Wolfgang Mayr, Gastautor / 09.03.2018 / 15:00 / Foto: Pixabay / 3 / Seite ausdrucken

Italien in der Sackgasse

Drei Tage nach der sonntäglichen Parlamentswahl steht es fest: Die beiden Sieger haben keine parlamentarische Mehrheit. Das ergab die Auszählung der Wahlzettel der Auslandsitaliener. Die Wähler haben das Land in die Sackgasse gewählt. Die Folge eines reichlich absurden Wahlgesetzes, das der Partito Democratico mit Forza Italia durchgedrückt hatte, gegen den Widerstand der Cinque Stelle.

Die Regierbarkeit ist nicht gegeben, und es droht noch mehr Chaos. Der Vorsitzende des Partito Democratico, der grandios gescheiterte „Verschrotter“, „rottomatore“, Matteo Renzi, kündigte zwar seinen Rücktritt an, aber in Raten. Renzi will seine Partei in die Opposition führen und verhindern, dass Gespräche mit den Siegern geführt werden. Er will die Cinque Stelle und die Lega dazu bringen, eine Regierung zu bilden.

Luigi Di Maio, der Spitzenkandidat der Cinque Stelle und der Vertrauensmann des Listengründers Beppe Grillo, ließ sich in seinem sizilianischen Wahlkreis Acerra feiern. Die Cinque Stelle fuhren im Süden ihren großen Erfolg ein, sie beerbten die untergegangenen Christdemokraten der DC und auch die Forza Italia. Von Acerra aus ließ Di Maio die anderen Parteien wissen, dass er mit allen reden will und zwar auf der Grundlage seines aus zehn Punkten bestehenden Reformprogramms.

Di Maio will auch mit dem PD reden, aber nicht mit Renzi. Die Gespräche will er öffentlich zelebrieren, nicht hinter verschlossenen Türen. Die Verhandlungen müssen nachvollziehbar sein, sagte Di Maio. Als stärkster Partei steht Cinque Stelle die Regierungsbildung zu.

Berlusconi will es wissen

Auch der zweite Sieger, Matteo Salvini von der Lega, denkt laut über eine Koalition mit dem Partito Democratico nach. Der von Wählern zweitgereihte Berlusconi pocht aber darauf, der Strippenzieher im rechten Bündnis zu sein. Nicht Salvini ist für Vorschläge zuständig, sondern Berlusconi, so seine Ansage. Es knistert im rechten Bündnis aus dem Berlusconi-Wahlverein Forza Italia, der rechten Lega und den neofaschistischen Fratelli d’Italia. Dieses Bündnis erreichte einige Prozente mehr als die Konkurrenz und erwartet deshalb ebenfalls den Auftrag des Staatspräsidenten, eine Regierung zu bilden.

Im Partito Democratico, umworben von den Cinque Stelle und von der Lega, gärt es inzwischen. Immer mehr Abgeordnete wollen eine Regierung Di Maio parlamentarisch dulden, ohne aber Teil einer Regierungskoalition zu werden. Es wächst auch die Zahl der Kritiker, die Parteichef Renzi für die Niederlage verantwortlich machen und ihn zum raschen Rücktritt auffordern.

Di Maio heizt den Streit noch an, indem er die wachsende Anti-Renzi-Front umwirbt. Er bietet dem Partito Democratico das Amt des Präsidenten der Abgeordnetenkammer an, Di Maio nannte als aussichtsreichsten Kandidaten den bisherigen Justizminister Orlando. Die Cinque Stelle gehen davon aus, dass ein PD ohne Renzi für ein Bündnis zu gewinnen wäre.

Die Renzi-Gegner wiederum werben für die Cinque Stelle, die Bewegung habe sich geläutert und weiterentwickelt, die Ziele des PD und der „Grillini“ seien ähnlich. Immerhin kommen viele Militante der Cinque Stelle vom PD, mehr als fünf Millionen PD-Wähler wählten nicht mehr ihre Partei, die meisten stimmten für die „Grillini“.

Ein bisschen von allem

Ein siegreiches rechtes Bündnis, die Cinque Stelle als stimmenstärkste Kraft im Parlament, ein zerrupfter PD, ein schwierige Suche nach einem Ausweg aus der Sackgasse. Die Bürger erwarten grundlegende Änderungen, stimmten doch zwei Drittel der Italiener gegen das Establishment. Die Populisten der Lega beherrschen den Norden, die Populisten der Cinque Stelle den Süden.

Gründervater Grillo versucht seine Liste neu zu positionieren. Wir sind ein bisschen christdemokratisch, ein bisschen rechts und ein bisschen links. Offensichtlich denkt Grillo an eine Allparteien-Regierung.

Am 23. März tritt das Parlament erstmals zusammen, die Parlamentarier werden die Präsidenten von Kammer und Senat wählen. Staatspräsident Mattarella wird da und dort nachhelfen, vermitteln. Ein schwieriges Unterfangen, das dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Gentiloni vom PD nützt. Er ist trotz des Wahlausgangs noch immer der beliebteste Politiker in Italien. Zurückhaltend, integer und arbeitsam. Das kann von den lauten Siegern nicht unbedingt behauptet werden.

