Ulrike Ackermann / 04.05.2009 / 21:18 / 0 / Seite ausdrucken

Kapitalismus und individuelle Freiheit

“Freedom is just another word for nothing left to lose, nothing don’t mean nothing honey if it ain’t free…”, intonierte Janis Joplin damals in ihrem berühmten Song Me and Bobby McGee – die gefeierte Absage an Eigentum und bürgerliche Besitzstände zugunsten des Reichs der Freiheit. Es war zugleich ein leidenschaftlicher Appell für die individuelle Freiheit, die man ergreifen könne, wenn man, befreit von materiellen Fesseln, nichts mehr zu verlieren hat. Und es ist der alte Traum, die Demokratie ohne den Kapitalismus haben zu wollen.
Aber gibt nicht das unabsehbare Desaster der globalen Finanzkrise, die die Realwirtschaft zunehmend mit sich reißt, den Kritikern des Marktes recht? Richtet sich der Kapitalismus gerade selbst zugrunde und begräbt beides, die wirtschaftliche und individuelle Freiheit? Sind die 1,5 Billionen $, die bis jetzt schon im Orkus verschwunden sind, nicht eindrücklicher Beleg dafür, daß dieses Wirtschaftssystem ausgedient hat?
Das antikapitalistische Ressentiment galt von jeher nicht nur dem Finanzkapital oder Großindustriellen, sondern immer auch dem Markt selbst. Er verkörpert das Unberechenbare und Riskante, das Offene und die Ungewißheit, die Möglichkeit des Gewinnens und des Scheiterns. Obwohl er über die Jahrhunderte als Entdeckungs- und Entmachtungsinstrument mit seinem Wettbewerb des Wissens den Lebensstandard weltweit verbessert, den Menschen ein längeres und gesünderes Leben beschert hat, ist er zugleich die ideale Projektionsfläche für alle Arten von Lebensangst der Moderne. Daß in unserer offenen Gesellschaft Kräfte und Dynamiken am Werke sind, die nicht vollständig zu begreifen und zu beherrschen sind, sorgt erst recht in Zeiten der Krise für große Beunruhigung. In diesem Mißtrauen gegenüber dem Unbekannten, nicht Planbaren, nicht Kontrollierbaren spiegelt sich nicht zuletzt die Angst vor der Freiheit wider. Abgewehrt wird sie unter anderem, indem der kapitalistische Markt zum Sündenbock und Verursacher allen Übels erklärt wird.  Und das derzeitige ökonomische Debakel wird naturgemäß dem globalen Marktversagen zugeschrieben - an vorderster Stelle den von Gier besessenen Investmentbankern. Selbstverständlich hat der Wettlauf auf eine schnelle Rendite und Vergütungssysteme, die den kurzfristigen Gewinn exorbitant belohnen und Verluste unsanktioniert passieren lassen, die Krise beflügelt. Das geschickte Unterlaufen bestehender Regeln und mangelnde Aufsicht gegenüber den Banken taten ihre Übriges. Auch die Kreation zunehmend komplexerer Finanzprodukte, die selbst ihre Erfinder kaum noch durchschauten, und die Neigung der wirtschaftlichen Akteure, immer waghalsigere Risiken einzugehen, diente wahrlich nicht einer langfristigen Stabilität der Finanzmärkte.  Und die Praxis, Risiken aus den Bilanzen in eigens dafür gegründete Zweckgesellschaften auszulagern, folgte dem gängigen Motto für den Umgang mit Lästigem: ‚aus den Augen, aus dem Sinn’. Aber das Verdrängte kehrt zurück, wie wir wohl wissen. Und die Kreditblase wuchs und wuchs, bis sie platzte. Zum rapiden Ansehensverlust des Kapitalismus trugen seine Akteure obendrein noch bei, als sie – je ausufernder sich die Krise gestaltete – aus dem öffentlichen Raum abtauchten und erst wieder zu hören und zu sehen waren, als sie nach staatlicher Hilfe riefen. Sie zeigten damit weder ein Selbstbewußtsein als Marktakteure noch ein Bewußtsein davon, daß wirtschaftliche Freiheit an Verantwortung gekoppelt ist. Dem Ansehen der Freiheit, die sowieso nicht hoch im Kurs steht, haben sie damit einen Bärendienst erwiesen.
