Angela Merkel überschätzt den seidenen Faden, an dem ihr politisches Schicksal hängt. Der Vorstoß der CSU, 2017 notfalls ohne Angela Merkel in den Wahlkampf zu ziehen, ist mehr als das übliche bayerische Gepolter unter Schwesterparteien. Es könnte zum Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel werden. Ein Krisen-Wahlkampf ohne die Rückendeckung der CSU ist bei gleichzeitigem Massenzustrom zur AfD selbst für Merkel nicht gewinnbar. Sie würde ihn wahrscheinlich nicht einmal antreten. Und da beginnt das Hartleder des Münchner Fehdehandschuhs. Horst Seehofer handelt diesmal wohl überlegt und mit strategischem Kalkül.
Das metallene Blitzen eines echten machtpolitischen Dolches
Der Vorstoß ist – entgegen erster Verlautbarungen – im Kanzleramt wie ein Donnerschlag wahrgenommen worden. Nach außen gibt man sich kühl und unbeirrt, man lässt heraus wispern, dass es sich um übliches Backenblasen aus Bayern handele. Doch in Wahrheit sieht die Kanzlerin diesmal das metallene Blitzen eines echten machtpolitischen Dolches. Sie hat die CSU und Horst Seehofer zu lange am ausgestreckten Arm ihrer Flüchtlingspolitik verhungern lassen, sie ist ihr nicht ein Stück entgegen gekommen und hat selbst drohende Verzweiflungsbriefe aus Bayern erst Monate später mit Plattitüden beantwortet. Kurzum: Merkel hat München behandelt wie eine Königin einen Hausdiener, abtropfend.
Die starre Haltung der Kanzlerin, sich ihre Offentorpolitik weder durch Umfragen noch durch Unruhen, weder durch Obergrenzen noch durch Orbangespräche, nicht durch Wien und nicht durch Wahlniederlagen revidieren zu lassen, wird in München als arrogant empfunden. Die CSU fühlt sich in ihrer frühen Kritik an der Migrationspolitik durch Umfragen und Wahlergebnisse dramatisch bestätigt. In München hätte man sich bis zuletzt mit Signalen des Kompromisses zufrieden gegeben; „da aber die Kanzlerin immer noch kalt bleibt, hat das machtpolitische Rückspiel nun begonnen“, heißt es unter den Christsozialen: Die CSU legt der Kanzlerin nach allerlei gezückten gelben Karten nun die rote sichtbar auf den Tisch. Der Vorgang ist nicht mehr und nicht weniger als ein offenes Misstrauensvotum, eine gefühlte Abwahl. Denn selbst alte Merkelianer wissen: Wenn Merkel nicht mehr Kanzlerkandidatin der CSU ist, wird sie auch keine Kanzlerin mehr. Die CSU spielt jetzt machtpolitischen Hartball.
Die Koalition ist in der wichtigsten politischen Frage dieser Legislatur offiziell gescheitert
Die Trennungs-Drohung ist aus vier Gründen ein Wirkungstreffer: Erstens distanziert sich die CSU nun geradezu amtlich und vor den Augen der gesamten Republik von Merkels Migrationspolitik. Damit ist in der wichtigsten politischen Frage dieser Legislatur die Koalition offiziell gescheitert. Da die CSU in dieser Frage aber die Mehrheit der eigenen Wählerschaft auf ihrer Seite weiß, wirkt die Ankündigung wie eine Abmahnung an die Kanzlerin. Deren Macht erodiert ohnedies im Zeitraffer. Die Unionsumfragen sind im freien Fall, die AfD bricht massiv in die eigene Wählerschaft ein und nun ist das Tabu gebrochen, dass man die Kanzlerin unbedingt zum Machterhalt brauche. Fortan werden sich auch innerhalb der CDU immer mehr Politiker aus der Deckung wagen und der Offentorpolitik Merkels ebenfalls widersprechen. Ein Domino-Effekt der Distanzierungen könnte folgen, von der Umkehrforderung des Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts über die Kritik des hessischen Ministerpräsidenten an der falschen Wahlanalyse Berlins bis zur bemerkenswerten Feststellung der Ministerpräsidentin des Saarlands, Angela Merkel sei nicht unersetzlich.
Zweitens erhöht die CSU damit die Wahrscheinlichkeit, dass Angela Merkel von sich aus als Kanzlerkandidatin 2017 gar nicht mehr antreten will. Merkel weiß um die tiefe Krise ihrer Kanzlerschaft und würde in keinen Wahlkampf ziehen, den sie nicht zu gewinnen glaubt. Sie müsste sich zur Rettung ihrer Kandidatur nun sichtbar auf die CSU zubewegen und die Wogen glätten. Danach sieht es aber nicht aus. Also unkt man in Berlin, dass sie lieber die letzte Chance nutzen könnte, ehrenvoll in ein anderes Amt – etwa in das des Uno-Generalsekretärs – zu wechseln oder sich unbesiegt aus der Politik zurückzuziehen. Noch keinem Kanzler der Bundesrepublik ist ein freiwilliger, selbst bestimmter Abschied in Souveränität gelungen.
Gelingt ein selbstbestimmter Abschied in Souveränität?
