Scharen von Psychologen, Soziologen, Kriminologen, Ethnologen, Pädagogen, Verhaltens- und Konfliktforschern mühen sich, dem Phänomen des Terrorismus auf die Spur zu kommen. Was sind die Ursachen? Armut oder Überfluss? Zu strenge oder zu lasche Erziehung? Zu viel oder zu wenig Religion? Und wie soll man den Terrorismus bekämpfen? Mit präventiven Maßnahmen oder strengeren Gesetzen? Mit offenen oder überwachten Grenzen? Mit Bildung und Erziehung oder Abschottung und Ausweisung?
Nun gibt es eine Studie, die alle diese Fragen schlüssig beantwortet. Terrorismus ist das Ergebnis von Journalismus. In einem Bericht der Deutschen Welle heißt es: Wir Journalisten haben mit unserer Berichterstattung die Macht, über das Leben von Menschen zu entscheiden. Genauer: Unsere Beiträge können töten. Und zwar dann, wenn es sich um Berichte über Terroranschläge handelt, mit Bildern der Opfer und der Täter, Spekulationen über Tatmotive und Hintergründe, emotionaler Wortwahl und all das am besten als Aufmacher auf der Titelseite.
Das ist toll! Nicht nur die Klärung der Frage, was zuerst da war, das Ei oder die Henne, sondern auch die Auflösung des Gordischen Knotens. Erstellt wurde die Studie von einem Medienökonom an der University of Western Australia in Perth, der "seit Jahren die symbiotische Beziehung zwischen Medien und Terrorismus" erforscht. Und das, indem er sich mehr als 61.000 Terroranschläge in den Jahren von 1970 bis 2012 in über 200 Ländern angeschaut und mit dem Ausmaß der Berichterstattung in der US-amerikanischen "New York Times" in Verbindung gebracht hat. Das Ergebnis untermauert die Hypothese, dass die Zahl der Terrorattacken mit der intensiven medialen Inszenierung korreliert.
Das ist keine allzu große Überraschung, wenn man bedenkt, dass die NYT, sowohl in ihrer gedruckten wie der digitalen Ausgabe, die tägliche Pflichtlektüre aller praktizierenden und angehenden Terroristen ist. Hier holen sie sich Anregungen, hier tauschen sie Erfahrungen aus. Was dagegen etwas stutzig macht, ist die Behauptung, der Medienökonom aus Perth habe sich mehr als 61.000 Terroranschläge in den Jahren von 1970 bis 2012 in über 200 Ländern angeschaut.
In über 200 Ländern! Dabei sitzen in den Vereinten Nationen nur 193 Staaten, und das sind praktisch alle, die es gibt. Hinzu kommen noch der Heilige Stuhl und Palästina mit dem Status ständiger Beobachter ohne Stimmrecht. Also großzügig gerechnet: 195 Staaten, daruner auch solche Hot Spots des Terrors wie Andorra, Island, Kiiribati, Nauru, Palau und Tuvalu. In der Studie, die in der September-Ausgabe des Journal of Public Economics veröffentlicht wurde, ist von genau 61.132 Terroranschlägen in 201 Ländern im Laufe von 43 Jahren die Rede.
Angenommen, der Medienökonom aus Perth habe sich alle diese Anschläge tatsächlich angeschaut, also die Berichte über die Fälle gesucht, gefunden, gelesen und ausgewertet und sie dann mit der medialen Inszenierung in der NYT korreliert; angenommen, er habe pro Terror-Anschlag nur drei Stunden gebraucht, was extrem wenig wäre, dann wäre er 183.396 Stunden beschäftigt gewesen, umgerechnet 7.641 Tage oder 21 Jahre - ohne Schlaf- und Essenspausen, ohne ein einziges Mal an die frische Luft oder ins Kino zu gehen. Bei einem Arbeitstag von nur 12 Stunden hätte es 42 Jahre gedauert. Das schafft nicht einmal ein Redakteur oder eine Redakteurin der Deutschen Welle mit Aussicht auf vorgezogenen Ruhestand.
Was ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Deutschen Welle dagegen mühelos schafft, ist, uns eine Geschichte von einem Medienökonom aus Perth zu erzählen, der sich mehr als 61.000 Terroranschläge in den Jahren von 1970 bis 2012 in über 200 Ländern angeschaut, sie mit den Berichten in der NYT korreliert hat und dabei zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es umso mehr Terroranschläge gibt, je mehr über Terroranschläge berichtet wird, vor allem in der NYT.
Es gibt die University of Western Australia in Perth wirklich. Auch den Medienökonom und seine Studie gibt es. Er hat sie übrigens im Jahre 2014 schon einmal veröffentlicht, als Discussion Paper No. 8497 unter den Fittichen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn, allerdings nur für den Zeitraum von 1998 bis 2012. Schon damals kam er zu dem Ergebnis, mediale Aufmerksamkeit nach einem Anschlag erhöhe die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Anschlag im betroffenen Land innerhab von sieben Tagen und sie verkürze die Abstände zwischen den Anschlägen. Media attention of any terror attack is both predictive of the likelihood of another strike in the affected country within seven days’ time and of a reduced interval until the next attack.
Es wäre spannend zu erfahren, woran der Medienökonom inzwischen arbeitet. Vielleicht an einer Studie über den Zusammenhang von Erdbeben mit der Berichterstattung über Erdbeben. Oder wie die Berichterstattung über grippale Infekte die Ausbreitung von Grippeviren befördert. Die Deutsche Welle wird es uns wissen lassen.