Paradox an der aktuellen Misere ist allerdings, daß sie ihren Ausgang gerade nicht im unregulierten Markt, sondern in einer Politik staatlicher Fehlanreize nahm. Die amerikanische Zentralbank hatte ihren Leitzins mit dem erklärten Ziel herabgesetzt, die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt anzukurbeln. Demokraten und Republikaner im Kongreß favorisierten das Eigenheim für jedermann. Die staatlich geförderten Hypothekenkonzerne Fannie Mae und Freddie Mac akzeptierten in ihrer Kreditvergabe ausdrücklich auch nicht pfändbare Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe der zukünftigen Hauseigentümer.
Mit den weltweit gigantischen Staatsinterventionen scheint man aber den Teufel mit dem Belzebub austreiben zu wollen. Immer neue Rettungsschirme, Bürgerschaften, Verstaatlichungen und Investitionsprogramme, die längerfristig den Wettbewerb verzerren, Protektionismus schüren und die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben, nähren die Illusion, die Politik könne schon wieder alles richten. Die ökonomischen Prozesse seien planbar, regulierbar und steuerbar. Endlich, so frohlockt die politische Klasse, hätte die Politik wieder das Primat über die Wirtschaft gewonnen. Und in der Bevölkerung wächst die Sehnsucht, der Staat möge zur Absicherung seiner Bürger wie ein gütiger Vater lenken und regulieren, Ungewißheiten und Risiken verbannen. Geträumt wird sogar von einer Weltwirtschaftsregierung, die uns aus dem ganzen Schlamassel befreien könne. Auch Angela Merkel bedient das antikapitalistische Ressentiment, wenn sie zum 20. Jahrestag des Bankrotts der kommunistischen Planwirtschaft nun wieder für den „Dritten Weg“ zwischen ungezügeltem Kapitalismus und Staatswirtschaft wirbt. Doch der Wunsch nach Lenkung und Regulierung unterstellt den politischen Akteuren eine Neutralität, die sie, eingebunden in ihr Interesse, gewählt und wiedergewählt zu werden, gar nicht aufbringen können. Demgegenüber ist der Markt als Austragungsort doch wohl die neutralere Instanz, so er sich an Regeln hält – auch wenn er mit Fehlern, Irrtümern und zyklischen Krisen behaftet ist. Auch seine Akteure sind selbstverständlich interessegeleitet, aber sie stehen im Wettbewerb miteinander.
Dem Markt verdanken wir die sich über Jahrhunderte ausdifferenzierte Arbeitsteilung, die den Menschen immer größere Lebensoptionen eröffnete und die Potentiale ihrer Freiheit erweiterte. Ohne ihn gäbe es keine Moderne. Deshalb betonte der Sozialphilosoph und Ökonom Friedrich August von Hayek: „Der Wettbewerb ist im wesentlichen ein Prozeß der Meinungsbildung: indem er Informationen verbreitet, schafft er jene Einheit und jenen Zusammenhang des Wirtschaftssystems, den wir voraussetzen, wenn wir es uns als einen Markt denken. Er schafft die Ansichten, die die Leute darüber haben, was am besten und billigsten ist, was die Menschen über Möglichkeiten und Gelegenheiten wissen, das erfahren sie durch ihn. Er ist ein Prozeß, der einen ständigen Wechsel in den Daten in sich schließt und dessen Bedeutung daher von keiner Theorie erfaßt werden kann, die diese Daten als konstant behandelt.“ An anderer Stelle heißt es bei ihm: „In viel größerem Maße als bisher muß erkannt werden, daß unsere gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung nicht in erster Linie das Ergebnis eines menschlichen Entwurfs ist, sondern aus einem wettbewerblichen Prozeß hervorging, in dem sich die erfolgreicheren Einrichtungen durchsetzten.“
