Der Koalitionsvertrag von Union und SPD trägt drei schmucke Unterschriften, die Ministerliste steht auch schon fest – jetzt müssen nur noch die sozialdemokratischen Basismitglieder darüber befinden, ob sie den ganzen von ihrer Führung ausgehandelten Kram gutheißen oder nicht doch lieber mit ihrem kollektiven Hintern auf dem Selbstzerstörungsknopf Platz nehmen wollen. In den Medien gibt es dafür Schimpfe satt: So ein Gezicke, die beiden anderen Partner – ebenfalls gute sozialdemokratische Parteien – würden sich doch auch nicht so anstellen. Die SPD leide an Selbsthass, sie sei, so fand der Stern, „eine zutiefst humorlose Partei“. Das müssen 474 820 Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen nicht auf sich sitzen lassen. Denn niemand steht so sehr für Deutschlands Traditionsverein wie der Grandseigneur des politischen Humors, der demnächst beinahe hundertjährige Altkanzler Helmut Schmidt. Die drei Achgut-Autoren Silvia Meixner, Gideon Böss und Alexander Wendt machten sich bekanntlich beim Transkribieren der intimsten und erschütternsten Schmidt-Interviews der letzten Jahre nützlich und versammelten sie in dem Band: „Auf ein Gläschen mit Helmut Schmidt. Hunderte Antworten auf brennende Fragen“. Für Sozialdemokraten und ihre Wähler gehört das kleine rote Buch ohnehin zur Pflichtlektüre. Die Autoren finden allerdings: Die Gedanken des Weltweisen von Hamburg-Langenhorn sollten nicht nur diesem klandestinen Kreis vorbehalten bleiben. Deshalb zeigt sich H. S. hier und jetzt und stellvertretend für alle Genossen schon vor dem Ende des großen Mitgliedervotums von seiner beschwingten Seite:
Durchaus heitere Momente
Der Weltstaatsmann spricht über den besonderen Humor der Norddeutschen, lobt die Verdienste Helmut Kohls und verrät zum Schluss, über welche kleine Peinlichkeit er in seiner Karriere lachen konnte.
Herr Schmidt, wir wollen über ein Thema sprechen, das wir eigenartigerweise bisher immer ausgespart hatten: Humor. Haben Sie eigentlich heute schon gelacht?
Ja, durchaus. Ich war in dem Keller meines Hauses, wo ich Weinflaschen und alte Kabinettsprotokolle aufbewahre, und dort ergab es sich, dass ich zwischen 10 Uhr 15 und 10 Uhr 16 mehrmals herzlich lachen musste.
Darf man fragen, was der Anlass war? Kabinettsprotokolle, die Sie nach mehr als dreißig Jahren amüsieren – das macht mich sofort neugierig.
Nein, die Aufzeichnungen von damals hatten mich durchaus nicht amüsiert. Da gab es nichts zu lachen. Während meiner Kanzlerschaft tagte das Kabinett strikt als Arbeitsgremium. Ab Tagesordnungspunkt zehn hatte ich stilles Mineralwasser ausschenken lassen, um die Runde etwas aufzulockern – mehr aber auch nicht. Gelegentlich kam es wohl zu einem zwischenmenschlichen Jux, etwa, wenn Kollege Wischnewski an der Höhenverstellung von Genschers Stuhl geschraubt hatte, so dass der mit dem Kinn auf den Besprechungstisch sauste - aber sowas wurde natürlich nicht ins Protokoll aufgenommen.
Aua! Tat das nicht weh?
Bekanntlich zeichnete sich der Kollege Genscher damals durch ein nachgerade feistes Doppelkinn aus. Das federte schon eine Menge ab.
Und worüber haben Sie nun heute Morgen gelacht?
Ach, das war nur eine ganz allgemeine Überlegung, da ich dort unten, wie gesagt, Wein und Kabinettsunterlagen aufbewahre. Ich dachte mir: Zehn Flaschen im Weinkeller sind relativ wenig, zehn Flaschen im Kabinett dagegen relativ viel. Lacht kurz Ich glaube, dieses flamboyante Wortspiel werde ich in meinen Aphorismenband aufnehmen, der im nächsten Frühjahr erscheint.
Ich will Sie ganz gewiss nicht bremsen, verehrter Herr Schmidt, aber was die Originalität angeht, muss ich ganz kurz in die Rolle des Advocatus diaboli schlüpfen und gestehen, dass ich diese Formulierung kürzlich in einer Bismarck-Biografie gelesen habe. Der Reichskanzler äußert sich am 1872 herum in dieser Weise, allerdings nur als Zitat. Die Originalformulierung stammt, glaube ich, aus dem Punischen Krieg, erster Teil.
So.
