Alex Feuerherdt / 07.08.2016 / 10:00 / Foto: Vaishal Dalal / 4 / Seite ausdrucken

In Hildesheim ist der Teufel los

Der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) – eine staatliche Fachhochschule in Niedersachsen mit den Standorten Hildesheim, Holzminden und Göttingen, an der zurzeit rund 6.000 Studentinnen und Studenten eingeschrieben sind – schlägt seit zwei Wochen vernehmliche Kritik entgegen. Der Grund dafür ist ein Seminar der Dozentin Ibtissam Köhler, das den Titel „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ trägt. Es wird bereits seit zehn Jahren an der HAWK angeboten, erfährt aber erst jetzt öffentliches Interesse, genauer gesagt: seit einem Beitrag, der unlängst in der Jüdischen Allgemeinen erschien. Darin berichtete der Autor Hans-Ulrich Dillmann über die Lehrveranstaltung und ihre Ausrichtung. 

Dillmann hatte erfahren, dass die promovierte Religionspädagogin Rebecca Seidler die Anfrage für einen Lehrauftrag im Wintersemester 2015/16 zur jüdischen sozialen Arbeit in Deutschland und Israel an der HAWK abgelehnt hatte, weil Köhlers Seminar – das als Modul gemeinsam mit Seidlers geplanter Veranstaltung angeboten werden sollte – aus ihrer Sicht einen völlig einseitigen, extrem israelfeindlichen Inhalt hat und sich dabei vielfach auf untaugliche und unseriöse, teilweise sogar obskure Quellen stützt. Die Kritik von Seidler hatte die zuständige Dekanin zunächst ignoriert, wie Dillmann schrieb, und später als „persönliche Empfindlichkeit“ abgetan.

Jan Riebe dagegen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berliner Amadeu Antonio Stiftung, kam zum gleichen Urteil wie Seidler: Das Seminarmaterial stelle „die Politik Israels in einer einseitigen, teils delegitimierenden bis antisemitischen Betrachtungsweise“ dar, den Studenten werde so „ein zutiefst antiisraelisches, in Teilen sogar antisemitisches Weltbild vermittelt“, schrieb er der Jüdischen Allgemeinen zufolge in einem Gutachten. Die Veranstaltung sei deshalb „unvereinbar mit den demokratischen Grundsätzen einer Hochschule“.

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland erhob Einspruch; sein Präsident Josef Schuster bat die niedersächsische Wissenschaftsministerin, Gabriele Heinen-Kljajic, in einem Schreiben darum, dass „ein derartiges Seminar nicht mehr in ihrem Zuständigkeitsbereich angeboten wird“. Die Hochschule selbst dagegen konnte die Kritik nicht nachvollziehen und fühlte sich „angeschwärzt“. Sie verwies auf ihre hauseigene Ethikkommission, die „keinen Anhaltspunkt“ dafür sehe, dass in Köhlers Seminar „antiisraelische oder antisemitische Inhalte in unzulässiger Weise propagiert werden“. Ob sie der Ansicht ist, dass Antisemitismus und Israelhass auch in einer zulässigen Weise propagiert werden können, blieb offen.

Seit Ende Juli zieht die Angelegenheit Kreise: Der NDR berichtete darüber, die Bild‑Zeitung ebenfalls. Auch die Jerusalem Post nahm sich der Sache an und zitierte unter anderem den Sprecher des israelischen Außenministeriums, Emmanuel Nahshon, der ausführte, die HAWK sei „keine Hochschule, sondern eine Hassfabrik“. Die niedersächsische Wissenschaftsministerin versicherte, die Kritik an der HAWK „sehr ernst“ zu nehmen, und beschloss, einen weiteren Gutachter mit der Prüfung des Seminars zu beauftragen.

Die Hochschule begrüßte in einer Presseerklärung diesen Schritt, ihre Präsidentin Christiane Dienel blieb gleichwohl bei ihrer Auffassung, dass „der Vorwurf des Antisemitismus in höchstem Maße ungerechtfertigt“ ist. Sie sei „traurig und betroffen, in welchem falschen Licht unsere Hochschule öffentlich dargestellt wird“, und davon überzeugt, dass „mit moralischem Druck und dem völlig unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus erzwungen werden [soll], dass den Kritikern nicht genehme Inhalte an unserer Hochschule verbannt werden“. Dienel berief sich auf „Meinungspluralität“ und die „Freiheit der Lehre“ und beteuerte: „Die kritisierten Quellen dienen im Seminar als Material zur kritischen Auseinandersetzung, sie sind selbstverständlich nicht Auffassung der Dozentin oder der Hochschule.“ Mehr

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Andreas Rochow / 09.08.2016

Leider ein weiterer Beleg für die fortschreitende Verkommenheit unseres akademischen Systems.