Drittens eröffnet der Vorstoß Horst Seehofer neue Optionen. Die Ankündigung der CSU, dass man 2017 mit dem CSU-Chef an der Spitze in den Wahlkampf ziehen wolle, setzt eine personelle Agenda der Alternative zu Merkel. Im Klartext heißt das nichts anderes, als dass Seehofer sich als Kanzlerkandidat ins Spiel bringt. Diese Provokation könnte eine eigene Wirkmacht entfalten. Schon jetzt signalisieren Umfragen Horst Seehofer, gerade wegen seiner Flüchtlingspolitik, ungewöhnlich hohe Zustimmungswerte, nicht mehr nur in Bayern.
Auch seine CSU bekäme deutschlandweit derzeit große Gefolgschaft. Eine aktuelle dimap-Umfrage zeigt, dass fast die Hälfte der befragten Wahlberechtigten (45 Prozent) eine bundesweite Wählbarkeit der Christsozialen „gut" fände. Besonders wichtig für Union: Mehr als zwei Drittel der befragten AfD-Anhänger (68 Prozent) sind dafür, dass die CSU künftig in ganz Deutschland wählbar ist. Das heißt – mit Horst Seehofer an der Spitze könnte die Union Teile der in Scharen zur AfD abwandernden Wähler wieder zurück gewinnen.
Entgegen des im Kanzleramt gerne kolportierten Bildes vom wankelmütigen Landesfürsten genießt der CSU-Ministerpräsident obendrein im Freistaat selber stabil großes Ansehen. Mit 70 Prozent attestieren ihm mehr als zwei Drittel der Bayern, ein guter Ministerpräsident zu sein. Die CSU-Anhänger stehen nahezu geschlossen hinter dem Regierungschef (92 Prozent). Überwiegend positiv äußern sich aber auch die Anhänger der Freien Wähler (76 Prozent) und sogar die der SPD (55 Prozent).
Schäuble, von der Leyen und Seehofer sind im Geschäft
Damit ergibt sich viertens die Chance für die CSU, im Moment der sich zuspitzenden Krise den Anspruch auf den Führungszugriff zu erhalten. Sollte Angela Merkel in diesem Sommer ihren Verzicht auf eine weitere Amtszeit erklären, bräche in der Union ein Kandidatenstreit los – neben Schäuble und von der Leyen ist ab sofort Horst Seehofer mit im Geschäft um die Macht.
Und noch eine Option öffnet die Trennungsdrohung für die CSU – sollte die Flüchtlingskrise sich wieder verschärfen (was beim nächsten islamistischen Attentat sofort der Fall wäre), Merkel weiter stur bleiben und die Säulen der Republik neuerlich ins Wanken kommen, dann wäre die Stunde für die bundesweite Ausdehnung der CSU gekommen. Demoskopen sagen der CSU bis zu 20 Prozent an Wählerzustimmung bundesweit voraus. Die Wahlen in europäischen Nachbarländern zeigen zudem, wie dramatisch die Wählerschaft rechts in Bewegung gekommen und im Wachsen begriffen ist. Anders als die CDU ist die CSU nicht gewillt, der AfD das konservative Feld kampflos zu überlassen. Sie hätte also eine historische Gelegenheit, den rechtspopulistischen Strom der Geschichte auf ihre eigenen Mühlen zu leiten.
Eine historische Gelegenheit den rechtspopulistischen Strom umzuleiten
Die verbale Klarheit der CSU-Spitze in ihrem Abgrenzungsvorstoß ist ein Indiz dafür, dass die CSU sich mit ernsteren und weit reichenderen Erwägungen trägt als nur mit einem vorüber gehenden Donnergrollen. Vor allem die Einlassungen Alexander Dobrindts lassen aufhorchen. Dobrindts Fehdehandschuh an seine Kanzlerin im Spiegel war mit Seehofer konzertiert. In der CSU weiß man: Immer wenn Alexander Dobrindt und Horst Seehofer etwas gemeinsam aushecken, dann sollte man genauer hinschauen. Denn das alte Gespann, das vor Jahren die CSU verblüffend geschickt aus einer schweren Krise holte, ist angriffslustig und lebendig. Seehofers Ex-General und Bundesverkehrsminister ist Seehofers Stratege für die Bundespolitik.
Wenn dann von „schwerwiegendsten Differenzen seit 40 Jahren“ und „tiefgreifender Entfremdung“ und einer „Schicksalsgemeinschaft aus CDU und CSU“, deren Krise „lange nachwirken“ werde, die Rede ist, dann sollte man wissen – die Wortwahl ist dramatisch und sie ist bedacht. Die CSU grenzt sich nicht bloß von Angela Merkel und ihrer Migrationspolitik ab. Sie positioniert sich offensiv – schon um bei der eigenen Landtagswahl 2018 nicht in den Merkel-Strudel gerissen zu werden. Der bewusste Hinweis auf 1976 und die Duplizität der Provokation sollte für die CDU ein Alarmzeichen sein. 1976 drohte das Bündnis von CDU und CSU am Kreuther Trennungsbeschluss zu zerbrechen, weil Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß einen Macht- und Richtungskampf nach der verlorenen Bundestagswahl 1976 ausfochten. Die CSU ruderte wenig später scheinbar zurück, als die CDU damit drohte, ihrerseits in Bayern einen Landesverband zu gründen. In Wahrheit gewann die CSU durch den Trennungspoker etwas, wovon in Deutschland bald wieder die Rede sein könnte: die Kanzlerkandidatur eines CSU-Vorsitzenden bei der kommenden Bundestagswahl.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European und ntv.de