Und erneut beschäftigt mich das Konservative. Heute aus Anlass eines Artikels in der FAZ. In dem schimpft Edo Reents in vielen Worten und mit einigen Beispielen über die neue Infantilität unserer Gesellschaft. Das blöde Internet und die tückischen Angebote der Konsumkultur machen uns zu alten Kindern, meint er.
Meist schreibt Reents in der FAZ über Popmusik. Sein Kulturpessimismus mag von daher auch dem Überdruss an den eigenen Themen geschuldet sein. Doch es wäre unfair, den Artikel damit abzuurteilen. Reents liefert nämlich durchaus Bedenkenswertes. So, wenn er feststellt, die Gesellschaft ermögliche heute keine „Kontrasterfahrungen“ mehr. Es stimmt, im allumfassenden Informations-, Meinungs- und Bilderfluss verschwimmen früher strikt getrennte Welten. Deutschland sucht immer wieder mal einen Superstar, Amerika einen Präsidenten – beides wird als Castingschau mit unterschiedlichem Twitterpotenzial behandelt.
Aber ist das so schlimm? Immerhin wird beides behandelt. Und zwar durch die neue Medienvielfalt durchaus facettenreich. Diese Facetten aber mag der gemeine Konservative nicht sehen. Er stimmt lieber den alten Singsang von einer früheren, besseren Welt an, in der Bildungsbürger sich beim Tee stundenlang zivilisiert über die amerikanische Präsidentenwahl unterhielten. Wenn der Konservatismus heute noch ganz bei sich ist, dann im Träumen von dieser Bildungsidylle. Die gab es natürlich nie. Mehr Anteil als an Obamas erster Wahl hatten die deutschen Durchschnittsbürger wahrscheinlich noch nie an einer US-Wahl genommen. Auch wenn es Kulturpessimisten nicht passt: Wir sind heute politisch und kulturell breiter informiert als je zuvor. Und der häufige Griff zum Smartphone, um während eines Gespräches mal kurz eine Wissenslücke zu schließen und damit das Gespräch zu bereichern, ist nicht der Untergang irgendeines Abendlandes, sondern schlicht eine neue Kulturtechnik.
Diese oder andere Kulturtechniken der digitalen Welt entgehen dem konservativen Blick. Sie taten das schon immer: Konservativ sein heißt, nicht so genau hinzuschauen und sich der Gegenwart mit einem letztlich desinteressierten, nur groben Blick zu nähern. Das führt dazu, dass die aus konservativer Sicht eigentlich zu begrüßenden Veränderungen durch das Internet übersehen werden. Die vielen digitalen Verhaltenskodizes, Normen, Höflichkeitsakte. Nur durch diese Holzschnittperspektive halten konservative Kritiker das Bild der kulturlosen Digitalgesellschaft aufrecht.
Und dann natürlich der Kapitalismus. Wie viele FAZ-Autoren, hat auch Reents zu ihm und zu ökonomischen Grundmechanismen allgemein eine tief ablehnende Haltung. Konservativ sein heißt in Deutschland immer noch, Kapitalismus als kulturellen Übergriff eines degenerierten Westens (Amerika) zu betrachten. Reents bestätigt dies, indem er Maßhalten stilisiert und das Denken in Wachstumskategorien verteufelt. Er mag den Konsum nicht, findet ihn geistlos und infantil. Und es stimmt, dem rauschhaften Kaufen haftet etwas Kindliches an. Die Befriedigung via Konsum braucht das Naive, nicht das kritisch Reflektierende.
Aber: Auch ein naiver Konsum treibt die Wirtschaft an. Würde hingegen die konservative Verzichtshaltung politisch ernst genommen, führte sie zu wirtschaftlicher Stagnation, steigender Arbeitslosigkeit, schrumpfendem Wohlstand. In der konservativen Traumwelt stört das aber nicht. Denn da sitzt man ja genügsam in karger Stube und rezitiert leise vor sich hin Goethe.