Eine Obergrenze beim Asylrecht kann nicht, wie der innenpolitische Sprecher der GRÜNEN im Bundestag, Volker Beck, dies kürzlich getan hat (PHOENIX-Gespräch am 14.12.15), verglichen bzw. abgelehnt werden unter – so Beck – Verweis auf angeblich ebensowenig vorhandene Obergrenzen “beim Recht auf Leben, beim Recht auf Freiheit und bei der Menschenwürde”.
Das in Anspruch genommene Asylrecht beinhaltet – anders als die von Beck und anderen Gegnern des Obergrenzengedankens ins Spiel gebrachten Rechtsbegriffe – komplementär eine mit Kosten verbundene Bereitstellung (“Finanzierbarkeit”) öffentlicher Ressourcen und Leistungen des Staates.
Besonders dann, wenn das Asylrecht plötzlich in quantitativer, d.h. ins Gewicht fallender Anzahl wahrgenommen wird.
Die vielfach geforderte Obergrenze bestimmt sich allein aus dem Unvermögen, diese materiellen Wahrnehmungsvoraussetzungen angemessen in kurzer Zeit für die Flüchtlinge bereitstellen zu können.
Die von Beck erwähnte Menschenwürde als Rechts- und Handlungsgrundsatz kann dagegen vom Begriff her gar keine Obergrenze kennen, weil sie ein Beachtungsgrundsatz allen staatlichen Handelns darstellt, hier nur eine Grenze nach unten kennt und darüber hinaus kaum quantifizierbar ist.
Freiheit allerdings kann begrenzt werden, wenn die Rechte anderer verletzt werden und bedeutet insbesondere nicht die Freiheit, Willkür walten zu lassen oder die Menschenwürde zu beeinträchtigen. Das Recht auf Leben schließlich ist ebensowenig quantifizier- und begrenzbar, außer in besonderen Fällen, in denen ein Staat durch bevölkerungspolitische Maßnahmen (z.B. Einkind-Ehe in China) oder durch Eingriffe in die Keimbahn (Abtreibungsgesetze) bei der Regulierung von Lebensentstehung tätig wird. Auch in diesen besonderen Fällen können restriktive Ressourcen- bzw. Knappheitsaspekte (individuell oder kollektiv) eine Rolle spielen. Sie betreffen aber nicht das Recht auf Leben derjenigen, die bereits auf der Welt sind.
Die Definition einer Obergrenze des Grundrechts auf Asyl ist genauso statthaft wie die Definition des Rechts auf Eigentum oder des Rechts auf Meinungsfreiheit. Beide Rechte finden vielfache Beschränkungen, hier etwa im Planungsrecht oder durch Enteignungsvorschriften, dort in der Strafbarkeit von Beleidigungen oder Verleumdungen. In einem vollbesetzten Kino “Feuer!” auszurufen und eine Panik auszulösen wäre auch jenseits des rechtlich Möglichen und Zulässigen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) kennt ebenfalls gesetzliche Beschränkungen bzw. Grenzen, wie in Abs. 2 nachzulesen ist. Grundrechte können Grenzen haben, aber diese müssen rechtsstaatlich fundiert und revidierbar sein. Sie dürfen nur nicht gänzlich abgeschafft werden.
Die Frage ist, ob die Festlegung einer Obergrenze einer Abschaffung des Grundrechts auf Asyl gleichkommt.
Individuell Asyl zu erhalten ist nach Art. 16a GG ein Genussrecht, es wird gewährt, aber kann nicht bedingungslos erzwungen werden. Es kann in rechtsstaatlicher Praxis vielmehr verweigert werden, wenn an den individuellen Gründen – gut geprüft – Zweifel bestehen. Anders herum: Bestehen solche Zweifel nicht, darf es nicht verwehrt werden. Daran ist nicht zu rütteln.
Wenn sich durch das Nadelöhr des Asylrechts in den kommenden Jahren Millionen und Abermillionen nach Deutschland hindurchzuzwängen versuchen – ein mögliches Szenario, das die Verfassungsväter und -mütter so nicht voraussehen konnten – und dies zu hierzulande unlösbaren logistischen Problemen, möglicherweise sogar zur Gefährdung der sozialen Stabilität, der inneren Sicherheit und des Vertrauens in die Legitimation staatlichen Handelns führt, dann muss die Politik nach Wegen suchen, das Aslyrecht zu flexibilisieren, ohne es im Kern auszuhöhlen.
Dies war schon 1996 der Grundgedanke einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Asylgrundrecht durch die Regelungen zu sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten eingeschränkt, besser gesagt: gegen dysfunktionale Überbeanspruchung abgepuffert werden.
Darüber, ob es überhaupt zu den von einer “Ewigkeitsgarantie” geschützten Verfassungsbestandteilen gehört, wird noch immer in der Fachwelt gestritten. Aber selbst, wenn man dies bejaht, bedeutet die politische Setzung einer immer temporären, immer revidierbaren quantitativen Obergrenze keine Exkulpierung der Politik. Im Gegenteil ist gerade dann, wenn diese das Asylrecht an eine Mengenbegrenzung koppelt, die (nicht nur deutsche) Politik verpflichtet, auf allen Ebenen der Einflussnahme, des politischen und wirtschaftlichen Drucks auf die Herkunftsländer für die Beendigung der originären Fluchtursachen zu sorgen.
Darauf hat Volker Beck im Gespräch bei PHOENIX auch hingewiesen.
Bis das gelungen ist, muss die Politik sich für eine menschenwürdige Asylgewährung dieser Menschen in anderen Ländern einsetzen – in der EU, aber auch in den Nachbarregionen der Herkunftsländer. Wer nur mit dem Begriff der Obergrenze hausieren geht und nicht zugleich die Nöte der Asylbegehrenden im Blick hat, macht sich unglaubwürdig.
Es gilt allerdings auch: Asyl, nicht aber Migration ist ein Grundrecht. Beides muss auseinandergehalten werden. Die Tatsache, dass über das Asylrecht in Wirklichkeit Migration und damit ein Missbrauch des Art. 16a stattfindet, ist einer der Hauptgründe für das gegenwärtige Unbehagen und für die Diskussion über eine Obergrenzensetzung. Wenn Volker Beck das Thema Obergrenze nicht diskutieren will, sollte er umso mehr über den massenhaften Asyl-Missbrauch reden und rasch Vorschläge zu dessen Eindämmung machen, wenn ihm wirklich am Asylrecht gelegen ist.
Wie der deutsch-syrische Politologe Bassam Tibi schon vor über 15 Jahren in seinem Buch “Europa ohne Identität?” schrieb, nicht zuletzt in Sorge um die vielen hier längst integrierten Migranten:
“Die illegale Zuwanderung und ihre Nebenerscheinungen gehören gerade zu den Quellen der Gefährdungen für die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Man schützt uns integrierte Ausländer nicht dadurch, dass unsere falschen Freunde diese Probleme zu Tabuzonen erklären. - Notwendig ist die Abwehr von Missbrauch, um die Akzeptanz des Asylrechts in der deutschen Gesellschaft nicht zu gefährden.”