Ulrike Ackermann / 16.03.2012 / 08:12 / 0 / Seite ausdrucken

Willkommen Joachim Gauck

Es ist schon kurios: ab Sonntag werden wir, wenn alles gut geht, einen leidenschaftlichen Kämpfer für die bürgerlichen Freiheiten zum Bundespräsidenten haben, den eigentlich keine der Parteien haben wollte. Der prompt entbrannte Streit um Joachim Gaucks Freiheitsverständnis spiegelt recht getreu wider, wie es in Deutschland um die Wertschätzung der Freiheit in der öffentlichen Debatte bestellt ist. Dieser eigensinnige ehemalige Bürgerrechtler und Diktaturaufklärer erlaubt es sich – dem Zeitgeist ganz gegenläufig –, die Freiheit als den wichtigsten Wert unserer westlichen Zivilisation zu preisen und zu verteidigen.

Er ist damit weder unpolitisch, monothematisch oder ewig gestrig, wie uns seine Kritiker von rechts bis links einreden wollen. Ganz im Gegenteil: Gaucks antitotalitären Freiheitsimpuls brauchen wir auch noch 23 Jahre nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur, wenn heute die Mehrzahl unserer Gymnasiasten nicht weiß, wie sich Demokratie und Diktatur voneinander unterscheiden. Auch sein Vertrauen in die parlamentarisch-repräsentativen Institutionen wird in Zeiten romantischer Sehnsucht nach direkter Demokratie dem Land zuträglich sein. Als Bundespräsident wünschen wir uns von ihm, daß sein Mut, an politisch-korrekten Gewißheiten zu rütteln, den diplomatischen Gepflogenheiten des Amtes standhält: er also weiterhin die Occupy-Bewegung samt deren Träumereien von der Abschaffung des Kapitalismus für „albern“ hält oder die Meinungsfreiheit verteidigt, indem er etwa Thilo Sarrazin für seine Einlassungen in der Integrationsdebatte Mut attestiert und damit die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert.

Trotz wiederkehrender Zweifel an unserem Gesellschaftsmodell hat der Erfolg unserer westlichen Zivilisationsgeschichte gezeigt, daß sich politische Freiheit, wirtschaftliche Freiheit und individuelle Freiheit gegenseitig bedingen und miteinander verknüpft sind über das Prinzip der Verantwortung. Für das zukünftige Europa und die Lösung seiner Staatsschuldenkrise bedeutet dies, daß Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Wettbewerb allemal innovativer sind als Vereinheitlichung, Egalisierung und Planwirtschaft. Wenn wir nun einen Bundespräsidenten haben werden, der die Freiheit auf die Agenda setzt und zudem Mut macht zu „Lebensexperimenten“ (John Stuart Mill), die Bürger zu mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung animiert, können wir uns als Gemeinwesen doch glücklich schätzen!

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