Tamara Wernli / 29.09.2016 / 15:03 / Foto: US-Navy / 8 / Seite ausdrucken

Ja, verdammt, dann rastet eine Frau eben aus!

Es gibt Tage, an denen mich mehr Dinge zur Weissglut bringen, als solche, die es nicht tun. Etwa wenn ich Auto fahre und Fussgänger sich auf dem Zebrastreifen hartnäckig ans Schneckentempo halten. Oder wenn drängelnde Radfahrer einem zur Vollbremsung nötigen. Da man schlecht aussteigen und Leute anstossen (oder umstossen) kann, verweise ich auf intime Körperteile – mit so schriller Stimme, dass mein Hund auf dem Rücksitz zu jaulen beginnt.

Aggressives Verhalten ist unter Frauen weit verbreitet: Neulich musste die Polizei eine Gruppe betrunkener und aggressiver Frauen aus einem Flugzeug aus England führen. Wie die Daily Mail berichtet, zerkratzte eine 40-jährige Firmenchefin (mit Oxford-Ausbildung) die Autos ihrer Ex-Freunde, weil sie sie verlassen haben. Eine vornehm gekleidete Dame beleidigte in London lauthals einen Reporter und stiess sein Fahrrad um.

Die britische Tageszeitung hat nun einen Trend ausgemacht: Moderne, gefestigte, im Job erfolgreiche Frauen rasten vermehrt aus – wegen Nichtigkeiten. Frauen, von denen man annehme, dass sie mit Belastung im Alltag umgehen könnten. Herumbrüllen, fluchen oder Gegenstände werfen stelle für sie eine zulässige Methode dar, sich zu behaupten. "Frauen erwarten heutzutage, alles zu haben, und es schnell zu haben", sagt die Londoner Psychologin Monica Cain. "Daraus resultiert Wut."

Was soll sie denn sonst tun, implodieren etwa?

Ich bin ja so froh, dass Experten die Aufmerksamkeit auf unsere Wut lenken. Danke. Nur sehe ich nichts Verwerfliches daran, wenn eine Frau, ob modern oder antiquiert, sich unbeherrschten Ausbrüchen hingibt – zumal "Unverhältnismässigkeit" eine Frage des Blickwinkels ist.

Weil diese Frau vielleicht um sechs Uhr früh aufsteht. Vielleicht bereitet sie in aller Eile für Leon, Ben und Mia-Sofia Frühstück. Chauffiert sie in den Kindergarten. Stellt sich dort gewohnheitsmässig dem unterschwelligen und in epischer Länge vorgetragenen Tadel der Betreuerin zum Verhalten ihrer Kids. Bemerkt auf dem Weg ins Büro entsetzt, dass sie den Kuchen für Bens Geburtstagsfeier vergessen und in der Hektik ihre Augenbrauen komplett unterschiedlich gezupft hat. Trifft dann an der Geschäftsleitungs-Sitzung auf ihre männlichen Kollegen, die trotz der lausigen Vorbereitung (eben dieser Sitzung) aufgeblasen vor lauter Selbstgefälligkeit und mit einem Starbucks-"Coffee to go" gemütlich im Sessel hängen – die Sorte Mann, der die Kinderbetreuung ausnahmslos seiner Gattin überlässt, sich aber als Superpapa sieht, weil er abends mit dem Junior zwei Minuten Lego spielt und seinen Namen auf den Unterarm tätowiert hat – und die jetzt tatsächlich einen Spruch über ihre Gereiztheit vom Stapel lassen. Ja, verdammt noch mal, dann rastet eine Frau eben aus!!!

Was soll sie denn sonst tun, implodieren etwa? Das Problem ist nicht die Frau und ihre Anfälle. Das Problem ist der gesellschaftliche Reflex, die sie auslösen: Tobt eine Frau, hat es den Charakter einer unreifen Göre – man denke an das schrille Kreischen des Kapuzineräffchens – oftmals ist es unfreiwillig komisch, in der Regel interessiert sich niemand ernsthaft dafür. Ruft der Silberrücken aus, bebt der Urwald. Alles verkriecht sich. Das Schlimmste: Brüllen Männer rum, steht es ihnen gut. Frauen macht es hässlich, beraubt sie ihrer Weiblichkeit.

Das alles ist schrecklich unfair. Ich plädiere dafür, die Gelassenheit im Alltag generell etwas zu drosseln. Gelegentliche Ausraster verschaffen Genugtuung – und stellen eine sinnvolle Methode dar gegen den Drang, sich einen Vorschlaghammer zu besorgen und damit ausgewählte Objekte zu bearbeiten. Und damit das mit dem Ernstgenommen werden klappt, liebe Ladies: Nach einem Tobsuchtsanfall auf keinen Fall den Tränen verfallen! Ist die Mascara erst verschmiert, wandelt sich der letzte Rest Respekt übergangslos in Mitleid. Und das ist dann wirklich zum Heulen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung.

