Manfred Haferburg / 09.03.2016 / 19:00 / Foto: Emily Killian Molina / 24 / Seite ausdrucken

Journalist sein wäre schön - ohne die blöden Leser

Geht es Ihnen auch so? Seit Monaten lese ich die von den Profis verfassten Artikel leicht angewidert und freue mich auf das Lesen der Kommentarspalten, die von Laien geschrieben wurden. Sie sind meist witziger, oft auch informativer als der dazugehörige Artikel. Irgendwie ist uns etwas beim Journalismus abhandengekommen. An seine Stelle sind plumpe Hofberichterstattung und Arschkriecherei getreten: „seit Kurzem steigt das Ansehen der Kanzlerin wieder - Wähler wollen Merkel als Kanzlerin“

Seit die Flüchtlingskrise die Große Koalition mit der Opposition zu einer Ganz Großen Koalition zusammengeschmiedet hat, stehen die Journalisten in Deutschland vor ganz vielen neuen „Chancen und Herausforderungen“ – ein geschraubter Ausdruck, bei dem ich Pickel bekomme.

Journalist sein wäre eine reine Freude, wenn da nicht alle diese blöden Leser wären. Man könnte unwidersprochen die Kanzlerin als „neoheroisch“ bezeichnen, Sigmar Gabriel als „Neidschürer“, die AfD als „perfide menschenverachtend“ brandmarken und Seehofer als „hinterfotzigen Brutus“. Man könnte die Wähler als „rechte Dumpfbacken“ titulieren, weil sie ihr Kreuzchen an der falschen Stelle machen. Man könnte „nicht hilfreiche“ Tatsachen zu erwähnen vergessen. Man könnte „bürgerverunsichernde“ Zahlen ein bisschen aufhübschen. Man könnte mit erhobenem Zeigefinger die Leser vom hohen moralischen Ross herunter belehren. Viele Journalisten kämpfen heute zusammen mit der GanzGroKo bis zum moralischen Endsieg für das Gute auf der Welt, oder zumindest das, was sie dafür halten.

Aber da ist dieser Tsunami von unfrohen Leserkommentaren, verfasst von hässlichen bösen „Trollen“ mit „dumpfen rechten“ Ansichten - lästige Leser, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun haben, als ihrer Meinung zu sein und das auch noch aufzuschreiben. Das empfinden Journalisten als geballten „Hass und Dummheit“ in den Foren. Die Redaktion musste schon Hilfskräfte aus linken Studentenkreisen einstellen, bei denen das Mousepad raucht vom Löschen der Kommentare. Was Hass und Dummheit ist und wer Troll ist, das legt die Redaktion fest.  Und der § 12 des Pressekodex.

Allerorten sind die journalistischen Kammerjäger unterwegs, um ihre Seiten vom Ungeziefer der andersdenkenden Leserschaft auszuräuchern. Der Redakteur als Meinungs-Schleusenwärter, einer, der darüber verfügte, wer Zugang zur großen Öffentlichkeit erhält und wer zur Menge der Abgelehnten gehörte, die ihre Ansichten für sich behalten müssen.“ Spiegel, FAZ, SZ und viele anderen „Qualitätsanspruchsmedien“ plagen sich schon lange nicht mehr mit dem Löschen unliebsamer Lesermeinungen herum. Auch „Welt-Online“ hat seit dem Wochenende die Lufthoheit über die Lesermeinung zurückerobert, „im Sinne des Qualitätsanspruches“, hurra: "Im Sinne unseres Qualitätsanspruches haben wir uns entschieden, die Kommentarfunktion bis auf Weiteres portalweit einzuschränken. Für ausgewählte Artikel wird die Redaktion wochentags die Kommentarfunktion zeitweise öffnen und moderieren.“

Kommentarseiten geschlossen: „Einfach mal die Klappe halten, ihr Leser. Bei uns wird nicht über unsere Qualitätsmeinung oder die weisen Entscheidungen der Regierung räsoniert! Eure unmaßgeblichen Ansichten sind nur zum Fußball und zu Kochrezepten erwünscht. Basta!“ Das hätte ich von Stefan Aust nicht erwartet. Ich bin schon mal gespannt, wie sich die Leser-Entmündigung auf die Abonnentenzahlen auswirkt. Aber vielleicht zahlen wir ja bald alle eine Printmedien-Demokratieabgabe.