Der Markt funktioniert aber nicht ohne eine entwickelte Geldwirtschaft. Dem Soziologen Georg Simmel verdanken wir den luziden Hinweis auf den Zusammenhang von sich ausweitender Geldwirtschaft und der Zunahme individueller Freiheit. An der Schwelle des 20. Jahrhunderts beschrieb er diesen Prozeß in seiner Philosophie des Geldes (1898). Für Simmel ist die moderne Freiheit des Individuums ohne das Geldwesen nicht denkbar. Erst das Geld ermöglicht die Befreiung von persönlicher Herrschaft und schafft die Möglichkeit, ein individuelles Leben zu führen. Es ist Mittel, um sich aus personaler und sachlicher Abhängigkeit zu lösen. Noch im Mittelalter befindet sich der Mensch in „bindender Zugehörigkeit zu einer Gemeinde oder zu einem Landbesitz, zum Feudalverband oder zur Korporation; seine Persönlichkeit war eingeschmolzen in sachliche und soziale Interessenskreise.“ Besitz und Besitzer waren früher über dingliches Eigentum miteinander verbunden. Erst das Geld stiftete eine Entfernung zwischen Person und Besitz, zwischen Haben und Sein, indem es das Verhältnis zwischen beiden zu einem vermittelten machte. „Dadurch erzeugt das Geld auf der einen Seite eine früher unbekannte Unpersönlichkeit alles ökonomischen Tuns, andererseits eine ebenso gesteigerte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Person.“ Zugleich schafft der Geldverkehr eine neue starke Bindung zwischen Mitgliedern desselben Wirtschaftskreises: „Indem das Geld die Teilung der Produktion ermöglicht, bindet es die Menschen unweigerlich zusammen, denn nun arbeitet jeder für den andern, und erst die Arbeit aller schaft eine umfassende wirtschaftliche Einheit, welche die einseitige Leistung des Individuums ergänzt.“ Damit enstand eine neue Proportion zwischen Freiheit und Bindung und eröffnete dem Individuum und seinem Gefühl innerer Unabhängigkeit einen größeren Spielraum. „Gegenüber den Zeiten, wo jede äußerliche Beziehung zu anderen zugleich personalen Charakter trug, ermöglicht das Geldwesen so, entsprechend unserer Charakterisierung der Neuzeit, eine reinlichere Scheidung zwischen dem objektiven ökonomischen Tun des Menschen und seiner individuellen Färbung, seinem eigentlichen Ich, das jetzt ganz aus jenen Beziehungen zurücktritt und sich aus ihnen mehr als je gleichsam auf seine innersten Schichten zurückziehen kann. Die Ströme der modernen Kultur ergießen sich in zwei scheinbar entgegengesetzte Richtungen: einerseits nach der Nivellierung, der Ausgleichung, der Herstellung immer umfassenderer sozialer Kreise durch die Verbindung des Entlegensten unter gleichen Bedingungen, und andererseits auf die Herausarbeitung des Individuellsten hin, auf die Unabhängigkeit der Person, auf die Selbstständigkeit ihrer Ausbildung. Und beide Richtungen werden durch die Geldwirtschaft getragen, die einerseits ein ganz allgemeines, überall gleichmäßig wirksames Interesse, Verknüpfungs- und Verständigungsmittel, andererseits der Persönlichkeit die gesteigertste Reserviertheit, Individualisierung und Freiheit ermöglicht.“ Das Geld erzeuge also eine höhere Potenz des allgemeinen Eigentumbegriffes, in der schon durch die Rechtsverfassung der spezifische Charakter jedes sonstigen Sachbesitzes aufgelöst und das geldbesitzende Individuum einer Unendlichkeit von Objekten gegenübergestellt wird, deren Genuß ihm gleichmäßig durch die öffentliche Ordnung garantiert sei. „Die völlige Unabhängigkeit des Geldes von seiner Genesis, sein eminent unhistorischer Charakter spiegelt sich nach vorwärts in der absoluten Unbestimmtheit seiner Verwendung.