Frank Möller / 08.08.2016

Jetzt mal Butter bei die Fische. Welche einseitige, anti-israelische, anti-seminitische Richtung wird dem Seminar denn vorgeworfen. Selbstverständlich muss eine Universität auch Texte dieser Richtung kritisch lesen lassen!? Ein Geschichtsseminar mit Hitler-Quellen ist keine Nazi-Veranstaltung usw. Wenn wir PC und Gesinnungsprüfung auch noch an die Unis schaffen, wird es ganz übel.

Wolfgang Hebold / 07.08.2016

Interessant ist, dass die Hochschulen in meinem anti-islamischen Fall gar nicht schnell genug kündigen konnten. Offenbar wird Anti-Semitismus an deutschen Hochschulen eher akzeptiert, als eine anti-islamische Haltung, die sich gegen die politischen Forderungen des Islam richtet. Zumal ich meine politische Überzeugung nicht im Unterricht kundgetan habe. Was in diesem Fall ja wohl anders ist. Arabischer Antisemitismus hat einen Bonus.

Markus Hahn / 07.08.2016

Das Interessante ist, vielen Menschen, die eine vergleichbare Sozialisation genossen haben wie die HAWK-Präsidentin Frau Prof. Dr. Christiane Dienel (Baptistische Freikirche, SPD-Karriere, westeuropäische Human-Science-Fakultäten), sind der tiefen Überzeugung, überzeugte Anti-Antisemiten zu sein. Dies natürlich eher auf einer mehr theoretisch, abstrakten Ebene. Das Narrativ des endlosen kollektiven Leids, das den Palästinensern von Juden, ach nein: von Israel (!) angetan werde, ist aber allzu verlockend. Moralische Aufwertung durch (völlig risikolose) Solidarität mit einem phantasiert absoluten Opferkollektiv und moralische Entlastung durch die Dämonisierung der Juden, ach nein: von Israel, das irgendwie auch nicht besser ist, als das nationalsozialistische Deutschland war. Aber ein solcher Erklärungsansatz würde Frau Dienel sicherlich empören…sehr…aus tiefster Überzeugung.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alex Feuerherdt / 23.10.2019 / 11:00 / 39

Warum sich Juden in Deutschland zunehmend unsicher fühlen

Antisemitismusdebatten in Deutschland zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass sie die Problematik und die Ausprägung des Hasses gegen Juden nicht in ihrer Gänze zu erfassen…/ mehr

Alex Feuerherdt / 11.10.2019 / 10:00 / 15

Grünes Geld für Terror und Antisemitismus?

Israelische Sicherheitskräfte haben den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für den Mord an Rina Shnerb festgenommen. Der Palästinenser Samer Mina Salim Arbid ist dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet…/ mehr

Alex Feuerherdt / 02.10.2019 / 15:00 / 10

Deutscher Regierungsvertreter trifft Antisemiten und Terror-Unterstützer

Die deutsche Bundesregierung hat seit April 2018 einen Beauftragten für die weltweite Religionsfreiheit, der beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angesiedelt ist und „den…/ mehr

Alex Feuerherdt / 29.06.2017 / 13:45 / 5

WDR: Die Kaltherzigkeit der Ertappten

Von Alex Feuerherdt. Am Ende wurde sie dann doch noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt, die Dokumentation Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa von Joachim Schroeder und…/ mehr

Alex Feuerherdt / 10.05.2017 / 14:54 / 4

Zu gut für ARTE

Als Mahmud Abbas im Juni des vergangenen Jahres vor dem europäischen Parlament eine Rede hält, behauptet er darin, es gebe in Israel Rabbiner, die die israelische…/ mehr

Alex Feuerherdt / 28.04.2017 / 17:30 / 6

Pax Christi: In Gottes Namen gegen Israel

Wer in Essen eine Ausstellung präsentieren möchte, darf sich gewiss glücklich schätzen, wenn er es in der zentral gelegenen, altehrwürdigen und imposanten Münsterkirche tun kann.…/ mehr

Alex Feuerherdt / 27.01.2017 / 11:22 / 2

Rote Karte für den Salafistenfreund aus Darmstadt

Am Ende stand die Trennung – nach nicht einmal einem halben Jahr. „Nach Analyse der Gesamtsituation macht eine weitere Zusammenarbeit für beide Seiten keinen Sinn…/ mehr

Alex Feuerherdt / 18.12.2016 / 17:37 / 1

Die CDU legt sich mit Israel-Boykotteuren an

Von Alex Feuerherdt. Der Text lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Wer heute unter der Fahne der BDS-Bewegung zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aufruft,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com