Staatspräsident Mattarella, ein sizilianischer Christdemokrat, wird den PD in Koalitionsverhandlungen mit den Cinque Stelle drängen. Mattarella versucht damit, die Selbstzerstörung des PD zu stoppen. In der Opposition, befürchtet der leise Staatspräsident, wird der PD ständig streiten und sich spalten. Er will Italien nicht den Rechten und den Cinque Stelle überlassen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karla Kuhn / 09.03.2018

Frau Pyrek hat recht, ich schließe mich an. In Italien ticken die Uhren eben anders, ich glaube nicht, daß ein echter Italiener sich von einer Frau wie Frau Merkel drangsalieren läßt. Dort haben die Männer eben noch Eier in der Hose. Beneidenswert und es ist sooo gut, daß die EU Politik von ihnen aufgemischt wird.

Hubert Bauer / 09.03.2018

Das BIP pro Kopf ist in Norditalien ungefähr auf deutschen Niveau. Es ist also anscheinend möglich, trotz chaotischer Regierung gute Wirtschaftszahlen zu liefern. Das Problem liegt in Süditalien. Die dortigen Probleme scheinen aber nichts mit der chaotischen Politik zu tun zu haben, weil Italien ein relativ zentralistischer Staat ist. Ich denke die dortige Korruption und die Mafia sind das Problem. Das dürfte in Norditalien weit weniger eine Rolle spielen als in Süditalien. Also braucht man eine Regierung, die hier ansetzt. Und da denke ich, dass Fünf-Sterne und Lega am besten sind.

Anja Pyrek / 09.03.2018

Ich mag die Italiener, weil sie sich nicht vorschreiben lassen wen oder was sie zu wählen haben. Wenn die EU eine miserable Politik macht, dann wählt man eben ratzfatz zwei EU-kritische Parteien. Das ist echte Demokratie. Ich würde mein Schicksal auch lieber in die Hände eines selbstverliebten Hurenbocks legen als mich einer irren Pfarrerstochter auszuliefern.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfgang Mayr, Gastautor / 06.07.2018 / 13:00 / 9

Exodus der Christen

Christen im Irak werfen dem Bildungsministerium vor, islamistisches Gedankengut zu verbreiten. So müssen sich christliche, yezidische und mandäische Schülerinnen und Schüler mit arabisch verfassten Prüfungsblättern auseinandersetzen, die die…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 27.06.2018 / 13:30 / 3

Gerry Adams von Sinn Fein warnt vor einem harten Brexit

Gerry Adams war einst im terroristischen Untergrund aktiv, wurde Chef der linksnationalistischen Partei Sinn Fein und einer der Architekten des anglo-irischen Friedensabkommens. Letztens meldet sich Gerry…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 16.06.2018 / 16:30 / 4

Brot und Spiele auf Römische Art

Die italienische Hauptstadt, präziser: die Altstadt, ist trotz des Schmutzes und der Schmuddeligkeit eine herausragende Metropole. Zumindest die Architektur, die steinernen Zeugen einer einst glorreichen Vergangenheit.…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 12.06.2018 / 12:00 / 7

Süditalien: Arm, korrupt, aber sonnig

Innenminister Salvini, der Lega-Chef, genehmigte erst das Anlegen eines Flüchtlingsschiffs in einem süditalienischen Hafen. Dann kam das Veto, Schiffe mit Migranten an Bord dürfen keine…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 08.06.2018 / 14:00 / 2

Italiens Neuer bietet für jeden das Passende

Ein politischer No name und Quereinsteiger hat es geschafft. Ministerpräsident Giuseppe Conte überzeugte die Mehrheit der Senatoren und der Kammerabgeordneten. Conte redete die Parlamentarier einfach…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 01.06.2018 / 18:00 / 3

Italien: Abwarten und in Berlin bitte die Klappe halten

Der grantige Staatspräsident Mattarella ist eingeknickt und hat – weil alternativlos – eingelenkt. Nachdem er die Regierung Conte platzen und einige Stunden lang den Wirtschaftswissenschaftler Carlo…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 25.05.2018 / 17:00 / 3

Matteo Salvini, ein erfahrener Selbstversorger

Matteo Salvini ist immer salopp unterwegs. Jeans, aufgeknöpftes Hemd, die Jacke geschultert. Und ständig am Handy, um die restlichen offenen Fragen zu klären. Davon gibt es…/ mehr

Wolfgang Mayr, Gastautor / 20.05.2018 / 16:00 / 7

Herr Erdogan und sein Gespür für Nazis

Erdogan, ein Humanist, ein besorgter Staatschef, der Schwächeren zu Hilfe eilt? Der türkische Staatspräsident teilt kräftig aus. Erdogan, der Kriegsherr, wirft Israel vor, mit Nazi-Methoden…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com