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Leserpost

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Annegret Weiß / 30.09.2016

Interessant, dass hier ausnahmslos Männer schreiben und kritisieren. Mich würden mal die Quellen interessieren, auf die Sie Ihre steilen Thesen stützen, Herr Melfeld und Herr Müller. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit Ratgeberliteratur à la Frau von Friesen, die zwar ihre Berechtigung, aber mit seriöser Wissenschaft, die es erst einmal durch ein Peer-Review schaffen muss, nichts zu tun hat.

Peter Müller / 30.09.2016

Ach Gottchen. Unfair? Darf ich ein virtuelles Taschentuch reichen? Das Problem ist nicht ein behaupteter “gesellschaftlicher Reflex”, sondern das Problem ist, daß sich Leute nicht im Griff haben. Und daß sind eben sehr oft Frauen. Und das ist auch nicht erst seit gestern so. Kinder früh abfrüstücken und in den Kindergarten bringen und danach ins Büro? Ja und? Was ist denn dabei? Habe ich als Mann viele Jahre lang gemacht. Seit wann ist das ein Grund, auszurasten? Seit wann ist das ganz normale Leben ein Grund, auszurasten? Ausgerastet hingegen ist meine Frau regelmäßig jeden Tag, wenn sie 16.15 Uhr von der Arbeit kam. Grund? Brauchte es nicht. Der Psychoterror in den allermeisten Familien meines Umfeldes geht und ging regelmäßig von den Frauen aus. Und das hat nicht nur mit PMS zu tun. Achten Sie mal selbst drauf und belesen Sie sich. Für den Einstieg empfehle ich Astrid v. Friesen: “Schuld sind immer die anderen!”, Ellert & Richter Verlag, 2012.

Stefan Rausch / 30.09.2016

Die Tücken der künstlichen Gleichmacherei. Es gibt eben Unterschiede in der Natur, von denen sollte man die Finger lassen, bzw Grenzüberschreitungen tunlichst vermeiden. Ein befremdlicher Artikel.

Rainer Melfeld / 30.09.2016

Hatten Sie sich nicht letztens über schreiende Kinder in Flugzeugen beschwert und wie rücksichtslos deren Eltern wären? Jetzt halten Sie hier ein Plädoyer für Rücksichtslosigkeit. Bitte nicht übel nehmen, aber kann es sein, dass Ihnen der Sinn vor allem nach Selbstgerechtigkeit steht? Zum Thema: Ja es macht sehr wohl einen Unterschied, wie man seine Gefühle in der Öffentlichkeit zeigt. Zwischen temperamentvollem Aufteten und dem völligen Verlust der Selbstbeherrschung gibt es einige Abstufungen. Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren zumindest auch bei Wutanfällen. Aggressive Männer wollen das Gegenüber einschüchtern und Angst erzeugen. Aggressives Aufreten bei Frauen soll i.d.R. das Gegenüber verächtlich machen und führt meist zu einem öffentlichen Gesichtsverlust. Ersteres überträgt die Angst auf die Umstehenden, letzteres erzeugt das Gefühl von Fremdschämen. Scham verletzt tiefere Schichten der Seele. Jeder scheint das zu spüren, aber Ihnen geht das vermutlich ab. Ihre private Meinung gehört Ihnen, aber es wäre vorteilhaft, wenn Sie Ihre Sicht nicht zum Credo für alle erklären, da viele eine friedliche Öffentlichkeit sehr schätzen.

Bernd Stoffli / 30.09.2016

“Brüllen Männer rum, steht es ihnen gut” ... meint jedenfalls Tamara Wernli. Das ist aber auch nur ihre persönliche Meinung und somit Ein-Personen-Statistik.

Alexander Rostert / 30.09.2016

Was hilft es, sich darüber zu beklagen, dass die Realität “schrecklich unfair” ist? Sie ist, wie sie ist. Schrecklich unfair ist auch, dass sich zwar alle verkriechen, wenn ich als Mann losbrülle, dass ein sibirischer Tiger sich davon jedoch kein bisschen beeindrucken lässt.

Jens Adler / 30.09.2016

Natürlich Mädels, auch ihr habt das Recht auf schlechte Laune und das hat jetzt nichts mit Gleichberechtigung zu tun. Es ist einfach die Natur des Menschen.

Torsten P.Neumann / 30.09.2016

“Hell’s Grannies”  (Monty Python hat es mal wieder voher gewußt).

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