Keinen Generalverdacht gegen Clowns, bitte!

Ein Gespenst geht um in Deutschland, greift Menschen an und macht die Polizei ratlos. Es sind selbst ernannte Horror-Clowns, die auf unseren Plätzen und Straßen ihr Unwesen treiben. Das Phänomen ist relativ neu und kommt – wie fast alles – aus den USA. Bundesweit wurden schon über 300 Vorfälle gemeldet, wobei die Dunkelziffer weit höher sein dürfte. Allein am vergangenen Wochenende gingen bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen 86 Notrufe ein. Eine erste bundesweite Übersicht zeigt Rostock mit 26 Vorfällen an der Spitze; es folgen Essen-Mülheim (12), München (elf) Gelsenkirchen (neun), Stendal (acht), Köln, Düsseldorf und Düren (je sieben).

Auch in Gütersloh, Krefeld und Bielefeld waren Horror-Clowns mit Baseballschlägern, Äxten und Kettensägen unterwegs, als würden sie sich um eine Rolle in einem Film von Stephen King bewerben. Bis jetzt ist kein Muster erkennbar. Die Fachleute stehen vor einem Rätsel. Die Angriffe seien „ein völlig neues Phänomen, das Grenzen auch strafrechtlicher Art überschreitet“, sagt Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Es gebe sicher „dumme Jungs“, die auf diesen Zug aufspringen. „Aber ich gehe davon aus, dass auch destruktive Menschen unter den Grusel-Clowns sind, die sadistische Motive ausleben.“ Die Annahme liegt nahe, müsste aber erst empirisch belegt werden. Dennoch haben einige Innenminister bereits erklärt, dass sie dem Spuk ein Ende setzen wollen, bevor er überhand nimmt. „Bei diesen angeblichen Clowns verstehen wir überhaupt keinen Spaß. Es ist perfide, eine so nette, freundliche, lustige Figur wie den Clown auf diese Art zu missbrauchen“, sagte Thomas Strobl (Stuttgart).

Auf den Clown zuzulaufen und "Hau ab!" rufen

Peter Beuth (Wiesbaden) kündigte an, die hessische Polizei werde „derartige Übergriffe nicht tolerieren und strikt dagegen vorgehen“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg empfahl, im Falle einer Bedrohung „auf den Clown zuzulaufen und ‚Hau ab!‘ zu rufen“. Der Münchner Circus Krone bietet Anti-Angst-Kurse für Coulrophobiker an – Menschen, die Angst vor Clowns haben.

Vermutlich kann man in der gegenwärtigen Situation nicht mehr machen, als versuchen, die Nerven zu behalten und vor überzogenen Reaktionen, wie z. B. einem generellen Verbot von Clownverkleidungen, zu warnen. So etwas würde die Clowns nur in die Isolation treiben. Die Gefahr, von einem Clown angegriffen zu werden, ist minimal, viel geringer als die, bei einem Gewitter von einem Blitz getroffen zu werden.

Man darf auch nicht übersehen, dass die meisten Clowns friedliche Menschen sind, die keinen Schrecken, sondern Freude verbreiten wollen. Alle Clowns über einen Kamm zu scheren, wäre nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv, es könnte die Guten in die Arme der Bösen treiben. Schon deswegen darf es keinen Generalverdacht geben.

Es muss auch bedacht werden, welchen Beitrag gerade Clowns zur Kultur des Abendlandes geleistet haben, von Giuseppe Grimaldi über Oleg Popow bis zu Bernhard Paul, dem Direktor des Circus Roncalli. Von der venezianischen Commedia dell’arte bis zum Berliner Theatre fragile. Was wäre das Abendland ohne die Clowns? Eine traurige Angelegenheit. Es liegt jetzt an den „Multiplikatoren“, sich für ein besseres Verständnis der Clown-Geschichte einzusetzen. Das Fach Clown-Kunde sollte in den Lehrplan eingeführt werden, um Ängste und Vorurteile gegenüber Clowns schon früh auszuräumen.

Ein stummer Schrei um Hilfe?

Natürlich muss dabei der Frage nachgegangen werden, wie aus einem ganz normalen Clown ein Horror-Clown werden kann, der seine Umwelt terrorisiert. Sind es Jugendliche, die traumatisiert wurden und sich nicht anders zu helfen wissen? Wurden sie von der Gesellschaft allein gelassen? Ist das bedrohliche Auftreten in Wahrheit nur ein „Gesprächsangebot“ an die Gesellschaft, ein stummer Schrei um Hilfe? Haben sich die Clowns spontan radikalisiert, oder war es ein längerer Prozess, den niemand aus der Umgebung der Betroffenen bemerkt hat?

Auch die Clowns sind gefordert, sich etwas einfallen zu lassen, um den entstandenen Schaden zu begrenzen. Eine klare, unmissverständliche Distanzierung von den Radikalen in den eigenen Reihen wäre mehr als sinnvoll. Dazu ein Hashtag #nicht-in-unserem-namen. Die echten Clowns im brasilianischen São Paulo haben bereits ein Zeichen gesetzt. Sie sind auf die Straße gegangen, um gegen die Horror-Kollegen zu protestieren. Das ist ein guter Anfang. Die nächsten Schritte müssen aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf DIE WELT/N 24 hier

Foto: Stefan Klinkigt

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Leserpost

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Michael Geir / 28.10.2016

Auch Horror-Clowns gehören zu Deutschland!  Wer es erfassen mag - der erfasse es.

Dr. med. Jesko Matthes / 27.10.2016

Rolling on the floor laughing - noch hübscher kann man es nicht auf den Punkt bringen.

Herbert Gasthuber / 27.10.2016

...köstlich wie immer, Herr Broder. Ich warte jetzt darauf, dass sich Claudia Roth in ein Clowns-Kostüm zwängt (falls das überhaupt jemand merkt) und Küsschen verteilt (für Diabetiker natürlich Plüschtiere)! Danke, Herr Broder - weiter so.

F.-W. Kathagen / 27.10.2016

Sehr geehrter Herr Broder, eine tolle Glosse, die ich mit viel Frohsinn gelesen und weitergereicht habe. Sie haben alle Versatzstücke des “Gutmenschensprechs” souverän genutzt. Chapeau! Mit freundlichen Grüßen Friedrich-W. Kathagen

Engelbert Gartner / 27.10.2016

Ich muß H. Marhoff widersprechen. Claudia Roth steht an erster Stelle !!

J. Wächter / 27.10.2016

Köstlich! Nur ein kleiner Kritikpunkt: Es müsste doch Clowns und Clowninen heißen, oder? ;-)

Hermann Feist / 27.10.2016

Hat sich denn der Zentralrat der Clowns oder der Liberal- clowneske Bund schon geäußert? Ich erwarte das diese die Taten scharf verurteilen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese nichts mit der Manege oder Sägespänen zu tun haben.

Thorben Hendrik / 27.10.2016

Nun, wer’s noch nicht bemerkt hat. Dies ist eine wohlfeile Satire unseres viel gelesenen Herrn Broder. Danke für den Lacher!

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