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Leserpost

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Magdalena Schubert / 12.03.2016

Ich kann sowohl dem Artikel wie auch den meisten Kommentarschreibern voll und ganz zustimmen. Auch mir gefallen die Kommentare oft noch besser als die Beiträge der Journalisten. Sie sind Volkes Stimme! Sie sind unverfälscht und authentisch. Die Menschen, die im Netz Stellung beziehen, sondern nicht irgendeinen ideologischen Wortmüll ab, sie dreschen keine leeren Phrasen, sondern schreiben in der Regel kluge, achtsame, nachdenkliche Kommentare, die auf Lebenserfahrung, eigenständigem Denken und Erfassen von realen Zusammenhängen basieren. Man spürt die Wahrhaftigkeit, die sich in den Formulierungen, in der Wahl der Worte zeigt. Auf den Seiten, auf denen ich im Netz verkehre, habe ich noch keinen einzigen rechten Hasskommentar gelesen. Ich fühle mich vielen Schreibern verbunden. Sie lassen häufig die gleiche Sorge, die gleiche Verletzlichkeit spüren. Sie sprechen mir aus der Seele.

Manfred Zonker / 11.03.2016

Ich habe ebenfalls meine Tageszeitung,  den Trierischer Volksfreund gekündigt, weil ich die einseitige Berichterstattung und die tendenziell,  oft populistischen schwarz-weisss Kommentare, nicht mehr ertrage.

Rolf Permeier / 11.03.2016

Leserkommentare sind das Salz in der Onlinenachrichtensuppe. Ich warte sehnlichst darauf, bis endlich ein Webdienstleister kommt und diese ins Zentrum rückt. Meine drei Lieblingskommentare bislang waren die folgenden: 3. Platz auf SPON: Münchau gibt in seiner Kolumne bekannt, dass er ab sofort den Euro als gescheitert ansieht und ihn weghaben will. Ein Leserkommentar dazu: “Nun da Münchau auch gegen den Euro ist komme ich ernsthaft ins Zweifeln. Wer weis, möglicherweise ist der Euro gar nicht so schlecht?” 2. Platz auf faz.net: Zu einem Artikel über eine Fotografin, die sowjetische Stadtruinen fotografiert, in denen die utopische Gesellschaft demonstriert werden sollte. Der erste (und einzige) Leserkommenar dazu: “Als nächstes könnte die Frau den Berliner Flughafen fotografieren. Thematisch würds passen”. Die Moderatoren haben die Kommentarspalte darauf hin lieber mal geschlossen. 1. Platz auf Zeit online: Ein Artikel über das Austrocknen des Tschadsees, was Millionen Menschen die Lebensgrundlage nimmt und angeblich auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Ein Leserkommentar wies auf Wikipedia hin wo stand, dass der Tschadsee bereits 1909 einmal völlig ausgetrocknet ist - ohne Folgen für die Menschheit. Der Eintrag auf Wikipedia (und sein englisches Pendant) wurde daraufhin entsprechend gereinigt. Leider gehören alle drei Seiten inzwischen nicht mehr zu meinem Leserepertoire.

Ralf Schlumbohm / 11.03.2016

Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu. Die heutigen Nachrichten in den meisten Medien sind keine Nennungen von Daten und Fakten, aus denen ich mir meine eigene Meinung bilden kann, sondern bestehen aus einer Mischung von Nachricht und Bewertung/Meinung des jeweiligen Journalisten. Das ist für mich kein guter Journalismus. Wenn man sich z.B. die älteren Sendungen der “Tagesschau” ansieht, ist die Veränderung zu heutigen Sendungen im Negativen ersichtlich.. Die Vorgehensweise von Welt-Online , ohne Ankündigung durch die Redaktion/Herausgeber, die Kommentarfunktion zu entfernen bzw. zu minimieren, hat mich verärgert.Hier fühle ich mich als Abo-Inhaber nicht ernst genommen und habe entsprechend gehandelt. Denn gerade auf das Lesen der Kommentare habe ich mich gefreut.

