Wolfgang Röhl / 05.04.2016 / 13:25 / Foto: AP / 8 / Seite ausdrucken

Keinen Bock auf Beate

Auf ihren Sendeplatz um 20.15 Uhr kann die ARD im Prinzip das abseitigste Gerümpel aus dem Fundus stellen. Selbst eine Folge der „Schönsten Bahnfahrten durch den Nordschwarzwald (Nachtversion)“ würde noch eine Einschaltquote von drei oder vier Millionen erbringen. Was damit zu tun hat, dass zuvor die Hauptausgabe der „Tagesschau“ läuft. Die wird von einem Teil Rentner-Deutschlands noch immer als nachrichtliches Hochamt empfunden. Die Tagesschau generiert meist eine Quote zwischen fünfeinhalb und sieben Millionen. Viele Zuschauer bleiben hernach bei der ARD hängen, bügeln, lesen, knabbern oder machen ein Nickerchen. Was da genau auf dem Bildschirm zappelt und wuselt und flimmert, ist ihnen im Grunde so wurscht wie einem Säugling, der „schon aus hirnphysiologischen Gründen unfähig (ist), die Bilder aufzulösen und zu decodieren, so daß sich die Frage, ob sie irgend etwas ‚bedeuten’, gar nicht erst stellen kann“ (Hans Magnus Enzensberger in einem Essay von 1988 über das „Nullmedium“ Fernsehen).

Insofern war es eine kleine Sensation, als Mediendienste meldeten, das Erste habe am 30. März mit einer Sendung zur Prime Time lediglich 2,89 Millionen Zuschauer versammelt. Die zweite Folge – es handelte sich um einen Dreiteiler –, am 4. April ebenfalls um 20.15 Uhr ausgestrahlt, sackte gar auf 2,34 Millionen Zuschauer ab, ein historischer Tiefstand des Zuschauerinteresses. Was war da los?

Los war eine Rocky-Horror-Beateshow unter dem tenorsetzenden Obertitel „NSU – Mitten in Deutschland“. Sie bot in drei Teilen einen wirren Mix aus Spielfilm, Doku-Soap, Verschwörungstheorien und Thesengeklingel und grätschte dabei voll in eine noch längst nicht abgeschlossene Ermittlung hinein, in die drei Angehörigen der Neonaziszene zugeschriebene Serie von Morden an Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund.

Das ist nicht nur unter persönlichkeitsrechtlichen Aspekten – bei Bedarf von der ARD himmelhoch gehalten - ziemlich fragwürdig. Etwa wenn „Beatchen“, „Böhni“ und „Mundi“ den Zuschauern vorgeführt werden, als agierten hier die drei echten Protagonisten des Dramas in akkurat nachgestellten, durch Dokumente oder Zeugenaussagen belegten Szenen. Die „Unschuldsvermutung“ werde hier „grob verletzt“, kritisierte die Spiegelgerichtsreporterin Gisela Friedrichsen.

Noch kruder, wenn die Trilogie aus sattsam bekannten Skandalen wie ermittlungstechnischen Schlampereien und einseitigem behördlichen Vorgehen den Verdacht insinuiert, der Verfassungsschutz habe, bildlich gesprochen, bei der NSU-Mordserie quasi mitgeschossen. Das Gedöns der Produzentin Gabriela Sperl bei der Pressevorführung des Films, da sei „unter dem Schutz der ARD“ eine „eingeschworene Gemeinschaft von Menschen“ entstanden (nämlich die tapferen Mitstreiter des Filmprojekts), welche „gemeinsam den Willen hatten, zur Aufklärung und zur Wahrheitsfindung beizutragen“ – derlei prätentiöser Schmonzes über Fernseh- und Theaterfuzzis, die weder irgendein Mandat noch die geringste Befähigung besitzen, einen politischen Sumpf trocken zu legen, erboste sogar potenzielle Sympathisanten des NSU-Filmprojekts.

„Warum können die Filmschaffenden nicht warten, bis irgendein Vorgang im Rahmen der Aufarbeitung des NSU-Komplexes abgeschlossen ist, etwa durch ein Urteil in München?“ fragte die Filmkritikerin des Periodikums „konkret“, welches ansonsten unter jedem besseren Sofa einen Nazi in Nadelstreifen wittert, der den dritten Weltkrieg plant.

