Orlys Fahrrad hat keine Gangschaltung und kein Licht, dafür aber eine stattliche Acht und eine schräg greifende Vorderradbremse. Es ist somit wie gemacht für Tel Avivs Verkehr. Rad fährt man hier vorzugsweise auf den Gehwegen. Das ist in Berlin zum Teil auch nicht anders – allerdings machen hier die Fußgänger Platz und lassen sich sogar kommentarlos zur Seite klingeln. Besonders schnell ist man somit zwar nicht – aber flotter als die sich nebenan stauenden Autos allemal.
Mein roter Singelspeed Marke Baumarkt bringt mich ans Meer samt Strandpromenade. Bis nach Jaffa lässt sich hier im Tosen der Wellen radeln. Glücklich die Menschen mit Meer vor der Haustür! Auf dem Rückweg gerate ich in den HaCarmel, einen typisch arabischen Markt, allerdings von Juden betrieben, was man daran sieht, dass hier Kippas neben den Gewürzen, Broten und Gemüsen angeboten werden.
Auf dem Rückweg radele ich über den Rothschildboulevard, die Unter den Linden Tel Avivs. In der Mitte sitzt ein komplett tätowierter Mann mit einem halben Dutzend Ringen in beiden Ohren. Vor sich auf dem Tisch ein Kärtchen „Tarot“. Er sieht nach einer Geschichte aus.
Ich setze mich zu ihm. Er stellt sich mir vor als „Rocco, wie der Pornostar“. Um seinen Hals hängt ein Skarabäusamulett, beide Arme sind mit alten ägyptischen Motiven zugehackt. Ich frage ihn, welche Verbindung er zu den „Illuminati“ hat, schließlich prangt der Schriftzug groß auf seinem Unterarm. Rocco berichtet, schon immer ein helles Kerlchen gewesen zu sein. Als Kind sei er stets mit der Enzyklopädie auf die Toilette gegangen, habe einen IQ von 142 und glaube nicht wie der Rest der Israelis an Stärke, sondern an Wissen. Dieses mit mir zu teilen, ist er offenbar bereit.
So berichtet er, Moses habe sein spirituelles Wissen von den alten Ägyptern geklaut, nur so sei ihm die Teilung des Meeres möglich gewesen – von Gott habe das nicht kommen können, der habe ihm schließlich erst später die Zehn Gebote gegeben. Israel heute existiere im übrigen nur auf Grund finanzieller und militärischer Unterstützung aus Deutschland. So hätten die Deutschen etwa heimliche Torpedo-Sonderanfertigungen nach Israel geschickt, die deutlich weiter und schlagkräftiger seien, als erlaubt. Aha.
Leider werde das auch nicht helfen, da wir uns ja dem Dezember 2012 nähern und die ganze Welt dann untergeht. Die ganze? Nein, die amerikanische Regierung nicht, denn sie hat den Irak angegriffen, um eine Andockstelle zu haben, von der aus „die wichtigen Leute“ zum schwarzen Planeten X hochgebeamt werden. Dessen Bilder habe man aus den google maps Karten herausgeschnitten, auf alten Aufnahmen sei er indes noch zu sehen. Hinter allem steht die reichste Familie der Welt, es sind Bayern, die ihr Geld mit Gold aus Nigeria gemacht haben. Ich bin verblüfft. Bislang dachte ich immer, Verschwörungstheorien hielten stets mit Antisemitismus Händchen – es scheint aber auch ohne zu gehen.
Rocco erläutert mir noch kurz, warum die deutsche Bezeichnung „Westjordanland“ falsch sei, da dieser Teil zu Israel gehöre, „der einzige Fehler, den wir damals gemacht haben, war die Leute von dort nicht zu deportieren. Erde hat keine Stimme, Menschen schon. Deshalb haben wir jetzt Probleme“. Davon mal abgesehen, sei er schon vierzig und unverheiratet, ob wir nicht zusammen ein Bier trinken gehen möchten? Ich verzichte auf weitere Erleuchtung und radele stattdessen zurück zu Orlys Künstlerloft.