Matthias Heitmann, Gastautor / 08.03.2016 / 11:00 / 6 / Seite ausdrucken

Kommunalwahl in Hessen: AfD, die Rächer der Entfremdeten

Die „Alternative für Deutschland“ gibt sich als die Siegerin der Kommunalwahlen in Hessen. „Die Macht der etablierten Parteien bröckelt“, ließ sich deren Chefin Frauke Petry am Montag mit Blick auf die Verluste von CDU, SPD und Grünen zitieren.

Landesweit erreichte die AfD etwa 13 Prozent. Damit lag sie hinter CDU und SPD, die beide auf etwa 28 Prozent kamen und zusammen etwa 9 Prozent verloren, auf dem dritten Platz. Die FDP verbesserte ihr landesweites Ergebnis von knapp 4 auf über 6 Prozent; die Linke legte um 1 Prozent auf 3,7 Prozent zu. (Die endgültigen Ergebnisse liegen noch nicht vor, da die kumulierten und panaschierten Stimmen bislang noch nicht berücksichtigt wurden.)

Die Grünen kamen nach den bisherigen Auszählungen auf 11,6 Prozent und erlitten empfindliche, Verluste. Dass sich deren Ergebnis nach der Angstwelle, die sie im Zuge des durch einen Tsnuami ausgelösten Atomunfall im japanischen Fukushima vor fünf Jahren in der Wählergunst nach oben spülte, wieder „normalisieren“ würde, konnte erwartet werden. Ebenso wenig überraschend war es, dass die Zerrissenheit der etablierten Parteien im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik sowie die steigenden Ängste vor einer Überfremdung und einer Islamisierung einer Partei in die Karten spielen würde, die diesen Ängsten mit mutig wirkenden und einfachen Parolen zu begegnen versucht.

Obwohl sich Vertreter aller etablierten Parteien schockiert zeigten – so richtig überraschen kann das Abschneiden der AfD also eigentlich nicht: Treiber ihres Erfolgs war und ist nicht die ihre konkrete Präsenz vor Ort oder eine regionale Verwurzelung. Die Partei profitiert vielmehr vom weit verbreiteten Gefühl der Entfremdung von der etablierten Politik – und dieses Gefühl ist nicht nur in Ostdeutschland spürbar, sondern zunehmend auch in den alten Bundesländern. Dass solchen Stimmungen gerade bei Kommunalwahlen Ausdruck verliehen wird, ist kein neues Phänomen. Diese gelten als die Wahlen, bei denen Menschen stärker als sonst von ihren grundsätzlichen Parteibindungen abzurücken bereit sind sich noch viel stärker als sonst von Personen oder kurzfristigen Erwägungen leiten lassen.

Dementsprechend wurden Kommunal- und Landtagswahlen in den letzten Jahren häufig von Stimmungsausschlägen beeinflusst, die durch Entwicklungen auf Bundesebene oder gar auf internationaler Ebene ausgelöst wurden. Schon Ende der 1980er-Jahre spülte die damals zu spürende “Politikverdrossenheit“ mit den „Republikanern“ eine rechtsgerichtete Protestpartei in einige Kommunal- und Landesparlamente. Anfang der 1990er-Jahre waren es die infolge der Balkankriege ansteigenden Flüchtlingszahlen, die Ängste mobilisierten. Ängste sorgten auch bei Kommunal- und Landtagswahlen im Jahr 2011 für bemerkenswerte Ausschläge: Nach dem Atomunfall von Fukushima profitierten davon jedoch nicht rechtsgerichtete Parteien, sondern die Grünen.

Niedrige Wahlbeteiligung bläht das Ergebnis künstlich auf

Im historischen Kontext gesehen ist der Erfolg der AfD also alles andere als eine Ausnahme von der Regel. Zudem bläht die niedrige Wahlbeteiligung ihr Ergebnis künstlich auf. Angesichts einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent halbiert sich die tatsächlich konkrete Zustimmung zur Partei gewordenen Parteiverdrossenheit. Vor dem Hintergrund der aktuellen Überforderungen und Kopflosigkeiten der etablierten Politik könnte man sogar die relative Stabilität der Popularität der großen Parteien als eigentliche Besonderheit diagnostizieren. Dass die Stimmen für die AfD zu einem nicht unerheblichen Teil keine expliziten Stimmen für deren Programm, sondern gegen die Etablierten waren, zeigt sich auch daran, dass in den Kommunen und Bezirken, in denen die AfD nicht antrat, zumeist die FDP oder Freie Wähler davon profitierten – und eher selten rechte Parteien wie die NPD oder die Republikaner.

