Korruption ist allgegenwärtig und begründet sich im Anliegen der Menschen, Widerstände oder feste Regeln zu den eigenen Gunsten aufzuweichen. Insofern ist Korruption in einer Gesellschaft bis zu einem gewissen Grade normal. Zum gesellschaftlichen Problem wird sie immer erst dann, wenn von ihren Folgen aussergewöhnlich viele Menschen betroffen sind. Ob jemand eine Politesse “schmiert” um seinen Wagen vor dem Abschleppen zu bewahren oder ein Großunternehmen die Politik “schmiert”, um Milliarden von Steuergeldern in ein Bauprojekt zu investieren, das keinen gesellschaftlichen Nutzen bringt, ist ein gewaltiger Unterschied. Nur letzteres hat das Potential zum Politikum zu werden. Wenn also die Gesellschaft nach einem Saubermann schreit, der die Korruption abklemmt, hat die Politik üblicherweise das Volk in seiner Gänze aus dem Blick verloren und den Pfad der Demokratie vollständig verlassen. Die Korruption als solche ist damit nicht das eigentliche Problem, sondern ihr Ausmaß nur der Indikator für einen bereits eingetretenen und für das gesamte Volk relevanten Demokratieverlust. Ihre Bekämpfung wird damit zum letzten Hebel, um die Führung der Gesellschaft wieder auf Kurs zu bringen. Insofern trifft These 3 im Artikel den Nagel auf den Kopf. Wer es dauerhaft übertreibt, wird irgendwann gewaltsam abgesetzt.
Sehr geehrter Herr Ostener, Ihr flammendes Plädoyer für mehr Korruktion im Interesse einer auf Interessenausgleich gerichteten Politik habe ich mit wirklichem Erstaunenen gelesen, zumal ich auch Ihre Argumentation nicht nachvollziehen kann. Hitler hat sich vor den entscheidenden Wahlen die Unterstützung der deutschen Industrie gesichert und dabei unmittelbar den Sozialismus seiner Partei geopfert. Immerhin war dies unter realpolitischen Gesichtspunkten notwendig, um auch nach der Wahl bestehen zu können und den Krieg vorzubereiten. Ob das aber wünschenswert war? Ob Stalin korrupt war - man weiss es nicht. Aber dieser Saubermann hat in jungen Jahren wesentliche Beiträge zur Finanzierung seiner Partei geleistet - durch Bankraub (in mindestens einem Fall mit einem Massenmord verbunden), Entführung und Schutzgelderpressung (z.B. bei den Rothschilds). Aber schauen wir uns aktuell praktizierte Korruption an - Stichwort Ukraine oder nehmen Sie IS (Unterstützung durch Türkei). Mein persönlicher Eindruck ist, Korruption hilft nicht wirklich. Und es gibt einen Unterschied zwischen Korruption und Kompromiss. Übrigens der preussische Soldatenkönig hat Korruption z.T. mit Todesstrafe geahndet - und die Staatskassen waren voll wie nie. Viele Grüße Richard Straetmans
Man kann es auch über die Dimension der Macht sehen: Wer so mächtig ist, dass er sich alles nehmen kann oder könnte, was er begehrt, der muss sein Ansehen nicht durch Korruption beflecken. Speziell bei Mubarak ist die genannte Summe nur ein Bruchteil der Unterstützung, die Ägypten jährlich durch die USA erhielt. Die Zuwendungen aus anderen Staaten unberücksichtigt. So ist es sicher in vielen anderen Ländern. Man muss da gar nicht misstrauisch auf das BIP schauen. Interessant wäre beispielsweise die Frage, wie korrupt das Politbüro der DDR war? Oder wollte die niemand bestechen, nicht einmal Strauß?
So Recht dieser Text hat, wenn er auf die Gefahr des moralischen Rigorismus hinweist, er hat auch Unrecht. Denn eine Korrumpierbarkeit nur der Spitzenpolitiker mag nicht so schlimm sein—wenn aber die Korruption ein ganzes Land befallen hat, wenn also jeder Verwaltungsbeamte, jeder Richter, jeder Staatsanwalt, jeder Polizist, jeder Grundbuchbeamte bestochen werden muss, wenn es deshalb Rechtssicherheit nicht oder nur für die Mafia gibt, wenn auch die Angestellten der Privatwirtschaft erst mal in die eigene Tasche wirtschaften—dann ist das schon ein Entwicklungshindernis. Ein paar korrupte Politiker machen nichts. Ein ganzes korruptes Land ist eine Katastrophe.
Die vom Autor aufgeführten “unkorrupte Saubermänner und asketische Idealisten wie Hitler, Stalin, Mao oder Pol Pot” waren alles mögliche, aber weder unkorrekt noch asketisch, im Gegenteil, sie häuften gigantische Privatvermögen an, ließen sich von Industriellen “feindlicher” Ideologie bestechen und lebten wie die Made im Speck. Dass Hitler vorwiegend vegan lebte, war nur seinen Magenproblemen zuzuschreiben, nicht aber einer “gesunden” Einstellung. Vor allem: Korruption heißt nicht nur die Annahme von Vermögenswerten zum eigenen Vorteil- das hat der Autor richtig beurteilt: in der Regel bewirkt das sogar Positives. Korrupt ist als Politiker vor allem, wer die Ideale und Positionen, deretwegen die Bürger ihn (und natürlich auch sie) gewählt haben, verrät zur Erhaltung der eigenen Macht und Pfründe. Und das ist in Deutschland inzwischen “normal” - quer durch alle Parteien von Linke bis CSU. Sogar die AfD bewegt in diese Richtung. Auf Anhieb fällt mir nur ein einziger Politiker ein, der zu seiner Position und seinen Idealen steht: Wolfgang Bosbach - der, Pardon, wegen seiner schrecklichen Krankheit aber auch nichts zu verlieren hat. Der Rest der Mischpoke ist korrupt, wobei gilt, je linksgrüner und je mehr Gutmensch, desto korrupter.
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