Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 09.03.2007:
Kürzlich stolperten wir über eine Pressemeldung aus Großbritannien. „Kluge Menschen essen weniger Fleisch,“ hieß es darin. Wissenschaftler der Universität Southhampton hatten mehrere Tausend Erwachsene angeschrieben, die alle als Kinder einen Intelligenztest absolviert hatten. Sie fragten die heute 30jährigen nach ihre Ernährungsgewohnheiten. Und siehe da: Je höher der Intelligenzquotient im Kindesalter war, desto größer die Wahrscheinlichkeit als Erwachsener Vegetarier zu sein. Essen also nur die Dummen Fleisch? Führt Klugheit in den Vegetarismus?
Wir vermuten einen ganz anderen Zusammenhang. Vegetarier, verrät die Studie, gehören in der Regel höheren sozialen Schichten an, seien meist Akademiker und weiblich. Wären die Probanden nach ihrer Weltanschauung gefragt worden, hätte man unter den besonders Gescheiten auch mehr Sozialisten, Homöopathiegläubige, Feministinnen, Anti-Globalisten, Ökologisten, Anthroposophen, Tierrechtler, Pazifisten und sonstige „Isten“ gefunden. Es gibt in akademischen Höhen einen weit verbreiteten Hang zur strammen Gesinnung in Kombination mit Selbstüberschätzung. Geistiges Potenzial muss sich nicht unbedingt durch geniale Erfindungen oder große Kunstwerken ausdrücken, es schwebt auch gern durch weltanschauliche Wolken. Die meisten Betroffenen befriedigen diese Neigung neben ihrem bürgerlichen Beruf, nur die krassen Fälle enden als Fanatiker. Aus solchen rastlosen Geistesarbeitern bildet sich die Gefolgschaft von Diktatoren und Demagogen.
Die weniger Gebildeten widmen sich seit jeher lieber dem Gelderwerb, der Kinderaufzucht oder dem Kleingarten. Und weil man es in Marktwirtschaften ziemlich weit bringen kann, wenn man hinter dem Geld her ist, werden manche dieser Einfältigen recht wohlhabend. Da viele Intellektuelle ökonomisch weniger glücklich sind, bestärkt dies ihre Grundhypothese, dass die Verhältnisse von Grund auf geändert werden müssen – am besten durch ihren jeweiligen Glauben. Dagegen ist die Mehrheit der Nicht-Intellektuellen zufrieden, wenn sie von der Obrigkeit in Ruhe gelassen wird. Deshalb bilden sie das solide Fundament der offenen Gesellschaft: die schweigende Mehrheit, die dem radikalen Wandel meistens im Wege steht. Irgendwie scheinen manuelle Arbeit und praktische Lebenserfahrung vor ideologischer Verstiegenheit zu schützen. Dieses Phänomen ist besonders für linke Parteien misslich, die ihre Basis nicht in den Bevölkerungsteilen haben, in denen sie sie gern hätten, sondern eher in akademischen Bildungsberufen des öffentlichen Dienstes.
Interessant wird es, wenn die Sphäre der praktischen Vernunft und die Sphäre der Welterklärung zusammentreffen. Ein schönes Beispiel dafür konnte Miersch kürzlich auf einer Journalistenreise nach Kanada erleben. Die europäischen Medienvertreter waren alle vom Thema globale Erwärmung bewegt. Sie trafen auf kanadische Fischer, die, wie alle Fischer, gern vom Wetter erzählten. Bevor die Besucher nachhakten, klangen die Erzählungen meist ganz unspektakulär. Mal war es zu kalt, mal ungewöhnlich warm, mal war das Eis zu dick, mal schneite es zu wenig, mal zu viel. Das Wort globale Erwärmung kam in den Erfahrungsberichten nie vor, bis die Gäste zu fragen anfingen. Dabei drehte sich alles in fiebriger Erregung um ein Thema: „Wie wirkt sich die Klimakatastrophe hier im Norden aus?“ „Kommt ihnen das wechselnden Wetter nicht seltsam vor?“ Spätestens nach der dritten Suggestivfrage kam den Fischern das Wetter seltsam vor. Sie wollten nicht unhöflich sein zu den Journalisten aus Übersee und so verstärkte sich der Klimawandel mit jeder neuen Antwort. Was eben noch ein Wetterereignis war mutierte zum Menetekel. Stifte und Blöcke wurden gezückt, Mikrofone angeschaltet. Da war er: Der Betroffenen-Bericht aus dem schmelzenden Packeis.
So läuft es, wenn Fischproduzenten auf Ideologieproduzenten stoßen. Es kommt immer mehr Ideologie dabei heraus - und selten mehr Fisch.