Klar ist aber auch: Die „Alternative für Deutschland“ hat sich zu einem wichtigen Standort für politisch Heimatlose und Entfremdete entwickelt – freilich ohne selbst organisatorisch, politisch oder strategisch besondere Kompetenz oder Attraktivität auszustrahlen. Da aber die Anzahl der Heimatlosen wächst, ist die AfD als Faktor ernst zu nehmen. Daher ist es auch eine gute Nachricht, dass die Partei nun durch ihren Wahlerfolg in die politische Präsenz und in die Ernsthaftigkeit politischer Niederungen gezwungen wird: Ihre fehlende Originalität in vielen Themenbereichen dürfte ihr als selbsterklärter „Alternative“ schon bald das Genick brechen – denn für belanglose Langeweile braucht es in einer eingeebneten politischen Landschaft nicht noch eine weitere Partei. Das Problem der deutschen Politik ist nicht die „Alternative“, sondern das Fehlen einer solchen.

Matthias Heitmann ist freier Publizist und Autor des Buches "Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens". Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de. Dieser Artikel ist zuerst in der BFT Bürgerzeitung erschienen.

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Peter Weinert / 09.03.2016

Die AfD ist keine Momenterscheinung wie der Autor anzudeuten geneigt ist. In Zeiten, in denen die Zukunft unseres Landes und Europas von den etablierten Parteien gnadenlos vergeigt wird, ist eine Alternative nicht nur nötig, sondern unumgänglich. Je mehr sich die Politik der Etablierten zu einer Einheitspartei mit dem Ziel der Flutung Deutschlands und Europas mit kulturfremden Einwanderern gestaltet und sich die Politik von der Bevölkerung entfernt, je mehr wird sich die AfD festigen und auch versuchen Politik für den Bürger zu gestalten. Schade nur, daß derzeit keine Bundestagswahl ist. Im übrigen sollte zu denken geben, daß sich trotz des “totalen Krieges” der Parteien, der Medien, der Kirchen, auch der Gewerkschaften gegen die AfD dern Mitgliedszahlen, Förderer und Wähler ständig erhöht.

Hjalmar Kreutzer / 08.03.2016

“in denen die AfD nicht antrat, zumeist die FDP oder Freie Wähler davon profitierten – und eher selten rechte Parteien wie die NPD oder die Republikaner.” Kann das daran liegen, dass die AfD, anders als NPD oder REP und anders als die CDU-Führung für die Einhaltung von Grundgesetz und Amtseid eintreten? Woran machen Sie die fehlende Alternative zur aktuellen politischen Praxis anhand der politischen Leitlinien und Wahlprogramme der AfD fest? Weiterhin sind Kommunalwahlen Personenwahlen, man vetraut bestimmten häufig persönlich bekannten Kandidaten. Dabei istnes auch gut, wenn diese einmal nicht einer Parteilinie unterworfen sind. Für mehr direkte Demokratie und Beteiligung freier Bürger nicht nur zu Wahlterminen steht die AfD auch mehr, als andere Parteien.

Thomas Schenk / 08.03.2016

Man liest überall das gleiche: Die AfD wird von politisch Heimatlosen, Protestwählern und Enttäuschten gewählt, die Partei ist nicht in den Kommunen verwurzelt, das Parteiprogramm deckt nur wenige Themen ab. Diese Analyse trifft auf praktisch alle neu entstandenen Parteien logischerweise zu. Die Existenz politisch enttäuschter oder Heimatloser ist die Voraussetzung für den Erfolg einer neuen Partei. Wenn niemand enttäuscht ist kann keine neue Bewegung entstehen. Wie sollte eine neue politische Kraft von Anbeginn in den Kommunen verwurzelt sein? Für die thematische Aufstellung hat die AfD nach der Abspaltung 2015 nur einige Monate Zeit gehabt. Vergleiche mit anderen Kleinparteien der Nachkriegszeit, die früher oder später wieder verschwunden sind hinken. Die AfD wird von vielen erfahrenen Politikern der CDU, SPD und der Grünen verstärkt, die den „Etablierten“ den Rücken gekehrt haben. Die AfD als Eintagsfliege sehen zu wollen, betrachte ich als reines Wunschdenken. Man wird nicht umhin kommen, sich mit ihren Zielen auseinanderzusetzen.

