David Harnasch / 25.02.2014 / 22:26 / 4 / Seite ausdrucken

6 Fakten über Israel und Palästina, die die Tagesthemen Ihnen vorenthalten haben

Wäre ich ein unbedarfter und wenig interessierter Zuschauer, hätte ich in den Tagesthemen vom Dienstagabend gelernt: Das größte Hindernis im “Friedensprozess” sind die Siedlungen. Meinungsverschiedenheiten diesbezüglich existieren in Deutschland nicht. Es wird nur diskutiert, welche Art von Druck Deutschland auf Israel ausüben sollte. Israelische Waren boykottieren? Findet Brumlik historisch unangemessen. Gysi hingegen hat kein Problem damit, Waren aus der Westbank im Regal zu lassen. Ein BDS-Sprecher, dessen Anblick mich an den Blog “Lookismus gegen Rechts” erinnert, behauptet, die Siedlungen kosteten die Palästinenser ein paar Milliarden Euro im Jahr. Dass das eine Lüge ist und warum die BDS-Bewegung es gerne in Kauf nimmt, den Palästinensern zu schaden, habe ich vor ein paar Tagen erläutert. Hier soll es um eine simple Tatsache gehen, die dem Tagesthemenzuschauer verborgen geblieben sein muss:

1. Die Siedlungen sind für den Friedensprozess und die Zweistaatenlösung vollkommen egal.

Die Idee, die Siedlungen - also die Anwesenheit von Juden in der Westbank - wären das Haupthindernis, basiert auf der absolut realistischen, aber vollkommen inakzeptablen Prämisse, dass ein zu gründender Staat Palästina judenrein zu sein hat. Der Gedanke, dass in Palästina eine jüdische Minderheit halbwegs gleichberechtigt und vor allem körperlich unversehrt neben einer arabischen Mehrheit leben könnte, ist tatsächlich vollkommen wahnsinnig. (Während die 20% arabischen Bürger in Israel ihrerseits so normal und unproblematisch sind, dass ihre Existenz den meisten Deutschen nicht mal bewusst ist.) Das ist so offensichtlich, dass es überhaupt nicht erwähnt werden muss. Ein paar andere offensichtliche Fakten sollten aber mal Erwähnung finden: Was würde “Palästina” im utopischen Idealfall werden, wenn es morgen gegründet würde? Eine weitere Kleptokratie, in der ein blutiger Bürgerkrieg wie nebenan in Syrien vielleicht nicht sofort ausbricht, sondern die bis dahin noch Zeit hat, von Staatswegen Minderheiten zu diskriminieren, Schwule zu ermorden und Frauen zu entrechten - weil das alles mehrheitsfähige Positionen dort sind. Nach der Utopie für unverbesserliche Optimisten jetzt die Realität: In der Sekunde, in der die israelische Armee aus dem Westjordanland abzieht, bricht sofort ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Fatah und Hamas aus. Jordanien wird mit hineingezogen, in Gaza bricht die Hölle los.
Als Bonus räumen wir noch mit ein paar anderen undurchdachten Ideen auf:

2. “Die territoriale Integrität ist unabdingbar für den Aufbau eines Nationalstaats.”

Erstens ist die wegen der Distanz zu Gaza ohnehin nicht gegeben, um die zweitens die Fatah ganz dankbar ist und drittens ist das offensichtlich Blödsinn. Die USA haben ja auch kein Problem damit, Alaska und Hawaii zu regieren. Das Jerusalemer Kuddelmuddel ist auch keineswegs ohne Präzedenzfälle.

3. “Wer Frieden will, muss auf Land verzichten.”

... nur bekommt man dafür vielleicht eine Unterschrift unter einen “Friedensvertrag”, aber eben nicht zwangsläufig auch seine Ruhe. Man stelle sich nur die katastrophalen Folgen vor, die eine Einigung mit Assad über die Rückgabe des Golans gegen einen Friedensvertrag heute nach sich gezogen hätte. Und man erinnere sich, was der Abzug aus Gaza brachte: Raketen.

4. “Fläche ist wirtschaftlich wichtig.”

Joa, siehe Hong Kong und Singapur. Wer schon mal von Tel Aviv nach Amman geflogen ist, konnte sich aus der Luft selbst davon überzeugen, dass Land in rauen Mengen erstmal ziemlich wertlos ist. Man müsste es halt bewirtschaften. Und auch das macht ein Land bestenfalls zur Argrarnation.

5. “Die Palästinenser wollen die Zweistaatenlösung, nur die sturen Juden verhindern sie”.

Aus den o.g. Gründen will niemand, der davon unmittelbar betroffen ist, in absehbarer Zeit zwei Staaten. Das letzte, was die Welt im Moment braucht, ist ein weiterer nahöstlicher Failed State. Die Fatah fährt gut damit, die internationalen Hilfsgelder für sich abzuzweigen, die Palästinenser im Westjordanland erleben derzeit ein kleines Wirtschaftswunder auf niedrigem Niveau. Jeder palästinensische Politiker, der einen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat schlösse, wäre augenblicklich seines Lebens nicht mehr sicher - die antisemitische Propaganda, mit der die Palästinenser seit Generationen von klein auf gehirngewaschen werden, bleibt ja nicht folgenlos. In Jordanien herrscht noch kein Bürgerkrieg und auch die Gewalt im Libanon ist noch im tolerablen Rahmen. Gaza ist nach wie vor kein besonders lebenswerter Fleck, aber Lebenserwartung und Alphabetisierungsrate sind noch immer höher, die Säuglingssterblichkeit niedriger, als nebenan in Ägypten. Durchwurschteln und auf Sicht navigieren ist für alle beteiligten Verantwortungsträger derzeit die klügste Strategie.

