Ulrike Ackermann / 30.09.2013 / 21:49 / 3 / Seite ausdrucken

Ist Europa noch zu retten?

Europa hat letzten Endes nur Sinn, wenn und insoweit es zur Entfaltung und Verbreitung der liberalen Ordnung beiträgt”, mahnte einst der Soziologe und ehemalige EU-Kommissar Ralf Dahrendorf. Davon ist die Politik der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, aber auch der nun abgewählten christlich-liberalen Regierung weit entfernt gewesen. Immer wenn die Kanzlerin aus Brüssel zurückkam, hatte sie “mehr Europa” – also mehr Regulierung und Vergemeinschaftung – im Gepäck als vormals im Lande angekündigt. Ihr Finanzminister wollte schon immer eine bundesstaatlich straffere EU. Die Liberalen hatten sich, solange sie noch im Bundestag waren, europapolitisch im Windschatten Angela Merkels bewegt. Sie wird nun unter stärkeren Druck ihrer neuen Partner geraten. Ob Sozialdemokraten oder Grüne: Beide wollen schon länger die Vergemeinschaftung der Schulden, eine Transferunion und die Ausweitung der EU-Kompetenzen. Vom Schweigen der großen Parteien über neue Hilfspakte für Griechenland oder Spanien hat einzig die illustre AfD profitiert.

Es ist lange her, dass die Idee eines geeinten freiheitlichen Europas Bürger, Politiker und Märkte noch gleichermaßen begeisterte! Aus dem europäischen Projekt ist im Zuge der Staatsverschuldungs- und Finanzkrise ein ökonomischer und politischer Scherbenhaufen geworden. Die Vergemeinschaftung der Schulden mit immer gigantischer werdenden Rettungsschirmen geht einher mit einem atemberaubenden Entmündigungsprozess: einzelner Staaten, der nationalen Parlamente und der Bürger. Verträge wurden gebrochen, demokratische Verfahren ausgesetzt und unterlaufen. Das Heil sehen EU-Beamte, europäische Regierungschefs und ihre Finanzminister in noch mehr zentraler Planung, Lenkung, Egalisierung und Vereinheitlichung.

Ein überregulierter europäischer Superstaat zerstört die Vielfalt und den Wettbewerb – also gerade das, was die bisherige Erfolgsgeschichte des freiheitlichen Europa ausgemacht hat. Mit einer Transferunion wird die Verantwortung der Einzelstaaten suspendiert, und private Gläubiger werden aus der Haftung entlassen. Wenn zudem der europäische Integrationsprozess auf Zwang beruht, von Rechtsbrüchen begleitet ist und auf dem Rücken der Steuerzahler ausgetragen wird, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Skepsis der Bürger gegenüber den europäischen Institutionen und dem als alternativlos dargestellten Einigungsprozess wächst. Mit Sorge beobachten sie die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien und die zunehmende Abtretung nationaler Hoheitsrechte an die EU. Uniformisierung, Bürokratisierung und Regulierungswahn begleiten eine europäische Integration, die zum Selbstzweck geworden ist. Der Preis ist freilich hoch: Die schleichende Entwicklung hin zum Bundesstaat wird begleitet von einem enormen Demokratiedefizit.

Das beklagen auch einige Intellektuelle wie der Adorno- Schüler Wolfgang Streek in seiner Streitschrift “Gekaufte Zeit”. Nach der einleuchtenden Rekonstruktion der europäischen Krise kommt auch er zu dem Schluss, dass die Einführung des Euro ein Fehler gewesen sei, warnt vor einem Superstaat und fordert den Rückbau Europas. Das hat ihm die heftige Kritik von Jürgen Habermas eingetragen, der ebenso wie Daniel Cohn- Bendit in gewohnter Manier die postnationale Ära beschwört. Dennoch sind sie sich in einer Sache einig: Die Politik sei Geisel der Märkte geworden, und die “neoliberale Revolution” habe endgültig obsiegt. Diese in deutschen Feuilletons weitverbreitete Ansicht erstaunt indes umso mehr, als wir im Zuge der vorgeblich alternativlosen Euro-Rettung eine ganz andere Form des Wirtschaftens beobachten können: nämlich das seltsame Ungetüm eines staatsmonopolistischen Kapitalismus. Diese unheilvolle Verstrickung von Politik und Banken, die auf Gedeih und Verderb gerettet und weiterhin mit frischem Geld der EZB versorgt werden, hat jedoch mit Marktwirtschaft und ordnungspolitischen Prinzipien immer weniger zu tun. Solange laut den Basel-III-Vereinbarungen Banken nach wie vor ihre Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen müssen, so lange wird dieses fatale Abhängigkeitsverhältnis fortbestehen und der Staatsverschuldung Vorschub leisten. Erst eine strikte Trennung von Banken und Staaten, von Politik und Finanzkapital und die Wiedereinführung und Durchsetzung des Haftungsprinzips kann langfristig diesen Teufelskreis durchbrechen.

Doch es geht nicht nur um Fiskal- und Austeritätspolitik oder darum, ob die Griechen oder besser die Deutschen den gemeinsamen Währungsraum verlassen sollten. Vergessen scheint inzwischen, dass die Einigung Europas nach den zwei Weltkriegen nicht nur, wie gerne beschworen, ein Friedensprojekt, sondern immer auch ein Freiheitsprojekt als Antwort auf die totalitären Erfahrungen war. Die Gründerväter knüpften ausdrücklich an Werte und Errungenschaften an, welche die europäische Kultur sukzessive hervorgebracht hat. Der griechischen Polis verdanken wir die Idee des Bürgers und des Rechtsstaats, dem Römischen Recht das Privateigentum, der Vernunft der Aufklärung die Trennung von Staat und Religion und die Postulierung der Freiheit des Individuums. Die über Jahrhunderte hart erkämpften Menschen- und Bürgerrechte waren Voraussetzung für die Entstehung der parlamentarisch- repräsentativen Demokratie. Technischer Fortschritt und industrielle Revolution beförderten die Marktwirtschaft. Die europäische Kultur ist erfolgreich gewesen, weil sie von Offenheit und Skepsis, der Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkorrektur geprägt ist.

