Wer die öffentlichen Aussagen evangelischer Geistlicher oder grüner Politiker beurteilen will – besonders, wenn sie sehr schrill klingen –, der muss sich natürlich zunächst einige wichtige Fragen stellen. Zuerst: hat er oder sie das wirklich so gesagt? Dann: war es ein Versehen, gar nicht so gemeint, anders geplant oder ist vielleicht jemand auf der Maus ausgerutscht? Außerdem: steckt der russische Geheimdienst dahinter? Und zu guter Letzt natürlich: war die Aussage gegen Trump gerichtet? Was natürlich jederzeit jede Schrillheit rechtfertigen würde.
Ich lese die „Neue Presse“, gehe die Liste in Hinblick auf einen Artikel über den „Christopher Street Day 2017“ in Hannover durch und stelle zum Schluss erleichtert fest: Trump war weit weg, als Katrin Göring-Eckardt (KGE) mit kecker Stoffgirlande um die Hüfte auf die Bühne trat, und dort – angetan mit den sichtbaren Zeichen der Wählergruppensolidarität – mutig aussprach: „Ohne Ehe für alle gehen die Grünen in keine einzige Koalition in der nächsten Legislaturperiode. Das verspreche ich euch.“
Der anschließende Jubel klang schon so, wie die Grünen es sich für 18:05 Uhr am Wahlabend der Bundestagswahl erträumen. Ehe für alle also. Wie alle wissen – und der Anlass legt es nahe –, geht es um die sogenannte „Homo-Ehe“. Das Wort ist aus der Mode, obwohl es eigentlich sehr genau das beschreibt, was gesetzlich geregelt werden soll. Nämlich, dass schwule und lesbische Paare heiraten dürfen. Mit allen rechtlichen Konsequenzen. Und ja, dafür bin ich auch. Kein Problem, wo darf ich unterschreiben?
Was mich jedoch stutzig macht, ist der Anbiederungsgleichschritt von Politik und Medien an die Zielgruppe. War der „Christopher Street Day“ einst ein Signal der Emanzipation einer ehemaligen gesellschaftlichen Randgruppe, wird er inzwischen als Plattform für politische Statements der seltsamen Art benutzt, wenn etwa Angestellte der Stadtverwaltung Hannover mit regenbogenfarbenen Schirmchen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Gay for one day“ herlaufen. In anderem Zusammenhang, der allerdings kaum weniger gaga ist, würde dies sicher als verwerflicher Akt „kultureller Aneignung“ gegeißelt werden.
Die schönsten politischen Büttenreden
In dieselbe Falle tappte schon im Januar der Chefredakteur der "WELT"-Gruppe, Ulf Poschardt, als er twitterte: „Wir müssen uns gegen Donald Trump wehren und besser, mutiger, fleißiger, innovativer, freier, offener, schwuler und multikultureller werden.“ Jede Minderheit „mitnehmen“, auch wenn es nur mit leeren Worten ist, die im Alltag keine Entsprechung finden. So gesehen müssen wir wohl auch brünetter, kurzsichtiger, schwatzhafter, tuberkulöser und islamischer werden, damit sich keiner ausgegrenzt fühlt. Doch Poschardt ist nicht schwul und auch die Stadtverwaltung Hannover ist es „in echt“ nicht mal für einen Tag. Und das ist weder gut noch schlecht so!
Die schönsten politischen Büttenreden lassen sich dort halten, wo das Publikum über eine einheitliche Eigenfrequenz verfügt, über die man es perfekt in Schwingung und Stimmung versetzen kann. Deshalb spricht man vor Bauern über Agrarsubventionen, vor jungen Müttern über Kindergartenplätze, vor Rentnern von Rentenerhöhung und vor Schwulen und Lesben eben über die „Ehe für alle“. Logisch, oder? Na ja, eigentlich nicht, weil ja auch alleinerziehende Lesben Probleme haben, einen Kindergartenplatz zu finden, auch ein schwuler Landwirt die Milchpreise beklagenswert finden wird und die Rentenlücke für einen bisexuellen Geringverdiener genauso verheerend sein wird wie für jeden anderen Geringverdiener auch. Mir kommt die Art der Ansprache, wie KGE sie in Hannover benutzt hat, extrem oberflächlich und verlogen vor, genau wie alle Migranten aus dem arabischen Raum von der Politik vor allem unter dem Aspekt „Muslime“ angesprochen werden. So als wäre das alles, was sie sein sollen und somit auch alles, was wir ihnen zwecks Integration zu ermöglichen haben.
Und dann wird es auch noch suggestiv, wenn Argumente „für“ mit einem alternativlosen „gegen“ verknüpft werden und man die hübsch selektierte Zielgruppe in toto auf den politischen Gegner hetzen kann. Frau Göring-Eckardt konnte denn auch der Versuchung nicht widerstehen, ihrem Publikum ihr Unverständnis darüber auszudrücken, dass es immer noch „so viele Konservative“ gibt: „Diese Leute sind nicht homophob, das sind einfach Arschlöcher“, waren ihre Worte, mit denen sie auch jene Konservativen Schwulen und Lesben beleidigte, die gegen die „Ehe für alle“ sind. Die gibts nämlich auch.
Nun, es gibt sehr viel zwischen Rhein und Spree, was man zu KGE’s Unverständnis rechnen darf. Dazu gehört mit Sicherheit die Frage, „wie diese Konservativen so ticken“. Einer dieser „Ticks“ ist zum Beispiel, dass viele Konservative so ihre Probleme mit der „Ehe für alle“ haben, aus deren Sicht oft sogar gewichtige Gründe dagegen vorbringen. Man muss diese Gründe nicht teilen. Man muss diese Menschen auch nicht überzeugen oder „ändern“. Man muss auch nicht „Gay for one day“ sein oder „schwuler werden“. Man muss es aber als Meinung tolerieren, beschimpfen muss man sie jedenfalls deshalb nicht. Und wenn es eines Tages ein Gesetz geben sollte, das die „Ehe für so gut wie alle und jeden“ regelt, müssten diese Konservativen es respektieren. Selbst dann, wenn sie, diese „Arschlöcher“, es immer noch ablehnen sollten.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.