6. Als Fernziel ist die Zweistaatenlösung aber super.

Und sie wird um so wahrscheinlicher, je besser es den Palästinensern gelingt, eine einigermaßen stabile Zivilgesellschaft aufzubauen, die auf anderen Werten als Gewalt und Hass basiert. Also sollten wir ihnen genau dabei helfen. Indem wir konkret Projekte unterstützen, die die Zivilgesellschaft stärken. Und auch, indem wir Druck ausüben (schließlich pumpen wir via Direktzahlung, EU und UNRWA irrwitzige Summen in den Landstrich, daran kann man auch Bedingungen knüpfen), denn wie wir anlässlich der Deutsch-Israelischen Konsultationen permanent betonen, zeichnet sich Freundschaft zwischen Staaten ja durch ganz viel ehrliche und gut gemeinte Kritik aus. Es ist unverzeihlich, dass wir mit diesem wertvollen Gut gegenüber unseren Palästinensischen Freunden so viel geiziger sind, als gegenüber dem Jüdischen Staat.

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Winfried Sautter / 27.02.2014

Es will einem nicht in den Kopf, wie der Westen resp. seine “Intelligentsia” seit 45 Jahren verbohrt & penetrant gegen Israel agitiert. Dieser Staat ist der einzige demokratische Staat im Nahen Osten, der einzige Staat, der sich der “westlichen” Wertegemeinschaft und Tradition verbunden zeigt. Und er wird seit seiner Gründung von einer feindlichen Umwelt mit Vernichtung bedroht, deren atavistische Vorstellungen von Poilitik, Gesellschaft, Kultur und Religion mit “arabischer Frühling” geradzu zynisch euphemistisch umschrieben werden. Uneingeschränkter Respekt für Israel !

Eike Tim Wittekindt / 26.02.2014

Vielen Dank, Herr Harnasch! So und genau so ist die Gemengelage zutreffend beschrieben. Kriegt man das nicht irgendwie mal lauter und weiter verbreitet? MfG Eike Wittekindt

Markus Weber / 26.02.2014

Sehr geehrter Herr Harnasch, dass uns systemtragende Verblödungsproduktionen wie die Tagesthemen so gut wie nie die volle Wahrheit erzählen, ist wohl leider so. Das hat der israelischen Regierung und dem zionistischen Projekt in der älteren und jüngeren Vergangenheit nicht nur geschadet, sondern an entscheidender Stelle oft auch genützt. Eine einzige halbwegs objektive Dokumentation über die engen Bande zwischen Vertretern der israelischen Leitkultur und Politik mit dem ausgebufftesten und doppelbödigsten Terrorismus gegen den Westen würde reichen, und alle wären geheilt. Wenn man alle von den Palästinensern seit 1948 auf Israelis abgefeuerten Raketen, Granaten und Sprengsätze auf einen grossen Haufen stapeln und daneben die Arsenale an Munition aufschichten würde, die von den Israelis schon auf Araber abgefeuert wurden, daneben die, die noch für diese Zwecke bereitliegen, daneben wiederum die Arsenale, mit denen Einrichtunegn des Westens schon unter Beschuss genommen worden sind, und jene nuklearen Arsenale, von denen der Westen ebenfalls nie sicher sein kann, ob Teile davon nicht längst gegen ihn gerichtet sind, dann würde das wirken wie ein Sandkorn neben einem Fäustling, wie ein Stecknadelkopf neben einer Orange. Eine veranschaulichende Grafik, in der allein das Tötungspotential der in Stellung gebrachten und gehorteten Waffen auf beiden Seiten veranschaulicht würde, ergäbe angesichts der regen Bemühungen des israelischen Staates, sich konventionell, chemisch, nuklear und biologisch bis an die Zähne zu bewaffnen, ein noch drastischeres Bild. Ein Vergleich der dafür eingesetzten Finanzmittel - und seien es nur die Anteile, die vom US-Steuerzahler bestritten werden - fiele genauso dratsisch aus. Nur einmal “Frontal21” oder “report” mit diesen Wahrheiten, und Frau Merkel könnte sich einen Besuch bei Herrn Netanjahu auf ewige Zeiten ersparen. Herrn Schulzens Kommentar würde auch nicht mehr gebraucht. Bald siebzig Jahre systematische Verdrehung der Tatsachen und Falschdarstellung der Geschichte durch Auslassungen zeigen Wirkung. Jetzt knirscht’s vielleicht gerade mal etwas im Gebälk, aber die wirklich schlimmen Themen wurden ja noch gar nicht angetastet. Man sollte zufrieden damit sein, wie’s zurzeit gerade läuft. Es könnte viel schlimmer sein und wäre noch längst keine Verleumdung. Der Film “The Lab” von Yotam Feldman gibt allerdings einen guten Hinweis darauf, warum man sich in Israel um die Treue des Westens keine Sorge machen muss - zumindest solange, wie man dort auf Stimmung gegen die jeweiligen Regierungen zählen kann, so dass diese sich bedroht fühlen und an nichts so sehr Interese zeigen wie an Sicherheitstechnik. Können ja froh sein, dass sie seit sechzig Jahren ungestraft lebende Menschen als Laborraten für die Treffergenauigkeit ihrer Neuentwicklunen verwenden dürfen. Scheint ja ein weiteres prima Geschäft zu sein.

Wolfgang Schmid / 26.02.2014

Ich hätte mir einmal nur ein solch massives Engagement der linken Gutmenschen für die besetzten Gebiete rechts der Oder-Neiße-Linie gewünscht…

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