Tobias Kaufmann / 22.03.2007 / 16:12 / 0 / Seite ausdrucken

Irak-Umfrage: Was die ARD verschwieg

In diesem Eintrag habe ich auf die ARD-Umfrage zum Thema Irak hingewiesen und mich gefragt, warum wohl eine Differenzierung der Ergebisse in Hinblick auf die Volksgruppen nicht berücksichtigt wurde – denn natürlich beurteilt ein arabischer Sunnit, der unter Saddam Geheimdienstler war und heute arbeitslos ist, die Lage im Land etwas anders als ein Kurde oder ein Schiit. Darauf haben mir drei unserer großartigen Leser folgende sachdienlichen Hinweise geschickt.

A.S. schreibt:

“Lieber Herr Kaufmann,

ich habe Ihnen vorgestern der Hinweis geschickt, dass die Ergebnisse der jüngsten Irak-Umfrage hier nach Volksgruppen differenziert zu finden sind. Ab Seite 14 finden Sie alle Resultate, nur nicht graphisch aufbereitet. Wie Sie in Ihrem Kommentar für die Achgut-Website richtig schreiben, geht dies aus dem Material auf der ARD-Website nicht hervor. Es entsteht ein wesentlich anderes Bild, wenn man die Unterschiede sieht. Es wird deutlich, dass die Antworten der arabischen Sunniten die Resultate in vielen Fragen in den “roten” Bereich gezogen haben.

Der Weg von der ARD-Website zum vollständigen Bericht ist übrigens etwas kompliziert:
“in Link führt von der Tagesschau-Seite (http://www.tagesschau.de/thema/0,1186,OID6520456_NAV_REF3,00.html) zur angeblich “kompletten Umfrage”: http://service.tagesschau.de/download/pdf/Iraq-Poll-2007.pdf
Dort steht aber die Volksgruppen-Differenzierung immer noch nicht. Ganz am Ende findet man den Link zu “analyses of the results and additional methodological details.”: http://abcnews.go.com/US/PollVault/
Dort kann man schließlich den Link finden, der wirklich zu dem vollständigen Report führt: http://abcnews.go.com/images/US/1033aIraqpoll.pdf

Beispiele daraus:

Frage 1: wie ist die eigene Lebenssituation insgesamt? “Gut” sagen
- Iraker insgesamt: 39%
- 7% der arabischen Sunniten
- 53% der Schiiten
- 68% der Kurden

Frage 2: wie ist die eigene Lebenssituation im Vergleich zu Saddams Zeiten? “Besser” sagen
- Iraker insgesamt: 42%
- 8% der Sunniten
- 60% der Schiiten
- 68% der Kurden

Frage 10: war der Sturz Saddams durch die Intervention richtig? “Richtig” antworten
- Iraker insgesamt: 48%
- 2% der arabischen Sunniten
- 70% der Schiiten
- 83% der Kurden

Und so geht das weiter, mit ein paar Ausnahmen. So sind sich alle einig, dass die Stromversorgung miserabel ist. Aber wer macht denn die Leitungen immer wieder kaputt?! Kein Zweifel: die Tendenz war im vorigen Jahr negativ. Aber die überaus negative Einstellung der arabischen Sunniten ist untrennbar mit ihrem Macht- und Privilegienverlust und sicher auch mit einer gewissen Einäugigkeit der Regierung Maliki bei ihrem Vorgehen gegen terroristische Gruppen verbunden. Letzteres muss sich unbedingt ändern und der Druck auf die Sadr-Milizen geht in die richtige Richtung.

Ganz interessant fand ich, dass die Konsumgüterversorgung offenbar schon besser geworden ist:

Household items:
                3/5/07 11/22/05 2/28/04
Air conditioner   55     58       44
Car             56       55       43
Refrigerator     96       90       81
Telephone       45       38       30
Mobile telephone 89       2       6
Washing machine 59     54       44
Television         99     99       NA
Satellite dish     96     86       32*
Radio             92     77       NA
Computer         37     17       NA
Internet access   15     9       NA
Shortwave radio   67     NA       NA
Car radio         53     NA       NA

Ich fände es sehr sinnvoll, die Achgut-Leser auf diese viel bessere Darstellung der Ergebnisse der Umfrage hinzuweisen.”

Und Leser H.-D.R. schreibt:

“Wir haben hier wieder einmal den üblichen Skandal: Deutsche Medien berichten über Umfragen im Irak nur, wenn ihnen das Ergenis behagt. Daher kein Wort zu einer anderen Umfrage (einen Tag vorher veröffentlicht!), die erstens viel genauer ist (über 5000 Befragte gegenüber 2000) und zweitens viel besser ausgewertet wurde. Während wir in der Studie, die Sie zitieren, erfahren, dass sie die Gebiete Bagdad, Al-Anbar (beides Hochburgen der Gewalt), Basra (Hochburg der radikalen Schiiten) und Kirkuk “oversampeln” (also eindeutig Problemgebiete überbetonen), ist die erwähnte Studie (siehe unten) exakt nach Geschlecht, Provinz, Alter, ethnischer und reigiöser Zugehörigkeit gegliedert.

Ein Ergebnis herausgegriffen:
Frage danach, ob es derzeit besser oder schlechter steht als unter Saddam

Besser als unter Saddam
Sunniten:  29 %
Schiiten:  66 %
Kurden:  75 %

Besser unter Saddam
Sunniten:  51 %
Schiiten:    6 %
Kurden:    4 %

Gleich schlecht
Sunniten:  11 %
Schiiten:  20 %
Kurden:  10 %

Keine Antwort
Sunniten:  9 %
Schiiten:  8 %
Kurden:  11 %”

Alle Tabellen und Grafiken gibt es hier, einen Text dazu aus der Sunday Times hier.

M.R. schließlich weist darauf hin, der Fehler in der ARD-Umfrage sei, dass die Sunniten mit 35 Prozent der Befragten überrepräsentiert sind, ohne dass diese Akzentverschiebung herausgerechnet worden wäre.

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