Rainer Grell / 14.12.2017 / 17:33 / Foto: National Geographic / 16 / Seite ausdrucken

Intelligenz - und was man draus macht

Machen wir uns nichts vor: Intelligenz nötigt uns Respekt ab und Bewunderung. Mir allerdings nur mit Einschränkung. Und das kam so:

Ich habe mein Jura-Studium 1961 begonnen mit dem Ziel, Strafverteidiger zu werden. Deshalb beschäftigte ich mich früh mit Kriminologie, Viktimologie (damals relativ neu) und Kriminalistik. Dabei fiel mir bald auf: Kriminelle sind nicht selten ziemlich intelligent. Manche geradezu genial. Wobei man früher diesen Begriff nicht so inflationär gebrauchte wie heute.

Der erste geniale Kriminelle, auf den ich stieß, war der holländische Kunstfälscher Han van Meegeren, der sich auf Bilder im Stil seines Landsmannes Jan Vermeer van Delft (1632-1675) spezialisiert hatte und seine Fälschungen von 1937 bis 1943 unter die Leute brachte. Seine Arbeiten waren so perfekt, dass auch nach seiner Verurteilung einige Werke, deren Fälschung er gestanden hatte, von Experten gleichwohl als echte Vermeers angesehen wurden (Sepp Schüller, Fälscher, Händler und Experten, Ehrenwirth 1959). Dabei war seine Intelligenz ebenso wichtig wie sein malerisches Talent, denn er vermied akribisch alle Fehler, die seine Werke als Fälschung entlarvt hätten: Er benutzte Leinwände aus dem 17. Jahrhundert, verwendete alte Farben, insbesondere das teure Lapislazuli-Blau Vermeers und Bleiweiß, malte mit alten Pinseln aus Dachshaar und entwickelte eine Technik zur Herstellung der für alte Ölgemälde typischen Rissbildung.

Auch den Ganoven, die den legendären großen Postzugraub bei Ledburn in England durchführten (1963, Beute nach heutigem Wert 56 Mio. Euro), allen voran Bruce Reynolds und Ronald Biggs, wird man eine überragende Intelligenz nicht absprechen können. Es gibt dazu sogar eine eigene Fan-Seite (kein Witz, durchaus lesenswert), die sich in allen Einzelheiten „mit der (vermutlich) berühmtesten Straftat der Kriminalgeschichte“ befasst.

Und der unter dem Decknamen „Dagobert“ Anfang der 1990er Jahre als Kaufhauserpresser bekannt gewordene Arno Funke besaß ebenfalls überdurchschnittliche technische Begabung und brachte es auf einen Intelligenzquotienten von 145, zählte also zu den Hochbegabten. Die Presse berichtete geradezu genüsslich über die vergeblichen Versuche der Polizei, „Dagobert“ zu fassen, was diesem im Gegenzug eine gewisse öffentliche Sympathie bescherte (eine Art kollektives Stockholm-Syndrom).

Bewunderung für Räuber und Fälscher

Die Reihe ließe sich noch fortsetzen, aber auch so dürfte klar sein: Intelligenz ist nichts weiter als ein Werkzeug, ein „tool“, wie man heute sagen dürfte. Ein Werkzeug, das man zu ganz unterschiedlichen Zwecken einsetzen kann: zum Wohl oder zum Schaden seiner Mitmenschen. Wofür man sich entscheidet, hat weniger mit Intelligenz, als hauptsächlich mit Charakter zu tun.

Gleichwohl ruft auch jene Intelligenz, die zu kriminellem Tun genutzt wird, bei vielen Bewunderung hervor. Das hat sich zum Beispiel in dem Film-Genre der „Heist-Movies“ (Prototyp „Rififi“) niedergeschlagen: „Diese Filme befassen sich mit der Planung, Vorbereitung und Durchführung eines meist spektakulären Raubes, wobei die Handlung aus dem Blickwinkel des Räubers bzw. der Räuber gezeigt wird, die in der Regel auch Sympathieträger sind.“ So wurde der große Postzugraub mehrfach verfilmt (u.a. „Die Gentlemen bitten zur Kasse“). Und auch Konrad Kujau, ein Adept van Meegerens, brachte es als Verfasser der „Hitler-Tagebücher“ zu Filmruhm: Der Titel „Schtonk“ wurde sogar aus Charlie Chaplins Meisterwerk „Der große Diktator“ der Phantasiesprache der Hitler-Karikatur Anton Hynkel (ab 1:02) (Gram­melot) entlehnt. Schtonk-Autor Ulrich Limmer wollte übrigens auch eine Filmkomödie über einen „Meisterfälscher“ unserer Tage, nämlich Wolfgang Beltracchi, machen, was aber am Widerstand des Ehepaars Beltracchi scheiterte – dafür gibt es genügend Dokumentarfilme über ihn. 

Sicher spielt bei der offenen oder klammheimlichen Bewunderung bestimmter Krimineller deren überragende Intelligenz nicht die einzige Rolle. Denn schon Friedrich Schiller stellte einleitend in seiner „wahren Geschichte“ „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ fest: „In der ganzen Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, als die Annalen seiner Verirrungen.“

Wenn aber hohe Intelligenz mit einem prinzipiell positiven Charakter zusammenkommt, dann können Menschen zu Leistungen befähigt werden, die uns allen nützen und unsere Bewunderung verdienen: Leibniz, Goethe, Einstein, Bill Gates, Charles Chaplin und viele viele Unbekannte. Und es entstehen so bewegende Reden, wie die des namenlosen jüdischen Friseurs in Chaplins „The Great Dictator“ (auf Deutsch hier, Text hier), eines der großartigsten Dokumente der Menschlichkeit. Wenn auch bei den ganz Großen nicht immer alles Gold ist, was glänzt.