Dass das breite Publikum der NSU-Trilogie die kalte Schulter zeigte (immerhin sehenswert war die mittlere Folge, eine berührende Nahaufnahme der Opfer der Mordserie), hatte natürlich nichts mit moralischer oder juristischer Bedenkenträgerei zu tun. Es lag an zwei Umständen. Erstens an dem Ennui, den das bloße Kürzel NSU inzwischen auslöst. Denn die Medien haben das Thema beispiellos ausgewalzt; nicht selten, um darauf ihr politisches Lieblingssüppchen zu kochen. Nämlich die trübe Bouillon, das Neonaziwesen sei kein politisches Randständigen-Phänomen, sondern entspringe der „Mitte der Gesellschaft“.

Den Überdruss mit dem zuschanden gerittenen Sujet mussten übrigens auch die Macher einer anderen NSU-Soap namens „Letzte Ausfahrt Gera - Acht Stunden mit Beate Zschäpe“ erfahren. Die ZDF-Sendung erreichte am 26. Januar zur Prime Time ebenfalls nur magere 2,46 Millionen Zuschauer.

Entscheidender für den furiosen Misserfolg war aber, dass der von den Medien mit üppigen Vorschusslorbeeren umkränzte ARD-Dreiteiler eine handwerkliche Katastrophe darstellt. Mit Handlungssträngen ausgestattet, die beliebig zwischen reiner Fiktion und halber Realität hin und her springen; mit Anspielungen überfrachtet, die kein Mensch versteht. Vor angestrengter Wichtigmacherei sich ständig auf die Zehen tretend, ist das Ganze ein erschütterndes Arbeitszeugnis von Menschen, die vielleicht mal Filmhochschulen von innen, aber offenkundig niemals den Film „Z“ gesehen haben. Das ist der Vater aller dicht an der Realität gebauten Politthriller.

Wer das exemplarische Elend von Filmschaffenden besichtigen möchte, die nach dem Applaus der Guten im Lande gieren, aber noch nicht einmal einen halbwegs spannenden, nachvollziehbaren Plot zustande bringen, kann sich das Morgen antun: „Die Ermittler. Nur für den Dienstgebrauch“, ARD, 6.4., 20.15 Uhr.

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Leserpost

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Tomas Reiffer / 08.04.2016

In Ermangelung eines GEZ-Empfängers habe ich den Dreiteiler nicht gesehen, mir scheint aber, dass die Hauptfigur visuell betrachtet falsch besetzt wurde. Zschäpe war eine feme fatal mit verschwörerischem Schlafzimmerblick und ordentlich Holz vor der Hütte. Die Darstellerin dagegen sieht eher aus, wie die verwahrloste Schwester von Ronja Räubertochter. Sie wirkt auf mich nicht so, als hätte sie jahrelang gleich zwei Männer um den Finger gewickelt. Man darf nie vergessen: Zschäpe hatte de facto zwei Ehemänner gleichzeitig und es hat die beiden offenbar nicht gestört. Das ist ziemlich krass und meines Erachtens der Hauptantrieb für die Dynamik der drei untereinander. Egal welcher Film (oder gar eine Serie?) über den NSU gedreht wird, ihr Sexappeal muss im Mittelpunkt stehen.

Christoph Schrief / 07.04.2016

Ich lese den Artikel jetzt zum zweiten Mal und weiß immer noch nicht, worauf der Autor hinaus will. Das die ARD schon seit Jahren schlechte Fernsehspiele im Programm zeigt wissen wir doch. Warum sind diese Trilogie und ihre Zuschauerquoten besonders erwähnenswert? Ich habe nur den ersten Teil („Die Täter“) gesehen und fand die Leistung von Anna-Maria Mühe (sie spielt Beate Zschäpe) herausragend und den Film weit über dem normalen Fernsehspielniveau. Die anderen beiden Folgen haben mich allerdings auch nicht interessiert.

Volker STramm / 07.04.2016

Weiß jemand, ob die Justiz inzwischen wenigstens einen Beweis für die Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt gefunden hat?