Aber letzten Endes sitzen wir doch alle nur am großen Webstuhl der Zeit und bringen die Formulierungen der Vorväter immer neu zum Glänzen, nicht wahr? Apropos Weinkeller – ich weiß zufällig, dass eine Delegation von Sozialdemokraten Ihnen nach der Wahlniederlage 1983 ein Menschärgeredichnicht-Spiel und eine Flasche „Oggersheimer Nacktarsch“ in Birnenform geschenkt hatte. Fanden Sie das nicht lustig? Haben Sie die Flasche noch?
Ganz Recht, ich fand das nicht lustig. Was sollte daran witzig sein? „Oggersheimer Nacktarsch,“ das ist doch billigster Kabarettschmierpapp der achtziger Jahre. Dieser Mann, der zur Zeit meiner Kanzlerschaft das Amt des Oppositionsführers innehatte, besitzt gewiss große Verdienste um den Humor in Deutschland. Aber ich finde, Komiker sollten sich nicht immer am schwächsten Subjekt vergreifen.
Ganz offen gefragt, und ich hoffe, Sie verstehen es nicht falsch, verehrter Herr Schmidt: Finden Sie denn, dass Sie komisches Potential besitzen?
Gehe ich Recht in der Annahme, dass Ihrer Frage das allgemeine Klischee des nüchternen protestantischen Norddeutschen zugrunde liegt, und außerdem noch das ganz spezielle Bild des peniblen und auf läuseknackerische Weise besserwisserischen Helmut Schmidt, der Ihnen in Nullkommanichts den Unterschied zwischen Ming- und Quin-Dynastie, C- und cis-Dur und zwischen Pepita- und Vichy-Karo erklärt? Ja? Ist es das, was Sie denken?
Wie könnten Sie denn mit einer Annahme Unrecht haben? Wobei ich Ihnen natürlich auf keinen Fall unterstellen will, Sie würden unentwegt andere belehren.
Wie auch immer, jedenfalls liegen Sie mit Ihrer Vermutung völlig falsch. Wir Nordlichter sind in Sachen Humor nämlich durchaus Spaßbrötchen, wie man so sagt. Ich kenne nun wirklich kein so albernes Vorurteil wie das, wir hätten keinen Witz. Denken Sie an die Leichtigkeit und Lebensfreude bei Edvard Munch! Und Günter Grass zählt doch nun wirklich zu den komischsten deutschen Dichtern. Dazu gehört die typisch norddeutsche Gelassenheit, die ich neben der Komik so schätze. In der Sturmflut 1962 hatte ich ein Dorf bei Hamburg mit dem Hubschrauber besucht. Da saßen zwei Bauern auf dem Dach ihres Hauses, und der eine sagte zum anderen: ‚Guck mal, da unten schwimmt ne Mütze.’ Meinte der andere: ‚Nee, dat is Hein, der mäht bei jedem Wetter.’
Jahrelang hatten Sie beruflich in Bonn zu tun, im Rheinland, wo nun bekanntlich ein ganz anderer Humor herrscht: Karneval, Bützchen, Schenkelklopfen á la Helmut Kohl, keine Spur von Subtilität. Zu Karnevalszeiten kamen diese Prinzen und Funkenmariechen ja auch zu ihnen ins Kanzleramt. Wurde da auch geschunkelt?
In Maßen. Ich hatte nur jedem zweiten in der Reihe das Schunkeln erlaubt, damit noch eine gewisse Disziplin gewahrt blieb. Aber es herrschte schon eine recht ausgelassene Stimmung, obwohl die meisten von uns keine Rheinländer waren, oder gerade deshalb, wenn Sie so wollen. Hans-Jochen Vogel produzierte mit seinem Locher Konfetti, Erhard Eppler malte es mit seinen Textmarkern bunt, und Herbert Wehner baute eine hübschen Tischschmuck aus Pfeifenreinigern. Das muss 1975 gewesen sein; wir hatten Wehners Bastelarbeit dann bis 1982 jedes Jahr verwendet.
Und was hatten Sie selbst in der närrischen Zeit getrieben?
Ich war immer mittemang im Trubel, und es gab ab und zu sogar einen hintersinnigen Spaß. Kanzleramtschef Ehmke hatte zum Beispiel jedes Jahr einen Genscher-Parodisten-Wettbewerb organisiert. Die Kabinettsmitglieder mussten dazu im Fledermauskostüm erscheinen und Büttenreden in grauenvollem Sächsisch halten. Genscher selbst nahm übrigens jedes Mal teil, und er kam immer nur auf den dritten oder vierten Platz. Angeblich trainierte er regelrecht verbissen. Genützt hat es ihm gar nichts.
(Mehr im Buch)