Rudolf Dietze / 08.03.2016

Konservativ neu Denken, Pflöcke einschlagen und sagen “Bis hier hin und nicht weiter”, das vermisse ich in diesem Land. Die AFD steht für gewisse Pflöcke, man kann sie noch nicht richtig verorten. Sie braucht etwas mehr Esprit und Persönlichkeiten. Nach einigen weiteren Parteitagen dieser Partei wird man sie anders einschätzen - schauen wir mal. Einig mit der AFD sind viele Bürger, dass es so (Führungsanspruch der Merkelpartei 98% “Wir schaffen das!”) nicht weitergehen kann! Die, die nicht zu Wahl gingen(>50%), haben sich nur nicht getraut ihrer inneren Stimme zu folgen. In der Kommunalwahl wählen wir den Kandidaten unseres Vertrauens, den wir meist persönlich kennen und schätzen. Wenn 13% plötzlich eine Alternative wählen, dann ist es ein Desaster für die etablierten Parteien und den der sich in Ausschüssen und Sitzungen abgemüht hat. Die “Politik muss erklärt werden” , solche Sätze empfindet man als verdummend. Die Merkelpartei wird sich von Merkel nicht mehr erholen, die Abwendung des Bürgers von dieser wird anhalten.  PS: Zu ihrem gestriger Artikel würde ich sagen, dass sind keine toten Würmer.

Wolfgang Richter / 08.03.2016

Daß alternativ zu den selbst ernannten Alternativlosen vom Wähler vielfach das Kreuzchen an erkennbar und unmißverständlich ablehnender Stelle gemacht wurde, könnte gerade bei der Kommunalwahl darauf zurück zu führen sein, daß der von der Berliner Politik und ihren Vasallen im Lande vor Ort betroffene Bürger sein Mißfallen zum Ausdruck bringen möchte, nicht weil er sich von -wie ständig medial behauptet- durch eingeflüsterte Parolen zum ängstlichen Kaninchen vor der Schlange wandelt, sondern weil er mit der von oben verordneten Umgestaltung seines engeren sozialen Umfeldes nicht einverstanden ist, dessen Gestaltungsvertrag nach Meinung der Bundes-Integratiosnbeauftragten nun ständig neu auszuhandeln sei. Und wenn dann bei einer Bürgerversammlung im Raum Kassel vom dortigen Regierungskaiserlichen die Anwohner eines Neubaugebietes, die ihr Mißfallen äußern, daß die vor ihrer Tür zu erstellende Kita gegen eine Unterkunft für Zuwandernde getauscht wird, den Hinweis bekommen, sie könnten die offenen Grenzen zum Auswandern nutzen, dann darf man sich auch nicht über 17 %  punktuell für die NPD wundern, nicht als Zeichen der Zustimmung für diese, sondern als Fanal der Ablehnung für die anderen. Und diese täten gut daran, dieses nicht mit den immer noch üblichen leeren Sprechblasen zu ignorieren. Sonst war die Folge anschließend wieder mal überhaupt nicht vorhersehbar, wie vieles, was unsere Politdilettanten seit Jahren mit merkelinisch-gebrielscher Präzision verzapfen.

Wolfgang Johansen / 08.03.2016

Sehr geehrter Herr Heitmann, ich möchte Sie auf einen Gedankenfehler hinweisen. Wenn Sie die geringe Wahlbeteiligung zum Anlass nehmen, den Prozentwert der AfD klein zu rechnen, dann gehen Sie davon aus, dass bei den Nichtwählern keiner dabei gewesen wäre, der die AfD wählt. Das ist, denke ich, ein grober Gedankenfehler zugunsten der etablierten Parteien.

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