In Köln wurde der Westen kalt erwischt. Plötzlich lebte das Atavistische wieder auf, die Macht der puren Masse. Damit hatte hierzulande niemand mehr gerechnet. Nicht einmal bei einer Pegida-Demonstration, deren Teilnehmern doch sonst nahezu alles unterstellt wird, hätte die Öffentlichkeit diesen Nahkampf - Mann gegen Frau in der Menge - noch für möglich gehalten. Das schien so unvorstellbar, dass es keine Ängste mehr weckte, die zur Vorsicht angehalten hätten.
Halbwegs eingestimmt waren wir lediglich auf die Gewalt sprengstoffgegürteter Terroristen, auf Anschläge mit neuester Waffentechnik. Das Attentat auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 entsprach dem, was schlimmstenfalls zu erwarten war. Vor dem jedoch, was jetzt in Köln und andernorts geschah, versagt die Phantasie der Hightech-Gesellschaft.
Zwar hatte sich die „Horde“, von der sogar Bundesjustizminister Heiko Maas unterdessen spricht, ebenfalls mit Hilfe des Mobilfunks, also durchaus auf der Höhe der Zeit, zusammengerottet. Doch besann sie sich dann schnell auf die urtümliche Manneskraft, indem sie gemeinschaftlich Jagd auf wehrlose Frauen machte. Das war das eigentlich Unvorstellbare für viele, dieser Angriff einer Masse, die es noch vermag, Recht und Ordnung handgreiflich zu ignorieren, heute nicht anders als vorzeiten.
Denn wenn sich die Masse erst einmal soweit zusammen geballt hat, dass sie sich ihrer Kraft bewusst wird, ist es schon zu spät. Dann lässt sie sich nur noch mit einer Gewalt aufhalten, die der Rechtsstaat nicht einzusetzen wagt. Nicht einmal die Potentaten des Ostblocks haben das versucht, als im Herbst 1989 Hunderttausende gegen sie aufmarschierten. Was die Polizei in Köln hätte anrichten müssen, um der Meute Herr zu werden, hätte man ihr nachher nie verziehen.
Weil der Machtinstrumente der Zivilisation vor der Kraft der Masse versagen, kann sie alles bewirken, Gutes wie Bedrohliches. Anders wäre keine Revolution je erfolgreich verlaufen, nicht 1789 in Paris, nicht 1917 in Russland und auch nicht 1989 in Prag, in Leipzig und in Bukarest. Ebenso wie sie überrennen kann, was der Freiheit im Wege steht, kann die Masse aber auch jene einschüchtern, verletzten, vergewaltigen und berauben, deren freiheitliche Lebensart ihr zuwider ist, die sie verdrängen will, um unter Umständen Platz für die Welt von gestern zu schaffen.
Dass diese Gefahr hierzulande inzwischen ebenso groß sein könnte wie die terroristischer Anschläge mit ausgeklügelter Waffentechnik, ist spätestens seit den Kölner Silvesterereignissen zu befürchten. Dass sie der Merkel’schen Flüchtlingspolitik auf den Fuß folgt, hat sich bereits bis nach Amerika herumgesprochen. Nur „ein Idiot“, schrieb Ross Douthat dieser Tage in der „New York Times“, könne das weiterhin leugnen.
Tatsächlich ist aus der Zuwanderung bedrohter Flüchtlinge längst eine Massenbewegung geworden, bei der es letztendlich auf die Umsiedlung einer ethnisch, religiös und soziokulturell geprägten Gemeinschaft hinausläuft. Dass solche Einwanderer ganz andere Ansprüche haben als diejenigen, die in einem fremden Land Zuflucht suchen, um Leib und Leben zu retten, bestätigt die Geschichte vielfach.
Während etwa die vor der NS-Diktatur geflohenen Emigranten alles daran setzen mussten, sich unter den Bedingungen ihrer Gastländer einzurichten, um individuell zu überleben, wollten die umgesiedelten Massen stets ihre heimischen Verhältnisse in der Fremde neu errichten; man denke nur an die Deutschen in Rumänien.
So entstehen Parallelgesellschaften, arabische oder türkische Sprachinseln, wie wir sie heute in Berlin-Neukölln oder in Essen haben, weitgehend autark mit einer eigenen Infrastruktur. Der „Clash of Civilizations“, den Samuel Huntington vor 20 Jahren prophezeite, ergibt sich zwangsläufig und von beiden Seiten her. Wir erleben es täglich in Schulen, auf Ämtern, in Krankenhäusern, gottlob nicht immer so bedrohlich wie in Köln. Und ebenso zwangsläufig laufen alle Versuche ins Leere, dem mit den Mitteln des Rechtsstaates beizukommen.