Thea Wilk / 10.03.2016

Auch ich hatte das von Stefan Aust nicht erwartet und zwar aus folgenden Gründen: Am 14.10.15 hat Holger Melas unter der Überschrift ” ‘Welt’ schafft Sendeschluss für Leserkommentare ab” erklärt, dass die Welt sich dagegen entschieden hat, den Lesern eine reine Rezipientenrolle zuzuweisen [sic], die Nachtruhe für Leserkommentare wurde aufgehoben, siehe http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article147581899/Welt-schafft-Sendeschluss-fuer-Leserkommentare-ab.html Am 06.12.2015 hat Stefan Aust sich an die Leser gewendet und mitgeteilt, dass er nach zwei Jahren als Herausgeber der “Welt”-Gruppe zusätzlich die Chefredaktion übernimmt, der Artikel schließt so: ” (...) konkret, offen, kritisch – nach allen Seiten. Besser eine gute Frage als eine schlechte Antwort. Ein verspätetes Kind der Aufklärung eben. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.” siehe http://www.welt.de/print/wams/politik/article149651955/Liebe-Leserinnen-liebe-Leser.html Am 05.02.2016 berichtete Kai-Hinrich Renner auf handelsblatt.com folgendermaßen über die technische Lösung für die Bearbeitung von Leserkommentaren auf “Welt Online”: ” ‘Welt Online’ setzt neuerdings auf ein Programm, das fragwürdige Kommentare herausfiltert. Nach Angaben eines Unternehmenssprechers wurde die Software auf Basis von 8,5 Millionen Kommentaren aus den letzten fünf Jahren programmiert. Das System lerne ständig dazu und werde weiterentwickelt. Es erkenne auf Grundlage bestimmter Wörter und Zeichensetzungsmuster Kommentare, ‘die eindeutig gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen’. Nur in vier Prozent der Fälle liege es daneben. So sei es nun möglich ‘die Kommentarfunktion trotz derzeit stark erhöhtem Kommentarvolumen rund um die Uhr geöffnet zu halten’. Lediglich einige wenige Kommentare, die sich nicht vorsortieren ließen, müssten noch von einem Moderator geprüft werden.” siehe http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/medienmacher/medienmacher-software-mit-einer-fehlerquote-von-nur-vier-prozent/12927458-2.html Keine 4 Wochen nach dem Bericht über die vorhandene technische Lösung wurde Anfang März die Leserkommentar-Funktion auf Welt Online dann sehr stark eingeschränkt. Es gab es dazu keinen Artikel von Holger Melas oder von Chefredaktion/Herausgeber. Außerdem ist nicht nur das Schreiben von Kommentarfunktion eingeschränkt. Geschriebene Kommentare können auch nicht mehr angezeigt und gelesen werden, wenn die tägliche Kommentarfunktionzeit abgelaufen ist. Die Öffentlichkeit ist damit doppelt eingeschränkt.

Der Hans Pferdemann / 10.03.2016

Mir geht es genauso im Bezug auf die Leserkommentare, die sind meistens wirklich noch das beste an dem ganzen Tauerspiel das als Journalismus bezeichnet wird. Sehr gut geschriebener Artikel, ich hätte es nicht besser sagen können.

Jens Schmidt / 10.03.2016

Recht haben Sie! Auf “die Welt” vermisse ich die Kommentare unter den recht oft unsäglichen Meinungsartikeln von zB Uwe Schmitt und Deniz Yücel jetzt schon. Sah man doch recht oft durch die Kommentatoren, das man nicht der Mensch mit der wunderlichen Meinung war, sondern der Autor. Schad drum.

Sabine Anderson / 10.03.2016

Ich schrieb im Juni 2013 per Email einen freundlich verfassten Leserbrief an einen norddeutschen Lokalredakteur, der diesen zur Beantwortung aber weitergeleitet hatte. Bei der Replik, die ich etwas spaeter erhielt, hatte der Angestellte vergessen, den Kommentar des Redakteurs zu entfernen: “Die nervt…”.

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