Heute feiert der Philosoph Odo Marquard seinen 85. Geburtstag. Ein Grund zu gratulieren.
Nicht nur wegen des hohen Alters, sondern vor allem weil Marquard ein maßgeblicher Denker der Bundesrepublik ist, der sich zeitlebens der „Verweigerung der Bürgerlichkeitsverweigerung“ verschrieben hat. Als Vertreter eines liberal-konservativen Denkens, der der bilderstürmenden Studentenbewegung einen „nachträglicher Ungehorsam“ vorhielt, machte sich Marquard innerhalb der akademischen Philosophen in Deutschland keine großen Freunde.
Marquard sah sich als Skeptiker, der insbesondere von den großen modernen Geschichtsphilosophien nichts hielt. Die Tendenz dieses totalitären Denkens, die menschliche Individualität – und damit den Menschen – zu negieren und endgültige Antworten für eine nicht-endgültige Welt zu liefern, hat ihm stets missfallen. Dies war eine der Lehren, die er aus seiner Zeit als Schüler an einer Adolf-Hitler-Schule, gezogen hatte.
Damit wandte er sich im Sinne seines Lehrers Joachim Ritter sowohl gegen die „supraprogressistischen Traditionsnegierer“ wie die „restaurativen Progressionsnegierer“. Gerade in der bürgerlich-liberalen Republik sah Marquard die Möglichkeit, die Entzweiung zwischen Herkunft und Zukunft zu versöhnen. Eben darum verteidigte er die Errungenschaften der Bundesrepublik mit Verve und Wortwitz.
Zahllos sind Marquards Neologismen und philosophischen Merksprüche, die oftmals quer zur Terminologie der akademischen Philosophie standen. Mit dem philosophischen Betrieb und der Selbstüberschätzung vieler Philosophen hatte Marquard – trotz seiner Professur in Gießen – so seine Probleme. Der modernen Philosophie gestand Marquard nur noch eine – wie er es in seiner unverkennbaren Art nannte – „Inkompetenzkompensationskompetenz“ zu, die zwar wichtig, aber eben nicht mehr allumfassend sein konnte.
In Zeiten von Wutbürgern, Aufschreien und antihumanistischen Fanatismus aller Art lohnt es sich wieder Marquards pointierten Schriften aus dem Schrank zu holen und zu lesen. Gerade diesen Aspekt seines Denkens brachte er 2004 in seinem kleinen Reclam-Bändchen „Individuum und Gewaltenteilung“ noch einmal auf den Punkt:
“Die Apologie der Bürgerlichkeit verteidigt die Mitte, auch und gerade die politische Mitte. Denn die liberale Bürgerwelt bevorzugt - gut aristotelisch - das Mittlere gegenüber dem Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der großen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem ‘Moratorium des Alltags’, das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen, kurzum: die Bürgerlichkeit gegenüber ihrer Verweigerung.”
Alles Gute, Odo Marquard!