei geopfert. Immerhin war dies unter realpolitischen Gesichtspunkten notwendig, um auch nach der Wahl bestehen zu können und den Krieg vorzubereiten. Ob das aber wünschenswert war? Ob Stalin korrupt war - man weiss es nicht. Aber dieser Saubermann hat in jungen Jahren wesentliche Beiträge zur Finanzierung seiner Partei geleistet - durch Bankraub (in mindestens einem Fall mit einem Massenmord verbunden), Entführung und Schutzgelderpressung (z.B. bei den Rothschilds). Aber schauen wir uns aktuell praktizierte Korruption an - Stichwort Ukraine oder nehmen Sie IS (Unterstützung durch Türkei). Mein persönlicher Eindruck ist, Korruption hilft nicht wirklich. Und es gibt einen Unterschied zwischen Korruption und Kompromiss. Übrigens der preussische Soldatenkönig hat Korruption z.T. mit Todesstrafe geahndet - und die Staatskassen waren voll wie nie. Viele Grüße Richard Straetmans

Helmut Driesel / 20.08.2016

Man kann es auch über die Dimension der Macht sehen: Wer so mächtig ist, dass er sich alles nehmen kann oder könnte, was er begehrt, der muss sein Ansehen nicht durch Korruption beflecken. Speziell bei Mubarak ist die genannte Summe nur ein Bruchteil der Unterstützung, die Ägypten jährlich durch die USA erhielt. Die Zuwendungen aus anderen Staaten unberücksichtigt. So ist es sicher in vielen anderen Ländern. Man muss da gar nicht misstrauisch auf das BIP schauen. Interessant wäre beispielsweise die Frage, wie korrupt das Politbüro der DDR war? Oder wollte die niemand bestechen, nicht einmal Strauß?

Marcel Seiler / 20.08.2016

So Recht dieser Text hat, wenn er auf die Gefahr des moralischen Rigorismus hinweist, er hat auch Unrecht. Denn eine Korrumpierbarkeit nur der Spitzenpolitiker mag nicht so schlimm sein—wenn aber die Korruption ein ganzes Land befallen hat, wenn also jeder Verwaltungsbeamte, jeder Richter, jeder Staatsanwalt, jeder Polizist, jeder Grundbuchbeamte bestochen werden muss, wenn es deshalb Rechtssicherheit nicht oder nur für die Mafia gibt, wenn auch die Angestellten der Privatwirtschaft erst mal in die eigene Tasche wirtschaften—dann ist das schon ein Entwicklungshindernis. Ein paar korrupte Politiker machen nichts. Ein ganzes korruptes Land ist eine Katastrophe.

JF Lupus / 20.08.2016

Die vom Autor aufgeführten “unkorrupte Saubermänner und asketische Idealisten wie Hitler, Stalin, Mao oder Pol Pot” waren alles mögliche, aber weder unkorrekt noch asketisch, im Gegenteil, sie häuften gigantische Privatvermögen an, ließen sich von Industriellen “feindlicher” Ideologie bestechen und lebten wie die Made im Speck. Dass Hitler vorwiegend vegan lebte, war nur seinen Magenproblemen zuzuschreiben, nicht aber einer “gesunden” Einstellung. Vor allem: Korruption heißt nicht nur die Annahme von Vermögenswerten zum eigenen Vorteil-  das hat der Autor richtig beurteilt: in der Regel bewirkt das sogar Positives. Korrupt ist als Politiker vor allem, wer die Ideale und Positionen, deretwegen die Bürger ihn (und natürlich auch sie) gewählt haben, verrät zur Erhaltung der eigenen Macht und Pfründe. Und das ist in Deutschland inzwischen “normal” - quer durch alle Parteien von Linke bis CSU. Sogar die AfD bewegt in diese Richtung. Auf Anhieb fällt mir nur ein einziger Politiker ein, der zu seiner Position und seinen Idealen steht: Wolfgang Bosbach - der, Pardon, wegen seiner schrecklichen Krankheit aber auch nichts zu verlieren hat. Der Rest der Mischpoke ist korrupt, wobei gilt, je linksgrüner und je mehr Gutmensch, desto korrupter.

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