“ Mit der Etablierung der Geldwirtschaft werden Haben und Sein unabhängig von einander und erschließen dem Individuum einen weit größeren Radius subjektiver Handlungsoptionen. Denn jeder andere Besitz stellt an das Individuum viel bestimmtere Forderungen und übt viel bestimmtere Wirkungen auf es aus, fesselt und determiniert es. „Erst der Geldbesitz gibt, wenigstens unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze nach beiden Seiten hin volle Freiheit.“ Der Geldwirtschaft verdanken wir im übrigen erst die allmähliche Herausbildung ganz neuer Berufsklassen, deren Tätigkeit sich jenseits jeder wirtschaftlichen Beziehung entwickelte: nämlich geistige Tätigkeiten, denen Lehrer, Literaten, Künstler, Ärzte, Gelehrte, oder Regierungsbeamte dann nachgehen konnten. Erst dadurch hat sich ein „arbeitsteiliges Sich-Selbst-Gehören der Intellektualität“ entfalten können. Und Simmel schloß daraus: „Damit hilft die Geldwirtschaft einen der Betrachtung nicht unwerten Begriff der Freiheit zu verwirklichen.“ Sie liefert dem Individuum damit die Möglichkeit, seine individuellen Freiheitspotentiale zu entdecken und auszuschöpfen. „Da der Mensch aus einer Anzahl von Qualitäten, Kräften und Impulsen besteht, so bedeutet Freiheit die Selbstständigkeit und nur dem eigenen Lebensgesetz folgende Entfaltung jedes derselben.“
Georg Simmel konnte in seinen Überlegungen zu dem innigen Verhältnis von Geldwirtschaft - d.h. ja letzlich wirtschaftlicher Freiheit - und individueller Freiheit bestens an liberale Denktraditionen des 19. Jahrhunderts anknüpfen. Aufs Vortrefflichste verkörpert diese John Stuart Mill. Vor 150 Jahren erschien seine Schrift On Liberty, in der der britische Philosoph und Ökonom seine Prinzipien der Freiheit entwickelte. Das eigentliche Gebiet der menschlichen Freiheit umfaßte für ihn als erstes „das innere Feld des Bewußtseins und fordert hier Gewissensfreiheit im weitesten Sinne, ferner Freiheit des Denkens und des Fühlens, unbedingte Unabhängigkeit der Meinung und der Gesinnung bei allen Fragen, seien sie praktischer oder philosophischer, wissenschaftlicher, moralischer oder theologischer Natur… Zweitens verlangt dies Prinzip Freiheit des Geschmacks und der Studien, Freiheit, einen Lebensplan, der unseren eigenen Charakteranlagen entspricht, zu entwerfen und zu tun, was uns beliebt, ohne Rücksicht auf die Folgen und ohne uns von unseren Zeitgenossen stören zu lassen – solange wir ihnen nichts zuleide tun – selbst wenn sie unser Benehmen für verrückt, verderbt oder falsch halten. Drittens: Aus dieser Freiheit jedes einzelnen folgt – in denselben Grenzen – diejenige, sich zusammenzuschließen, die Erlaubnis, sich zu jedem Zweck zu vereinigen, der andere nicht schädigt.“ Mit 17 landete Mill im Gefängnis, weil er Flugblätter zugunsten der Empfängnisverhütung verteilt hatte. Als Parlamentsabgeordneter focht er für das Frauenwahlrecht. Seine Freundin und spätere Gattin Harriet Taylor war maßgeblich an seinem philosophischen Werk beteiligt. Zuvor hatte Mill in führender Position bei der Handelsgesellschaft East India Company seine Erfahrungen in der Wirtschaft gesammelt. Er zog sich übrigens aus dem Unternehmen zurück, als es verstaatlicht wurde. Daß zum Leben auch Unglück, Rückschläge und gravierende Krisen gehören, erfuhr er mehrfach am eigenen Leibe. Sie veranlaßten ihn, den rationalistischen Utilitarismus, den sein Vater James und dessen Freund Jeremy Bentham vertraten, einer Revision zu unterziehen. Ganz ähnlich wie sein französischer Kollege Benjamin Constant machte er gegenüber der „alten“ politischen Freiheit, die sich in der Demokratie und der Teilhabe ihrer Bürger erschöpfte, die individuelle Freiheit stark. Die freie Entwicklung der Persönlichkeit und Selbstbestimmung