Michael Holmes (Gastautor) / 14.11.2006 / 18:59 / 0 / Seite ausdrucken

Kofi weiß, was unser Unglück ist

Kofi Annan hat eine weitere Habt-euch-endlich-alle-lieb-Rede gehalten, schön und gut, dafür ist er ja da. Sie ist schön abstrakt gehalten, unkompliziert faktenfrei und für jeden ist was dabei. Konkret wird der Redner nur bei einem Konflikt, der dann doch irgendwie, trotz aller Vielschichtigkeit des Problems, trotz unüberschaubar vieler Faktoren, die das Geschehen natürlich auch beeinflussen, die eigentliche Wurzel des Weltenübels ist.

  The current climate of fear and suspicion continues to be refuelled by political events, especially (!) those in which Muslim peoples – Iraqis, Afghans, Chechens, and perhaps most of all (!!), Palestinians – are seen to be the victims of military action by non-Muslim powers.

Merke: Das Klima der Angst wird nicht durch radikale Islamisten geschürt, keine Rede davon. Das Klima der Angst entsteht durch irgendwelche politischen Ereignisse im Allgemeinen, aber ganz besonders durch alle Militärinterventionen, in denen Muslime unterdrückt werden oder unterdrückt zu werden glauben. Zwischen den Kriegen im Irak, in Afghanistan, in Tschetschenien und Palästina ist nicht weiter zu differenzieren, sie sind allesamt durch ein simples, ja infantiles Schema ausreichend erklärbar: Nichtmuslimische Mächte setzen Militärgewalt gegen muslimische Menschen ein.

Kein Rede davon, dass von diesen Kriegen nichtmuslimischer Mächte nur der Krieg in Tschetschenien gegen die Zivilbevölkerung geführt wird. Keine Rede davon, dass dagegen in allen diesen Kriegen mulimische Extremisten nicht nur Gewalt gegen die Streitkräfte der nichtmuslimischen Mächte, sondern auch wahl- und skrupellos gegen die Zivilbevölkerung einsetzen. Keine Rede auch davon, dass ein gar nicht geringer Teil dieser Gewalt gegen andere Muslime eingesetzt wird.

Moment! Habe ich gesagt, dass Kofi zwischen diesen Konflikten nicht differenziert? Das ist falsch! Denn selbst diese Ursache der globalen Klima-der-Angst-Erwärmung, besitzt ein Zentrum, sozusagen eine Ur-Ursache. Waren die genannten Kriege schon ganz besondere Kriege, so ist natürlich der Nahostkonflikt der besonderste aller besonderen Kriege, der Prototyp und die Mutter aller Kriege.

Habe ich “Nahostkonflikt” geschrieben? Schon wieder Quatsch. Nicht vom Konflikt zwischen Israel und Palästina spricht unser guter Kofi und ganz sicher nicht vom Vernichtungskrieg der palästinensischen Seite gegen Israel, nein, der Krieg aller Kriege ist natürlich der Krieg gegen die Palästinenser.
Israels Verteidigungkrieg ist so weltweit einmalig wie dem Antisemiten die Rolle der Juden immer schon war.

  We may wish to think of the Arab-Israeli conflict as just one regional conflict amongst many.

Könnte man meinen. Ist aber nicht ganz richtig. Viele Konflikte überbieten diesen Krieg noch an Grausamkeit und Größenordnung (allerdings nur weil Israel sich zu behaupten weiß), da brauchen wir gar nicht erst an den Sudan oder an den Kongo zu erinnern. Selbst in den Bandenkriegen brasilianischer Großstädte sterben jedes Jahr so viele Menschen wie in Israel und Palästina. Andererseits zählen diese Konflikte im Reich der Kofi-Logik natürlich nicht. Schließlich werden dort keine Muslime von nichtmuslimischen Mächten unterdrückt.

  But, as I told the General Assembly in September, it is not. No other conflict carries such a powerful symbolic and emotional charge among people far removed from the battlefield.

Das ist sicher richtig. Man sollte aber meinen, dass der UN-Generalsekretär diesen Unsinn als Unsinn bennent und darüberhinaus um eine Erklärung bemüht ist, warum der jüdische Staat und nur dieser in einem solch unverhältnismäßigen und unfairen Ausmaß die weltweite Aufmerksamkeit (wenn wir das mal etwas neutral ausdrücken wollen) auf sich zieht. Richtig ist allerdings, dass die Reaktionen auf Israels Verteidigungsmaßnahmen besonders heftig und emotional sind, selbst bei Menschen, die mit dem Konflikt nichts zu tun haben. Sind wir nicht alle irgendwie Palästinenser? Ist ihr Leiden nicht das Leiden schlechthin, das Urleiden aller geknechteten und entrechteten Völker, sowie Israels Krieg ein gleich doppelt besonderer ist?

  As long as the Palestinians live under occupation, exposed to daily frustration and humiliation;

Und wir dachten Kofi Annan sei ein politikinteressierter Mensch. Aber wahrscheinlich war er einfach zu sehr mit den israelischen Siedlungen in der Westbank beschäftigt, um noch ein Quentchen Aufmerksamkeit für Israels Rückzug aus dem Libanon und dem Gazastreifen übrig zu haben. Oder warum sonst erzählt er uns immer noch, dass die Besatzung die Ursache des Krieges gegen Israel sei? Ist ihm entgangen, dass die letzten Raketenangriffe gegen Israel aus dem Süden und dem Norden kamen?

  And, as long as Israelis are blown up in buses and in dance halls: so long will passions everywhere be inflamed.

Na, immerhin! Durch die bereits gesprochenen Worte, die Betonung und die Reihenfolge wurde zwar bereits klargestellt, was Ursache und was Wirkung ist, aber irgendwie - warum eigentlich? - ist die Wirkung dann doch auch wieder nicht so ganz recht, womöglich übertrieben.

  It may seem unfair that progress in improving relations between fellow-citizens in Europe, or between – for example – Canada and Indonesia, should be held hostage to a solution of one of humanity’s most intractable political problems. And certainly the lack of such a solution must not be used as an excuse for neglecting other issues. But in the end the linkage cannot be wished away.

Ach so, wenn also Kanada und Indonesien Streit haben, dann sind Israels Verteidigungskriege die heimliche Ursache dafür? Und diese Verbindung darf nicht einmal weggewünscht werden? Wir müssen sie akzeptieren (auch wenn wir andere Themen, die nicht genauer benannt werden, nicht ganz vernachlässigen dürfen)?

Wir müssen also den Antisemitismus in der islamischen Welt und nicht nur dort akzeptieren? Müssen jeden Krieg auf diesem Globus, jede Unterdrückung, jede Feindschaft, irgendwie in Verbindung zum jüdischen Staat bringen?

Kofi Annan macht seinen Job ganz hervorragend. Er verharmlost Diktaturen und Terrorismus, er deligitimiert Demokratien und er zieht im richtigen Augenblick einen sehr klassischen Sündenbock aus dem Zauberhütchen. Was sonst sollten die Aufgaben eines UN-Generalsekretärs sein?

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