Armin Peter
Die Flüchtlingskrise hat das Land fest im Griff: Längst arbeiten die ehrenamtlichen Helfer am Anschlag, selbst in den Turnhallen werden die Betten knapp. Kommunalpolitiker denken bereits laut über die Beschlagnahmung von privaten Wohnungen nach. Die Jubelperser mit ihren „Refugees welcome“ – Schildern kommen mit dem Jubeln nicht mehr hinterher, weil inzwischen jeden Tag dutzende Züge einrollen. Und europäisches Recht wird per ordre de Merkel ausgelegt: Gestern galten die Verordnungen von Dublin und Schengen nicht für Syrer, heute gelten sie de facto gar nicht mehr – und morgen vielleicht wieder für alle? Wenn Transitstaaten wie Ungarn zumindest versuchen, ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen, werden sie in oberlehrerhafter Manier gerügt.
Denn im politischen Berlin haben sich die Verantwortlichen offenbar von jeder Vernunft verabschiedet. In seltener Einstimmigkeit trompeten Bundesregierung, Opposition und große Teile der Medienlandschaft unisono in die Welt hinaus, dass die ungesteuerte Masseneinwanderung in unser Asylsystem mühelos zu verkraften, ja sogar zu begrüßen sei. Wirtschaftsminister Gabriel verkündet lässig, dass 500.000 Menschen pro Jahr aufgenommen und dauerhaft alimentiert werden könnten. „Wir schaffen das“, denn „Deutschland ist reich“, so lautet die Parole, die Medien und Politik dem Land im Hauruck-Verfahren übergestülpt haben. Besorgte Bürger stehen unter Generalverdacht: Wer Kritik äußert oder Bedenken anmeldet, gilt automatisch als Ewiggestriger und wird mit allen Mitteln diffamiert.
Selbst unsere Nachbarstaaten bekommen das zu spüren: Deutschland pocht auf Lebensraum im Osten für seine neuen Schützlinge – und wer nicht gleich mitspielen will, gilt als uneuropäischer Nationalist. Dabei ist es allein Deutschland, das der gesamten EU seine asylpolitischen Vorstellungen aufzwingen möchte und in preußischer Disziplin voranmarschiert. Dumm nur, dass kaum einer folgt. Selbst unser treuer Verbündeter Frankreich steht mit beiden Füßen auf der Bremse und möchte nicht annähernd so viele Flüchtlinge aufnehmen wie der teutonische Nachbar.
Doch solche Details interessieren nicht, die große Koalition scheint wie besoffen vom Lob der internationalen Presse. Deutschland, das vor kurzem noch als Zuchtmeister der Griechen auftrat, der jeden Cent dreimal umdrehte, erstrahlt plötzlich als gelobtes Land für die Verdammten dieser Erde. Binnen kürzester Zeit konnte sich die Bundesrepublik vom Buhmann zum Darling mausern. Selbst Wolfgang Schäuble, der mit der griechischen Linksregierung in nächtelangen Sitzungen ums Geld feilschte, äußert nun plötzlich die Ansicht, dass man in Sachen Flüchtlinge nicht so genau auf die Kosten schauen dürfe.
Dabei würde sich ein Blick auf die Kosten durchaus lohnen: Falls es bei 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr bleibt, dürften allein Unterbringung, Verpflegung und Gesundheitsversorgung mit etwa zehn Milliarden Euro zu Buche schlagen. Angesichts von tausenden Neuankömmlingen täglich darf man bezweifeln, ob das wirklich reicht – noch im Juli war von 450.000 Flüchtlingen und 5,6 Milliarden Euro die Rede. Hinzu kommt ein Vielfaches an sozialen Folgekosten: Laut Arbeitsministerin Nahles gehört nur jeder zehnte Flüchtling zu den viel zitierten Fachkräften, auf die so viele Hoffnungen projiziert werden. Die meisten anderen werden jahrelang Sprachunterricht, Ausbildungen oder Studienplätze benötigen, bevor sie Steuern erwirtschaften könnten. Von der Integration der vielen Neuankömmlinge in ein freiheitlich-demokratisches Wertesystem ist dabei noch gar nicht die Rede. Ein Fünftel der Einwanderer sind übrigens komplette Analphabeten, was sie automatisch auf Jahre zum Sozialfall machen dürfte.
Der gegenwärtige Aufschwung ist ein Resultat mühevoller Reformen, selbst die schwarze Null war in Sicht. Arbeitnehmer haben dafür zwei Jahrzehnte lang mit stagnierenden Nettoreallöhnen bezahlt, auch im sozialen Bereich waren harte Einschnitte zu verkraften. Noch vor wenigen Monaten diskutierte Deutschland über den Abbau der kalten Progression, eine verdiente Dividende für die Mittelschicht. Auch die Infrastruktur bröckelt – viele Straßen, Brücken und Schulen müssten dringend saniert werden. All das steht nun auf der Kippe weil die Bundesregierung es sich in den Kopf gesetzt hat, im Alleingang die Welt zu retten.
Es hat sich im Nahen Osten herumgesprochen, dass Deutschland einfach jeden aufnimmt und dabei nicht lang fragt, ob es sich um Syrer in Not, Wirtschaftsflüchtlinge mit gefälschten Pässen oder sogar IS-Kämpfer handelt. Weitere Millionen Menschen dürften sich in naher Zukunft ermutigt fühlen, gen Europa aufzubrechen – die Büchse der Pandora ist geöffnet. In Syrien und im Irak wird Merkel inzwischen als „Mutter aller Gläubigen“ gefeiert. Als Kanzlerin Deutschlands in einem vereinten Europa wäre es jedoch ihre Pflicht, den ungebremsten Zustrom gemeinsam mit unseren Nachbarländern unverzüglich zu stoppen. Andernfalls könnte die wunderbare Idee der offenen Grenzen in Europa sehr bald schon dem nationalen Gutmenschenkomplex Deutschlands zum Opfer fallen.