Eine der großen politischen Fragen unserer Tage geht so: Warum ist die übliche Linke immer auf Seiten der Palästinenser und warum kann Israel immer nur im konservativen Lager auf Verständnis hoffen? Nach langem Grübeln ist mir klar geworden, dass es müßig ist, zu versuchen, auf dieses Rätsel eine politische Antwort zu finden. Man muss es anders versuchen, muss tiefer in die menschliche Psyche hinein tauchen. In die Welt der Affekte. Und ich glaube, ich bin nach einem langen und schwierigen Tauchgang fündig geworden.
Was trennt denn wirklich den links verorteten Menschen vom konservativ beheimateten? Es ist die Mode, und zwar nicht nur im übertragenen Sinne (das natürlich auch), sondern im klassischen textilen Sinne. Links kleidet man sich so cool es eben geht, während der konservative Mensch sich – nun ja – eher konservativ kleidet. Und schon sind wir auf der Spur dessen, was die Palästinenser zur Ikone der Linken macht und den Israelis nur das Lager der uncoolen Nerds überlässt.
Spielt hier ein spezielles Kleidungsstück eine besondere, ja vielleicht sogar die Hauptrolle? Natürlich, es ist die Kufiya, zu deutsch: das Palästinensertuch. Es mag in den Augen des Uneingeweihten wie ein schlecht gebügeltes Küchenhandtuch wirken, der Kenner aber weiß gerade den rustikalen Schick des Palästinensertuchs zu schätzen. Und seine Flexibilität, die es dem Träger ermöglicht, das Tuch auf vielerlei Weise zu tragen.
Man kann es locker um den Kopf wickeln und womöglich, wie seinerzeit Arafat, einen Schwanz hinab zur Schulter hängen lassen. Es kann sich bei formelleren Anlässen straffer, also nahezu korrekt an den Kopf anschmiegen. Es kann ganz freisinnig unterhalb des Kopfes als lässiges Halstuch dienen. Und nicht zuletzt kann es bei Demo-Einsätzen das Gesicht umhüllen, als Symbol des Kampfes und zugleich als Tarntuch.
So ein Tuch? Niemals. Da ist man lieber uncooler Nerd.
Das Schönste an der Kufiya aber ist, dass sie nicht dem hektischen Wandel der Mode unterworfen ist und trotzdem immer hochaktuell ist. Damit unterscheidet es sich von kurzlebigen Moden, etwa von den leicht aufgekrempelten Hosenbeinen, die zur Zeit bei Frau und Mann unbekleidete Fesseln freigeben müssen. Diese Mode, so wunderschön sie ist, wird irgendwann nicht mehr cool sondern von gestern sein. Sie wird dort landen, wo schon vor langer Zeit die weißen Herrensocken gelandet sind.
Das Palästinensertuch hingegen bleibt ewig cool und darum ewig links. Es mag mal vorzugsweise so und dann auch wieder so gebunden werden. Aber es bleibt die Kufiya, die textile Ikone linker Gesinnung.
Der konservative Mensch wiederum ist als Träger ein solchen handtuchartigen Gebildes einfach nicht denkbar. Er tut sich schon mit dem krawattenlosen Oberhemd schwer, das inzwischen selbst auf den höchsten gesellschaftlichen Ebenen vornehmer Diesel-Manipulateure üblich geworden ist. Aber so ein Tuch? Niemals. Da ist man lieber uncooler Nerd.
Hinzu kommt, dass Israel seinen konservativen Freunden keine überzeugende Alternative bietet. Die Kippa hat einfach nicht das Potenzial lässiger Trageoptionen, mit denen die Kufiya punktet (klicken Sie zum Vergleich oben im Bild die vergleichenden Stilstudien mit Che Guevara an, dem sozialistischen Bambi) Auch der etwas klobige Schtreimel ist, wenngleich eindrucksvoll, nicht der wahre Jakob. Da ist es ein Glück, dass der konservative Israel-Freund den Wunsch, cool zu sein, nie gehabt oder als unerreichbar aufgegeben hat.
Kurz und gut: Wir haben es hier mit einem textilen Cool-Uncool-Gegensatzpaar zu tun, das tiefenpsychologische Wurzeln hat und darum politisch nicht behandelbar ist. Es erklärt in meinen Augen am ehesten die exakte, wenn auch politisch verblüffende Flügelbildung, die Palästinenser und Israelis bei uns regelmäßig erzeugen.