Volker Seitz / 31.03.2021 / 14:00 / 24 / Seite ausdrucken

Kinshasa Symphony und Oxford Madness

Es scheint derzeit einen weltweiten Wettbewerb zu geben, wer den dümmsten Vorschlag macht, um uns von vermeintlich rassistischer/kolonialistischer Last zu befreien.

Professoren der Musikwissenschaft der immer noch renommierten Universität in Oxford wollen den Lehrplan „dekolonialisieren“ und die „weiße Vorherrschaft“ in den Kursen beenden. Einige dieser Wissenschaftler beklagen, dass das in Oxford unterrichtete klassische Repertoire, das Werke von Mozart, Bach und Beethoven umfasst, sich zu sehr auf „weiße europäische Musik aus der Sklavenzeit“ konzentriere. Vermutlich muss nach deren Verständnis das Libretto von Mozarts „Zauberflöte“ umgeschrieben und von der Figur des Monostratos gereinigt werden.

Sogar die Notenschrift steht unter Verdacht: Sie habe die Verbindung zu ihrer kolonialen Vergangenheit nicht „abgeschüttelt“, spiegele ein „kolonialistisches Repräsentationssystem“ wider und sei für einige Studenten ein „Schlag ins Gesicht“, berichtet die britische Tageszeitung „Telegraph“ von den Plänen der Universität. Stattdessen solle unter anderem mehr afrikanische Musik auf dem Lehrplan stehen. Inspiriert von der amerikanischen „Black Lives Matter“-Bewegung habe man das Ziel, die „Vielfalt zu verbessern“. Dazu müsse es auch mehr nicht-weiße Lehrende geben.

Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Professoren von den Afrikanern, für die sie sprechen wollen, ausgelacht werden. Denn offensichtlich kennen diese Herren nicht das „Orchestre Symphonique Kimbanguiste“ aus Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Die rund 200 Musiker des „Orchestre Symphonique Kimbanguiste“ widmen sich der klassischen europäischen Musik. Händel-Arien, Carl Orffs „Carmina Burana“ oder Beethovens Neunte Symphonie gehören zu ihrem Repertoire. Natürlich spielen sie mit Noten. Das Orchester existiert seit 1994. Fünf- bis sechsmal in der Woche proben die Kimbanguisten.

Der Film „Kinshasa Symphony“ von Claus Wischmann und Martin Baer von 2009 hat das Orchester über die Stadt Kinshasa hinaus bekannt gemacht. „Kinshasa Symphony“ ist 2011 als DVD erschienen. Es ist ein berührender ein Film mit wunderbaren Menschen und fabelhafter Musik. Aber das können die Professoren in Oxford mit ihrer illiberalen Ideologie offenbar nicht begreifen.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Ulla Schneider / 01.04.2021

Was für ein Blödsinn! Musik gehört neben Kunst und Tanz zu den Fächern ” Gottes” und hat beileibe nichts zu tun mit irgendwelchen politischen Ansinnen geschwätziger Musikprofessoren. Es gibt nichts Größeres für das Seelenheil des Menschen und überwindet jegliche Grenze. Danke für den link, Herr Seitz. Die Musiker gaben dort schon die Antwort. Musik ist universell und nicht rassistisch einzuordnen. Ich erinnere an den großen Reisenden Hans-Joachim Behrend in Sachen Musik u.a.: “Die Welt ist Klang”. - Wir hatten schon in dieser Zeit Witze gemacht, über die schwarzen und weißen Tasten. - Farbenblind sind sie auch: niemand ist richtig weiß und richtig schwarz, denn weiß und schwarz sind Zustände, aber keine Farben. Wunderbar übrigens, das Orff’sche Werk. Viele wissen es nicht, es galt als entartete Kunst. Ich habe noch danach getanzt, vor langer Zeit. - Dann denke ich an die 10 000 Japaner, welche jedes Jahr mit voller Inbrunst Beethoven’s Neunte singen oder Daniel Bahrenboim, der in “Sachen” Musik den gesamten Globus bereist, mit Wagner in der Tasche oder der amerikanische Stuttgarter, der mit seiner excellenten Stimme die Bach’schen “Tonleitern” hoch und ‘runter singen konnte, unglaublich.

Elias Schwarz / 31.03.2021

Wenn es weiter geht, dann wird auch im Fach Englische Sprache nach Schreiben-Nach-Gehöhr verlangt.

Andreas Bitz / 31.03.2021

Es bedarf keiner Diskussion um Rassismus, Kolonialismus, Cultural Appropriation, Gender, das bringt eh nichts: Einfach die woken LGB TIQ-POICAktivisten mal auffordern, aus Solidarität mit den tausenden benachteiligten und ausgebeuteten Gruppen die von weißen jungen Männern entwickelten handys abzugeben. Schon ists Schluss.

Reinmar von Bielau / 31.03.2021

Was haben diese Leute eigentlich für Probleme? War Mami nicht lieb genug? Sind sie zu oft auf den Kopf geschlagen worden? Hier sind die Instrumente der Unterdrückung also Violine, Klavier und Fagott. Wer hat eigentlich deren Forschungsgelder genehmigt? Haben diese Leute womöglich noch akademische Titel?! Danke für den Link zu Kinshasa Symphony!