Wolfgang Richter / 07.04.2016

Ich habe mir diese Machwerke nicht zu Gemüte geführt, vor allem, weil ich es als fragwürdig erachte, mit diesem nach Spielfilmart aufgemachten Filmwerk, das dem Konsumenten als Quasi-Doku serviert wird, an die Öffentlichkeit zu gehen, während der Strafprozeß gegen die vermeintliche überlebende Haupttäterin Beate Tschäpe noch nicht abgeschlossen ist. Vorverurteilung wird von den Moralwächtern der Republik sonst doch vehement abgelehnt, hier nicht, weil die “Guten” sich dazu schon ihre Meinung gebildet haben, die so sicher zutrifft, wie die Erkenntnisse des Otto-Normalo, warum es zu den Morden und den unzureichenden Ermittlungen kommen konnte. Und wenn sich offenbar die meisten einig sind, daß die polizeilichen Ermittler dämlich und die Verfassungsschützer quasi Mittäter sein müßten, so wird die Frage außen vor gelassen, welche Rolle die politisch Verantwortlichen ggf.  gespielt haben. So wußten z. B. die damaligen Innenminister von Bund u. Land den Medien zu vermelden, daß es bezüglich des Bombenanschlags in Köln keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund gibt, als die Ermittler von genau diesen Medien vor Ort noch gezeigt wurden, wie sie in ihren weißen Anzügen fleißig und pedantisch die Tatortspuren aufsammelten und protokollierten. Aber schön für den beruhigten Bürger, daß er die Welt für sich sauber in schwarz und weiß oder dämlich und ich-weiß-es-besser einteilen kann.

Brigitte Brils / 07.04.2016

„Warum können die Filmschaffenden nicht warten, bis irgendein Vorgang im Rahmen der Aufarbeitung des NSU-Komplexes abgeschlossen ist, etwa durch ein Urteil in München?” Vielleicht, eben weil es mit der Wahrheitsfindung nicht so recht vorangeht? In einer Zeit, in der Schauspieler auf der Straße angegangen werden, weil die Leute sie mit ihrer bösen Rolle verwechseln, kann man darauf hoffen, dass viele die Fiktion für die Tatsachen nehmen. Wohl wird in dem schlecht gemachten Dreiteiler die eine oder andere Ungereimtheit angetippt, ein bisschen der Verfassungsschutz verantwortlich gemacht, aber damit hat es sich. Um die Menschen zu bewegen, Mord, zumal rassistisch motivierten, abzulehnen, hätte es dieses Films nicht bedurft. Was will er also erreichen? Die unzureichend bewiesene offizielle Version nahelegen? Den vielen offenen Fragen ein Ende setzen?

Ina Schoenegge-Rezaee / 06.04.2016

Vielleicht haben nur wenige Leute diesen Dreiteiler gesehen. Vielleicht war er filmisch schlecht gemacht. Ich habe ihn jedoch gesehen und fand das Gezeigte sehr wichtig, wichtiger als die in Frage gestellte Qualität der Filmarbeit.  Es ist doch klar, dass spekuliert wird, warum das Trio über Jahre hinweg morden konnte, warum Beweise und Akten vernichtet wurden. Es ist interessant zu wissen, ob es einfach nur Dämlichkeit der Polizei und des Verfassungsschutzes war oder ob diese Verbrecher tatsächlich unter dem Schutz der Behörden ihr Unwesen treiben konnten und dafür auch noch gut bezahlt wurden.  Wenn die Macher des Films dilettantisch sind, die Organe, die uns und den Staat schützen sollen, sind dilettanischer. Es ist gut, dies aufzuzeigen.  Ich bin froh, ich dass die Filme gesehen habe und nein, ich habe die Berichterstattung über die NSU-Morde noch lange nicht über. Solange nicht, bis alle Ungereimtheiten aufgeklärt sind.

Reiner Hoefer / 06.04.2016

Ins Schwarze getroffen, absolut zutreffend Ihr Text. Die Frage “Warum machen die das?” ist ganz einfach beantwortet: Vom Beifall der “Guten” und Mächtigen lebt man gut. Eine andere Existenzgrundlage gibt es für die meisten nicht. Alles wie einst in der DDR.

Waldemar Undig / 06.04.2016

Dank der GEZ können es sich die öffentlichen Sendeanstalten leisten, Filme zu produzieren, die niemand sehen will. Ist doch egal. Hauptsache, es wurde was produziert.

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