Es ist höchste Zeit, die Mannigfaltigkeit der nationalen Kulturen, die Vielfalt der Wege und das Subsidiaritätsprinzip gegen einen Einheitsstaat stark zu machen. Dem Mantra von der Alternativlosigkeit dieses Weges hat die niederländische Regierung klug geantwortet: “Europäisch, wenn nötig, national, wenn möglich”. Weitere Integrationsschritte können nur gelingen, wenn sie demokratisch legitimiert sind, wenn sie den Bund souveräner Staaten stärken – und wenn die Bürger an den Entscheidungen beteiligt werden. Sonst sieht es finster aus für das Freiheitsprojekt Europa.

Erschienen in DIE WELT am 30.9.2013

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Michael Geier / 02.10.2013

Das Wahre ist einfach, und das Einfache wahr.  Danach wird “dieses” Europa nicht funktionieren bzw. das Gegenteil von dem schaffen, was man eigentlich für immer zu verhindern glaubte, wenn es sich nicht zu einem GLASKLAREN, CHRISTLICH-JÜDISCHEN MENSCHENBILD bekennt, und versucht, aus diesem Wertekanon, ALLES WEITERE zu gestalten. Hier liegt der eigentliche Hase im Pfeffer! Warum?! Ich zitiere den damaligen Finanzminister, Theo Waigel (obwohl ich wirklich nie ein Fan von ihm war), aus einem späteren Interview, denn hier trifft er im Grunde den Nagel auf den Kopf:  (sinngem.) “Sobald der (o. gen.) theologisch-philosophische Unterbau erodiert/fehlt, können die Probleme dramatisch werden”.    Ja - keine Chance zur Läuterung, einer wirklichen Gesundung von der Wurzel her, konnten einem die “Früchte” dieser (europäischen) Zeitgeisterscheinungen vergällen.  Kein Amoklauf in Erfurt; keine Love-Parade; keine zunehmenden Kindermorde/vergewaltigungen; kein Bestreben einer Partei, Inzest o. Kindersex-Verbote klangheimlich auszuhebeln; keine Ehrenmorde, sondern vielmehr weitere, islamische Sonderrechte; keine zunehmende Bevormundung u. morbide Homogenisierung durch ein Raumschiff, namens “Brüssel” etc. etc. etc.    Ein Europa, dass abseits dieser o. gen. Werte zusammengeschustert wird, mutet eher wie ein naiver, ideologischer, euro-islamischer Gemischtwarenladen an, der nicht funktionieren wird und die Völker vielmehr früh oder später gegeneinander ausspielt. DENN: so wenig, wie eine schön eingerichtete Luxuswohnung eine GARANTIE dafür sind, dass die Menschen, die darin leben, auch glücklich sind, so wenig kann auch ein Europa der Marke “Eigenbau”  nicht funktionieren. Es geht immer um die Bewohner/Menschen, die diese Räume entweder beseelen, oder auch nicht! Der o. gen. “Leitfaden” muss erst neu entdeckt und entsprechend “modifiziert” widerbelebt werden. Hier stehen, z.B. die Kirchen (u. jedes ihrer Glieder!) in großer Verantwortung.  Andernfalls ist und bleibt dies alles ein morbides Wahnkonstrukt, da die “eigentlich” Idee, längst versenkt wurde.  Chancen u. Ökonomie hin oder her!

Matthias Kratzsch / 01.10.2013

Ich habe aber noch größere Befürchtungen, wenn dieser Prozeß in Europa so weiter geht. Es wird wieder zu Feindschaft und letztlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Völkern kommen. Die letzten Jahrezehnte zeigen uns doch am Beispiel Sowjetunion oder Jugoslawien, daß Völker, die unter Zwang vereinigt wurden, irgendwann mit Gewalt auseinanderbrechen. Unsere Kinder und Enkel werden diesen EURO-Wahn teuer bezahlen. Leider ist das einfache Volk nicht in der Lage, über den gut gefüllten Tellerrand zu schauen.

Alexander Bertram / 01.10.2013

Europa ist zu retten, wenn „weitere Integrationsschritte gelingen, - die demokratisch legitimiert sind, - die den Bund souveräner Staaten stärken, - und die Bürger an den Entscheidungen beteiligen“? Also in 2014 haben wir die nächste Europawahl; souverän können die Staaten immer noch entscheiden, das Einzige ist, dass sie mehr Verantwortung auch für den „Nachbar-Staat“ (wie beim Nachwuchs ;-)) übernehmen sollten im Sinne „einer für alle, alle für einen“, na und ob es sinnvoll und hilfreich ist, wenn deutsche Bürger sich bspw an Entscheidungen beteiligen sollen, wenn Frau Reding Frankreich Vertragsverletzungen bei der Behandlungen der Roma vorwirft, möchte ich in Frage stellen. Ihre Ausführungen haben das Mantra einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Ein Europa mit gemeinsamer Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ist (für Sie) nicht gut, also erzwingt man durch eigenes Verhalten genau dieses Ergebnis. Schade eigentlich, dass Sie nicht die Chancen begreifen, die sich mit Europa auch für Deutschland ergeben und souverän mit Herausforderungen und Problemen umgehen.

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