Volker Seitz / 31.03.2021

Natürlich wird auch in anderen afrikanischen Ländern, z.B. in Nigeria klassische Musik gepflegt. Hierzu eine Zuschrift, die ich gerade erhalten habe: “Vielleicht interessiert es Sie zu hören dass ich vor einigen Jahren als Artistic Director des MUSON CENTER in Lagos mit großem Erfolg die erste vollständige Erstaufführung der „Zauberflöte“  nur mit Afrikanischen Sängern ( in deutscher Sprache)und Musikern einstudiert und geleitet habe. Dabei hatte ich das Libretto umgeschrieben. Da ich ja nur farbige Künstler hatte fand das ganze Geschehen in Afrika statt. Die Königin der Nacht war zum Beispiel eine Yoruba Königin usw.  Mit viel Mühen und Farbe wurde aus dem schwarzen Monostatos ein weisser Sergeant der englischen Kolonialmacht. Nach jeweils zwei Arien trat ein richtiger Nigerianischer Prinz auf die Bühne und erklärte das Geschehen dem Publikum auf Englisch. Das Publikum raste vor Begeisterung .Sollten Sie mehr über meine Zeit in Westafrika mit vielen bei dem afrikanischen Publikum sehr erfolgreichen Erstaufführungen ( Weihnachtsoratorium, Rhapsodie in blue etc.) erfahren wollen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.” Da ich in der Eile den Herrn nicht fragen kann, ob ich seinen Namen nennen darf, habe ich seinen Namen nicht erwähnt. Offenbar haben sich die Professoren in Oxford niemals mit der klassischen Musikszene in Afrika beschäftigt. Vermutlich stimmt was Leser Peter Rosé schreibt “Möglicherweise wollen die dortigen Professoren für dieses Fach einfach einmal nur über ihre Kleinstadt hinaus Gehör finden.”

Peter Volgnandt / 31.03.2021

Superbeitrag! Wenn irgendwelche vertrottelte weltfremden Theoretiker aus Europa den Afrikanern vorschreiben wollen, was ihnen zu gefallen hat, dann sind sie auf dem falschen Dampfer. Die Afrikaner lassen sich doch da in nichts dreinreden. Die wissen doch selber wo’s langgeht und immer besser als wir, siehe Internetverbindung und Digitalisierung. Und Noten als koloniales Erbe, na sowas. Wem was besseres darf er dann ruhig benutzen. Wir führen dann wieder Runenschrift ein, wir müssen uns ja auch auf unser Erbe besinnen. Die arabischen Zffern sind uns ja auch fremd, kein Wunder sind die Kinder so schlecht in Mathe, wenn man mit arabischen Ziffern rechnet.

ralph baader / 31.03.2021

Das ist doch cultural appropriation und damit erst recht rassistisch, was die ehemals renommierte, jetzt aber anscheinend zur Blödelbude absinkende Universität Oxford da treibt.

Peter Rosé / 31.03.2021

Zunächst vorweg: In diesem Fach, Musikwissenschaft (dort Musicology genannt), ist Oxford anerkanntermaßen reinste Provinz. Möglicherweise wollen die dortigen Professoren für dieses Fach einfach einmal nur über ihre Kleinstadt hinaus Gehör finden. Mir ist auch nicht bekannt, warum die moderne Notenschrift “kolonialistisch” sein soll (man könnte ebenso behaupten, das Dur-Moll-tonale System, das erst seit ca. 260 Jahren in der jetzt bekannten Form existiert, sei kolonisalistisch). Sollte es sich dabei um den Gegensatz von Noten weißen (Halbe, Ganze) und Noten mit schwarzen Köpfen (Viertel, Achtel und kleiner) handeln, könnte man daraus sicher eine kolonialistische historische Entwicklung konstruieren: Die mittelalterlichen Neumen (schwarz) des Mittelalters wurden dann in der Mehrstimmingkeit (ab ca. 1200) von der schwarzen -Mensuralnotation (schwarze Noten) abgelöst und diese ab Mitte des 15. Jahrhunderts von der weißen, in denen schwarze Noten nur noch (selten gebrauchte) kleine Werte darstellten. Deren Blütezeit war im 16. JH, also der Zeit, wo die europäische Kolonisierung der übrigen Welt begann.  Möglicherweise wäre dies für eine Masterarbeit in Oxford oder Lüneburg (Kulturwissenschaft) ein Thema und würde sicher vehement beklatscht. Allerdings: Die schwarzen Noten der modernen Notenschrift stellen eigentlich nahezu allein das musikalisch relevante Geschehen dar, sind also musikalisch erheblich bedeutsamer als die weißen Noten mit ihren “höheren” Werten.  Übrigens ist es nicht massive kulturelle Aneignung, wenn Yamaha Flügel, Trompeten etc. baut und die (nach europäischem Muster formierten) Orchester ostasiatischer Staaten vorwiegend europäische Musik spielen, und u .a. Maos Propagandakomponisten im schönsten abendländischen Stil schrieben - mit ein paar penatonischen Wendungen als “identitäres” Kolorit? Yun wäre ebenso ein Kolonialist gewesen wie Nagano und Ozawa.

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