Seine Gesetze gehen auf die europäische Aufklärung zurück, auf die deutsche und die französische insbesondere. Mit ihr befreite sich der Mensch, sagt Immanuel Kant, „aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, aus der Vormundschaft geistiger und geistlicher Autoritäten. Staat und Kirche fielen auseinander. Niemand musste oder konnte sich länger auf eine höhere Autorität berufen, ging es um sein irdisches Tun. Das Individuum avancierte zur obersten Instanz der bürgerlichen Gesellschaft.
Die Rechtsprechung entspricht dem, indem sie seither von der persönlichen Verantwortlichkeit eines jeden ausgeht. Wo sie nicht nachgewiesen wird, gibt es keine Täter, der zu verurteilen wären. Die Masse als solche kann niemand vor Gericht stellen. Soldaten lassen sich nicht als „Mörder“ anklagen, obwohl sich das Kurt Tucholsky einst wünschte.
Schon insofern muss die versprochene rechtliche Aufklärung der Kölner Straftaten ausgehen wie das Hornberger Schießen. Ihre abschreckende Wirkung hielte sich ohnedies in Grenzen. Haben doch die arabisch-moslemischen Gesellschaften, denen die Kölner Täter zum großen Teil entstammen sollen, keine Aufklärung erlebt, die dem Individuum eine vergleichbare Bedeutung zugemessen hätte.
Sehr viel selbstverständlicher handeln sie als Masse, weshalb auch die Vergleiche mit den sexuellen Straftaten am Rande des Oktoberfestes oder des Rheinischen Karnevals in die Irre führen. In dem einem Fall geht es um die bisweilen gehäuften Straftaten einzelner, die dann entsprechend zu ahnden sind, im anderen um eine, so wiederum der Bundesjustizminister, „abgestimmte“ Hetzjagd, bei der es den Tätern gar nicht mehr auf die Person ankam. Die „Entladung“ der Masse, von der Elias Canetti in seinem Großessay „Masse und Macht“ spricht, galt einzig und allein etwas Fremdem, das von den Tätern ideologisch abgelehnt wird. Zur Truppe versammelt griffen sie an; die sexuelle Belästigung diente als Mittel zum Zweck, was der Sauerei noch die Krone aufsetzt.
Wer diese gewalttätige Ausweitung des „Clash of Civilizations“ stoppen will, muss zuerst alles dafür tun, dass die aggressive Masse nicht weiter anwächst. Das Versprechen verschärfter Gesetze ist dagegen nichts als eine Ausflucht. Da das Problem politisch verursacht wurde, namentlich von einer Kanzlerin, die schlichtweg zu wenig ins Geschichtsbuch geschaut hat, um die Folgen ihrer Taten ermessen zu können, muss und kann es auch nur politisch gelöst werden - durch einen Stopp der ungebremsten Zuwanderung, der leichtfertig ausgelösten Umsiedlungsaktion. Dass das nicht möglich sein soll, ist eine Schutzbehauptung derer, die fürchten, für die Konsequenzen einstehen zu müssen.
Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass eine schrittweise Grenzschließung Härten, Ab- und Zurückweisungen mit sich bringen wird. Ebenso klar sollte allerdings sein: Wer diese Härten vermeiden will, mutet den Bürgern - den Frauen zumal - die Wiederholung von Härten zu, die sie an Silvester von Hamburg über Köln bis Stuttgart erleiden mussten. Allein in Köln liegen mittlerweile über 500 Strafanzeigen vor.
Diese Gewissensentscheidung ist keinem handelnden Politiker und erst recht nicht einer Kanzlerin mit „Richtlinienkompetenz“ zu ersparen. Das humanitäre Mäntelchen freilich, das sie sich mit der rechtswidrig verfügten Grenzöffnung überwarf, mag dabei zerfleddern. Die Welt wird es kaum verwundern. Es bedeutet nur, so noch einmal die „New York Times“, „dass Angela Merkel gehen muss - damit ihr Land und der Kontinent, der es trägt, vermeiden kann, einen zu hohen Preis zu zahlen für ihren wohlmeinenden Wahnsinn.“
Ja, die Ironie des Schicksals will es wohl, dass die Kanzlerin von der Masse, die sie anlockte, am Ende kalt erwischt wird. Eine Aussicht immerhin.