Hier irrt auch Leibniz

Ich vergleiche Intelligenz gerne mit einem Hammer, mit dem man ganz verschiedene Dinge machen kann:

  • Einen Nagel in die Wand schlagen.
  • Sich ungeschickterweise einen blauen Daumennagel verpassen.
  • Einem anderen den Schädel einschlagen.
  • Ein Vogelhäuschen zusammennageln.
  • Oder ein unvergängliches Kunstwerk schaffen, wie Michelangelos David.

Wer sich heute unsere Politiker anschaut und vor allem anhört, wird feststellen: Von Ausnahmen abgesehen dürften sie alle über eine hohe bis sehr hohe Intelligenz verfügen. Dass dies in ihren Äußerungen und Entscheidungen nicht immer zum Ausdruck kommt, liegt einfach an ihrem jeweiligen Charakter als Summe der „persönlichen Kompetenzen, die die Voraussetzung für ein moralisches Verhalten bilden.“

Das heißt natürlich nicht, dass Intelligenz kein Qualifikationsmerkmal von Politikern sein sollte. Sie ist eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für diesen Beruf.

Deswegen irrte Platon und mit ihm bis heute viele andere, wenn er meinte, ein Staat werde nur dann gut regiert, wenn der Herrscher ein Philosoph, also ein Liebhaber der Weisheit, sei. Auch der letzte Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz sprach sich dafür aus, dass Politiker über ein Verständnis von Naturzusammenhängen verfügen sollten. Jetzt haben wir seit zwölf Jahren eine promovierte Physikerin als Bundeskanzlerin. Und was ist das Ergebnis?

Foto: National Geographic tumblr via Wikimedia Commons

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Peter Schaefer / 15.12.2017

Was hat denn die Weisheit mit der Intelligenz zu tun? Die Weisheit hat etwas mit Lebenserfahrung, Realismus und wenn wir romantisch sind, auch Güte bzw. Friedfertigkeit zu tun. Gerade die ersten beiden Lebenserfahrung und Realismus täten unseren Politikern sicherlich mehr als gut.

M. Stoll / 14.12.2017

Ich muss aus dem Gedächtnis zitieren, deshalb ist der folgende Spruch wahrscheinlich nicht wortgetreu. Thilo Sarrazin hat mal sinngemäß folgende Aussage getroffen: “Die Leute glauben, daß Politiker im Allgemeinen eine sehr hohe Kompetenz besitzen. Nach seiner Erfahrung ist sehr oft das Gegenteil der Fall.” Ich denke, er hat Recht. Zumindest erklärt es für mich manch Unerklärliches.

Marcel Seiler / 14.12.2017

Ohne dass ich irgend welche Daten hätte, bezweifle ich die These, dass unsere Politiker so hohe Intelligenzquotienten haben. Was mein Fachgebiet angeht (Volkswirtschaft), zeichnen sie sich jedenfalls vielfach durch enorme Ahnungslosigkeit aus, und sie schaffen es außerdem, ihre eigene Ahnungslosigkeit völlig zu ignorieren. Und sollten die Parteispitzen einen hohen IQ haben (kann ja sein), so habe ich bei der Masse der Bundestagsabgeordneten in jedem Fall meine Zweifel. Aber vielleicht reden die Politiker, inklusive der Parteispitzen, ja nur deshalb so viel simplifizierten Unsinn, weil sie sich ihrem Publikum anpassen wollen.

Wolfgang Oedingen / 14.12.2017

Lieber Herr Greil, Sie haben wohl noch nie gehört, wie die Bundeskanzlerin an ihren Doktor in Physik gekommen ist. ich empfehle Ihnen Klaus Peter Krause “Wie Merkel 1987 mit SED-Größen feierte”. Es sei denn ich habe die Ironie in Ihren Worten nicht empfunden. Beste Grüsse

M. Haumann / 14.12.2017

Hohe Intelligenz beinhaltet als Kernmerkmal das schnelle Lernen aus Fehlern mit nachfolgender zügiger Korrektur und dem regelmässigen neugierigen Testen neuer Wege und Alternativen. So richtig klar geworden ist mir das wieder, als ich eine kurze aber faszinierende Zeit ausgerechnet mit einem Kea verbringen durfte, dem hochbegabten neuseeländischen Papagei. Die Physikerin fordert gerade zum x-ten Mal europäische “Solidarität”, nachdem zumindest Herr Tusk den elend langen Kampf gegen die Realität aufgegeben hat. Da mich ausgeprägte Intelligenz auch mit grosser Bewunderung erfüllt, würde ich eine halbe Stunde mit diesem Vogel jederzeit einer beliebigen Zeit mit Frau Merkel vorziehen.

Wilma Jung / 14.12.2017

Na ja, schon bei Platon ist das ja so ziemlich daneben gegangen (Staat, der von Philosophen regiert wird), denn sein Experiment in Sizilien ist ja wohl auch kein Erfolgsmodell gewesen. Das eine ist Theorie, das andere eben Praxis

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