Ulli Kulke / 06.10.2012 / 20:54 / 0 / Seite ausdrucken

Klimakriminalität

Es gibt Kriminalgeographen, Kriminalbiologen, Kriminalsoziologen, Kriminalpsycholgen. Vorhersehbar war es da in unserer aufgeregten Zeit, dass irgendwann ein ganz bestimmter Berufsstand hinzukam: Die Zunft der Kriminalklimaforscher. Jetzt ist sie da. Matthew Ranson hat sie begründet, Assistent an der Harvard Kennedy School, ein Institut der renommierten Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts. Das war bitter nötig, mag da manch kritischer Geist ausrufen, angesichts der fast schon kriminellen Abgründe in der Klimaforschung, die vor drei Jahren durch die Veröffentlichung tausender Emails ans Licht kamen („Wo zum Teufel ist nur die Erwärmung geblieben?“).

Doch darum geht es Ranson nicht. Der Klimablog „Die Kalte Sonne“ hat jetzt ein mehr als bizarres Forschungsprojekt des Forschers ans Licht gebracht. Ranson hat nämlich herausgefunden: „In der Zeitspanne 2010 bis 2099 wird der Klimawandel zusätzlich folgende kriminelle Taten in den USA hervorrufen: 30.000 Morde, 200.000 Fälle von Vergewaltigung, 1,4 Millionen schwere tätliche Angriffe, 2,2 Millionen einfache Angriffe, 400.000 Raubüberfälle, 3,2 Millionen Einbrüche, 3,0 Millionen Diebstähle and 1,3 Millionen Fälle von Autodiebstahl.“

Über die präzisen Zahlen wundern wir uns nicht mehr, wir kennen das von den Simulationen und Projektionen, die uns über die Temperaturen, den Meerespegel und die Windgeschwindigkeiten im Jahr 2100 genaueste Auskunft geben. Aber jetzt haben wir endlich schwarz auf weiß, was wir lange schon ahnten: Der Klimawandel ist nicht nur schlimm, er ist auch zutiefst böse.

Ranson meint, herausgefunden zu haben, dass Kriminelle immer dann besonders häufig zuschlagen, wenn die Temperaturen besonders hoch sind. Richtig, wir sprechen ja auch von einem „heißen Pflaster“, wenn wir das Chicago des Al Capone meinen. Passt also. Was nicht so ganz passt, ist die Empirie, was den Klimawandel angeht. Als der nämlich so richtig Fahrt aufnahm in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, da ist in den USA – und um die geht es ja dem frisch gebackenen Kriminalklimatologen ­– die Kriminalität deutlich gesunken, wie wir einer Grafik des „Bureau of Justice Statistics“ entnehmen können, die „Die Kalte Sonne“ dankenswerterweise auch gleich veröffentlichte.

Was nun? War die Erwärmung gegen Ende des 20. Jahrhunderts gar kein Klimawandel? Oder können wir am Ende, wenn wir Ransons Theorie und die Empirie der Kriminalitätsstatistik zusammenfügen, daraus schließen, dass nicht erst seit 1998, sondern bereits seit 1980 die Erwärmung stoppte? Wenn die neu erkannte Grundaussage der Kriminalklimatologie stimmen sollte, können wir ja schließlich Ransons Behauptungen als eine Art „Proxydaten“ für die Klimaentwicklung nehmen, ähnlich wie die Baumringe: Ergo: Es ist kälter geworden. Der Klimawandel kommt also erst noch. Wenn er kommt.

Oder hat Ranson sich einfach nur vertan, und eine Klimaerwärmung lässt die Kriminalität sinken und nicht steigen? Oder ganz etwas anderes: Klimawandel und Kriminalität hängen gar nicht zusammen. Das wäre aus Sicht der Klimafolgenforschung wohl die unwahrscheinlichste Variante.

Spaß beiseite. Man mag zur Recht geteilter Meinung sein darüber sein, dass man jetzt in Großbritannien, in Kanada und auch in anderen Ländern der Klimaforschung hier und da die staatlichen Gelder zusammenstreicht. Klimaforschung ist und bleibt nötig, weil Klimawandel immer stattfand und stattfindet, die wachsende Menschheit aber immer empfindlicher wird und ein gewisser anthropogener Einfluss auf das Klima grundsätzlich nicht auszuschließen ist. Allerdings: Verständnis dafür, dass unsinnige Auswüchse gekappt werden, darf man aufbringen. Bislang sind Anträge für Klimaforschung und Klimafolgenforschung Selbstläufer. Das muss nicht sein. Und: Es wäre an der Zeit, endlich das Erkenntnisinteresse der Forschung von dem allzu einseitigen Katastrophismus zu befreien, ein diesbezügliches Zeitalter der Aufklärung einzuläuten. Wenn etwa freiwerdende Gelder in diese Richtung umgeschichtet würden, wäre schon viel geholfen.

Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT

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