waren für ihn die Hauptbedingungen der Wohlfahrt. In Anknüpfung an Wilhelm von Humboldt sah er in der „Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situationen“ die Voraussetzung, aus deren Vereinigung „individuelle Kraft und mannigfaltige Verschiedenheit entspringen“, die die Originalität jedes Individuums ausmachen. Gegen Konformismus, Gleichförmigkeit und Mittelmäßigkeit setzte er die Eigenwilligkeit des Individuums. Gerade weil die Tyrannei der öffentlichen Meinung so stark sei, daß das Exzentrische einem zum Vorwurf gemacht würde, sei es gerade erwünscht, exzentrisch zu sein, um diese Tyrannei zu durchbrechen. Daß es so wenige wagten, enthülle die hauptsächliche Gefahr der Zeit. Im Staat sah er eine Ordnungsmacht, die in ihrer Wirtschaftspolitik Grundbedürfnisse der Bevökerung garantieren solle, wie z.B. die Sicherung der Gas- und Wasserversorgung oder den Eisenbahnbau. Zugleich müsse der Staat die Bildung von Monopolen und einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern. Auch die Armenpflege war für Mill eine staatliche Aufgabe, soweit sie nicht die Eigeninitiative ersticke. Doch „der Wert eines Staates ist auf lange Sicht der Wert der Individuen, die ihn bilden…. Und ein Staat, der die Interessen der geistigen Entwicklung dieser Individuen vernachlässigt zugunsten einer etwas besser funktionierenden Verwaltung….. ein Staat, der seine Menschen verkümmern läßt, um an ihnen – selbst für nützliche Zwecke – gefügige Werkzeuge zu besitzen, wird merken, daß mit kleinen Menschen wahrlich keine großen Dinge vollbracht werden können und daß die Vervollkommnung der Maschinerie, der er alles geopfert hat, schließlich doch nichts nutzt. Denn er hat es vorgezogen, die lebendige Kraft zu verbannen, damit die Maschine glatter laufe.“ Trotz der Irrungen und Wirrungen des westlichen Zivilisationsprozesses und der Exzesse der Französischen Revolution, ist sein Votum klar:  „Der Geist des Fortschritts ist nicht immer der Geist der Freiheit, denn er kann darauf hinzielen, einem Volke Fortschritt gegen seinen Willen aufzuzwingen…. aber die einzige untrügliche und dauerhafte Quelle für den Fortschritt ist die Freiheit, weil durch sie ebensoviel unabhängige Zentren des Fortschritts möglich sind, als Individuen vorhanden. Das Fortschrittsprinzip aber ist in jeder Form, ob als Liebe zur Freiheit oder zur Vervollkommnung, dem Übergewicht der Gewohnheit feind, indem es zum mindesten die Befreiung von diesem Joch impliziert. Der Kampf zwischen diesen beiden macht das Hauptinteresse der Menschheitsgeschichte aus.“
Im Unterscheid zum angelsächsischen Raum ist den Deutschen die individuelle Freiheit immer noch weniger wert als Gleichheit und Sicherheit. Eine Neubesinnung darauf, welch kostbarer Schatz sie ist und was wir ihr als Motor in unserem Zivilsationsprozeß zu verdanken haben,  stünde uns heute nicht schlecht zu Gesichte. So wie die Moderne ohne Geldwirtschaft, die Demokratie ohne Kapitalismus, ist auch die Freiheit ohne Krisen nicht zu haben. Und Krisen fordern zur Sebstvergewisserung heraus. Sie nötigen uns und geben uns zugleich die Chance, das Verhältnis von politischer, wirtschaftlicher und individueller Freiheit neu auszutarieren. Eine tragende Verbindung dieses Dreigestirns ist allerdings die Verantwortung, um die kein Individuum à la longue herumkommt. Denn Freiheit doch viel mehr bedeutet als jener Zustand, in dem man nichts mehr zu verlieren habe, wie Janis Joplin in ihrem Lied singt.

(Zuerst erschienen im Merkur Mai/2009, „Soziologie-Kolumne“)

 

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