Gastautor / 08.01.2016 / 10:30 / 0 / Seite ausdrucken

Im Wunderland

Von Oliver Zimski

„Woher kommst du denn und wohin willst du?“, fragte die Herzkönigin.
„Ach, ich suche meinen Weg”, erwiderte Alice.
„Deinen Weg?“, wiederholte die Herzkönigin verwundert. „Alle Wege hier sind meine Wege!“
(aus: Alice im Wunderland)

Ähnlich „alternativlos“ hat die deutsche Herzkönigin Angela Merkel innerhalb eines Jahres 1 bis 1,5 Millionen vor allem muslimischer „Refugees“ in ihr Wunderland gelockt. Die genaue Zahl kennt keiner, ein beträchtlicher Anteil wurde weder kontrolliert noch registriert. Nun scheinen – wie in der literarischen Vorlage - alle normalen Maßstäbe verrückt, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit aufgehoben. Die Kommunikation ist paradox, klare Begrifflichkeiten werden systematisch verwischt.

Wer ist Flüchtling? Wer Wirtschaftsmigrant? Scheißegal, kein Mensch ist illegal! Grenzen sind unmenschlich, ebenso wie Gesetze oder internationale Verträge. Also weg damit! