Jennifer Nathalie Pyka / 04.08.2014 / 06:34 / 11 / Seite ausdrucken

Israelkritik als nationales Kulturerbe, Volkssport und Grundrecht

Mit der Zivilcourage verhält es sich ein wenig wie mit Gott: Sie ist praktisch nie da, wenn man sie einmal braucht.

Beim Antisemitismus ist es dagegen etwas komplizierter: Er ist immer da, auch wenn ihn niemand benötigt. Nicht die Juden, und schon gar nicht die Deutschen, die es ihren jüdischen Mitbürgern übel nehmen, sobald sie gelegentlich an dessen Existenz erinnern. Nur so wird klar, warum sich die Suche nach der Stimme erhebenden Zivilgesellschaft, die derzeit vor allem von Joachim Gauck, Dieter Graumann und Charlotte Knobloch betrieben wird, durchaus kompliziert gestaltet. Denn die zivile, mediale und politische Klasse ist ihnen schon längst einen Schritt voraus. Sie erhebt zwar durchaus ihre Stimme – allerdings bevorzugt gegen Islamophobie genauso wie gegen Israel. Und das aus guten Gründen.

Schließlich wurde das Kapitel Judenhass 1945 offiziell abgeschlossen. Es gab ein „Nie wieder“-Versprechen, das vor allem sonntags bemüht wurde und um dessen Einlösung sich im Notfall schon die anderen kümmern werden. Parallel dazu richtete man Gedenktage ein, die vor allem dem deutschen Gewissen dienten, ebenso wie breite Bündnisse gegen Neonazis, um dem Führer noch posthum das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.

In diesem Bewusstsein fiel es deutschen Mutbürgern leicht, sich in aller Ruhe dem Management des Judenstaats zu widmen. Israelkritik erschien herrlich unverdächtig, Solidarität mit den Palästinensern gerecht und der Deutsche selbst durchwegs unantisemitisch.

So etablierte sich Israelkritik als nationales Kulturerbe, Volkssport und Grundrecht in Einem. Was immer Israel tat oder unterließ – der Deutsche nahm und nimmt es ihm übel. Er empfindet es als Affront,  dass der Israeli sich immer noch nicht vor dem Bau einer Siedlung oder dem Start einer Militäroffensive an die ehrenamtlichen Nahostexperten zwischen Lüneburg und Garmisch wendet, um deren Erlaubnis einzuholen. Zum Ausgleich konsumiert man fleißig Augstein’sche Publizistik und Grass’sche Poesie, denn nur von ihnen fühlt man sich verstanden.

Auch die Entdeckung der Islamophobie als angebliche Schwester des Antisemitismus kam vielen Deutschen gerade recht.

Zum einen, weil man so bequem und ohne widerspenstige Juden den Widerstand nachholen konnte, der vor über siebzig Jahren fehlte. Zum anderen, weil die Theorie von den Muslimen als neuen Juden den Kurs des Antisemitismus nach unten drückte. Ab sofort war er nicht mehr singulär, sondern schlicht eine Intoleranz von vielen. Und wenn es nur noch Islamophobie, dafür aber weniger Antisemitismus gibt, dann kann Israelkritik erst recht nicht antisemitisch sein.

Nun allerdings, da auch in jeder deutschen Stadt tausende Demonstranten fröhliche Pogrom-Umstände feiern, reibt sich die Nie-Wieder-Fraktion in Redaktionsstuben, Abgeordnetenbüros und Wohnzimmern peinlich berührt die Augen. Was jahrelang in Leitartikeln, Leserbriefen, Friedensinitiativen und feuchten Träumen stattfand, wird plötzlich überwiegend von Migranten in die Realität umgesetzt, die sich nicht nur bei Al Jazeera, sondern auch bei Jürgen Todenhöfer und dem ZDF-Nahostkorrespondenten informieren. Hie und da gibt es angewandte Synagogenkritik, andernorts gefährden Kippa-Träger ihre Gesundheit. Und das, obwohl die Akte Antisemitismus doch längst geschlossen war.

Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, entwickelt das Immunsystem des deutschen Nicht-Antisemiten nun vielfältige Abwehrmechanismen. Dass deutschsprachige Medien nicht über antijüdische Events in Belgien, Frankreich oder Großbritannien berichten, ist dahingehend schon mal hilfreich.

Aber auch die Mär vom „Importantisemitismus“ ist ein beliebtes Argument. Die anderen sind schuld, wir haben damit nichts zu tun. Das war schon unter Adolf so. Zuzugestehen, dass die sogenannten und in dieser Hinsicht bestens integrierten Importantisemiten lediglich den Part übernehmen, den die Deutschen bislang lieber im Rahmen der Trockenübung praktizieren, wäre schließlich etwas peinlich.

Angenehmer ist es, Stimme gegen Islamophobie im Allgemeinen, islamophobe BILD-Macher im Besonderen zu erheben.

Zwar sorgen sich viele Islam-Freunde genauso um das Wohl hiesiger Muslime wie um das der Palästinenser (nämlich gar nicht). Aber wenn es darum geht, den Judenhass aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, kommt die Islamophobie gerade recht. Denn Antisemitismus gibt es schließlich nicht – weder in Berlin, noch in Paris, und schon gar nicht im Gaza-Streifen, der im Grunde auch nur von einer israelkritischen Organisation verwaltet wird.

In der Konsequenz wird auch das Existenzrecht der Israelkritik so verteidigt, als stünde es gerade zur Disposition.

Antisemitische Tendenzen sind zwar schlimm, das Treiben der Israelis in Gaza aber ebenfalls. Schließlich, so heißt es, habe der deutsche Jude nichts mit dem Kriegstreiber Netanyahu zu tun. Warum Antisemitismus-Kritik dann nicht ohne Israelkritik möglich ist, bleibt dagegen ein gut gehütetes Geheimnis im Unterbewusstsein hiesiger Bedenkenträger.

Vermutlich liegt es aber daran, dass der durchschnittliche Israelkritiker weiß, wie wichtig Prävention ist. Judenstaatlich organisiertes Verbrechen anzuprangern dient schließlich nicht nur der Seelenhygiene. Auch die Schaffung eines dementsprechenden gesellschaftlichen Konsenses ist unabdingbar. Denn schließlich weiß man ja nie, wann man Jerusalem vollumfänglich für verprügelte Juden in Berlin zur Verantwortung ziehen muss. Da ist es wichtig, vorzubauen.

„Augen zu und durch“ lautet das Gebot der Stunde. Besonders in der deutschen Geschichte hat es sich immerhin schon einmal bewährt. Auch erhobene Stimmen gegen Islamophobie und den Judenstaat sind zwar eine Beleidigung für den Verstand, aber trotzdem durchaus legitim. Erfrischender wäre es allerdings, statt des Umwegs zuweilen die Abkürzung zu nehmen. Ein CDU-Ratsherr aus Niedersachen ist diesbezüglich mit gutem Beispiel voran gegangen, indem er ohne Umschweife bekundete, Juden scheiße zu finden.

Von ihm können hiesige Israelkritiker und sonstige Stimmenerheber zweifellos noch jede Menge lernen.

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Leserpost

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Maria Leuschner / 05.08.2014

Danke, Frau Pyka! Es können gar nicht genug Beiträge zum Thema geschrieben werden, schon allein deshalb, um die eigene Meinung zu schulen und das Wissen stets auf neue zu untermauern. Danke, Herr Zott für Ihre gute Zusammenfassung der Hamas-Charta. In Ihrem Beitrag ist alles gesagt, und wie an anderer Stelle erwähnt:  der Hass auf die Juden wurde bereits im Koran grundgelegt.

Karl Krähling / 05.08.2014

Ihre Mischung aus Verallgemeinerungen,  Geschichtsklitterungen und Antideutschem und haben zwar den Charme einer Broder-Polemik, sind aber doch nur ein abgeschmackter Aufguss all dessen, was sattsam bekannt und auch trotz beständiger Wiederholungen nicht richtiger wird. Es muss weh tun, wenn ein neutraler Beobachter, sagen wir mal ein Norweger, sich anschaut, auf welche Weise Deutschland mit seinen Nachbarn lebt und wie das im Nahen Osten ist. Ich vergaß: Natürlich sind immer die anderen Schuld. Juden trachten alle nur nach dem Leben weil sie Juden sind; und die Alliierten haben uns zu ordentlichen Menschen gemacht.

Werner Scholz / 04.08.2014

Das nenne ich Sinnestäuschung “So etablierte sich Israelkritik als nationales Kulturerbe, Volkssport und Grundrecht in Einem. Was immer Israel tat oder unterließ – der Deutsche nahm und nimmt es ihm übel.” Immer dieser fiese Deutsche. Ich wusste gar nicht, das Ban Ki-moon ein Deutscher ist. Ich dachte immer, der Mann ist aus Süd-Korea. Man lernt nie aus.

Marian Koci / 04.08.2014

Warum psychologisieren und mischen Sie das eigentlich alles, gnädige Frau? Trennen Sie halt einfach Antisemitismus von rationaler Israelkritik und fertig.

Franz Roth / 04.08.2014

Es ist so schön einfach, Israelkritik mit Antisemitismus gleichzusetzen. Und im Speziellen bieten sich Deutschland und die Deutschen dafür ja geradezu an. Werfen wir aber doch mal einen Blick nach Israel und auf seine Streitkräfte, auf die Israeli Defence Forces (IDF). Die 27 Offiziere (Piloten) der israelischen Luftwaffe (Aktive und Reservisten), die 2003 den Einsatz verweigert haben (so ziemlich aus den gleichen Gründen), waren das auch Antisemiten? Und 2006, waren z.B. Hauptmann Amir Pasteur, Feldwebel Itzik Shabbat, Hauptfeldwebel Omri Zeid, Hauptfeldwebel Zohar Milchgrub, Hauptfeldwebel K. Daniel oder Hauptfeldwebel Itamar Shapira und hunderte weiterer Soldaten der IDF, die den Einsatz im Libanon verweigerten, waren das Antisemiten? Sind die mehr als 50 Reservisten der IDF (überwiegend Frauen) aller Dienstgrade bis hin zu Offizieren, die im aktuellen Konflikt den Dienst verweigern, sind das auch Antisemiten? Auf jeden Fall denke ich so für mich, dass bei den Kameraden der IDF mal auf keinen Fall der gerne bemühte Rückgriff auf 1945 greifen kann, so umgangssprachlich auch als Nazikeule bezeichnet, nicht wahr. Können Sie dazu ein profundes Statement abgeben, Frau Pyka?

Heinrich Rabe / 04.08.2014

“Antisemitische Tendenzen sind zwar schlimm, das Treiben der Israelis in Gaza aber ebenfalls. Schließlich, so heißt es, habe der deutsche Jude nichts mit dem Kriegstreiber Netanyahu zu tun.” Hier liegt vielleicht noch ein weiterer Grund für den verklemmten, bigotten Umgang der veröffentlichten Meinung mit Gaza und Israel. Israel ist ein Staat, der unter ständiger Bedrohung lebt und nur deswegen noch da ist, weil er sich aktiv dagegen wehrt, notfalls mit Gewalt. In Deutschland sind das Tabus. “Sich wehren” und “notfalls mit Gewalt” gehen gar nicht. Wir sind die Guten, wir sind intelligent und sanft, nicht so primitiv wie die USA oder Israel, wir können differenzieren, suchen das Gespräch und die politische Lösung. Solange wir nicht selbst direkt gefährdet sind. Und wenn das passiert, werden die Betroffenen alleingelassen: man spricht nicht über sie, sondern über die Täter und die deutschen Schuldigen, die sie nicht integriert haben. Vermutlich wünschen sich unter der veröffentlichten Meinungsoberfläche viele Menschen, daß eine Anti-Israel-Demo nach “Juden ins Gas”-Rufen einmal kurz, konsequent und notfalls hart aufgelöst wird. Vermutlich wünschen sie sich, daß ein Intensivtäter einmal kurz und konsequent verurteilt und notfalls hart abgeschoben wird. Vermutlich wünschen sie sich, daß ein politischer Repräsentant einmal kurz,  konsequent und notfalls hart sagt, was Sache ist: daß die Hamas einer Charta anhängt, die die Vernichtung Israels fordert, und daß mit solchen Menschen nicht zu verhandeln ist. Allerdings wären all das Eingeständnisse dessen, daß die eigene Pippi-Langstrumpf-Sicht auf die Welt nur bei schönem Wetter und zivilisierten Gegnern funktioniert. Daß sie in der realen Welt nutzlos ist, wenn Gegnern Macht vor Frieden geht, wenn die Zahl der Toten Einschaltquote bringt. Es würde zeigen, daß die Meinungsbildner die Lage falsch eingeschätzt haben oder nicht sehen wollten, weil das nicht in ihr Weltbild paßt. Wer hätte die Größe, das von sich zu sagen? Wer fände den Mut für einen Neustart?

Arno Nühm / 04.08.2014

In letzter Zeit schreibst du nur über dieses Thema. Würde mich über mehr breite im Spektrum und andere Themengebiete freuen!

Anne Cejp / 04.08.2014

Der ganze Artikel ist ausgezeichnet, besonders gut gefällt mir die Überschrift. Gut beobachtet. Wenn es nicht so ernst wäre ..................

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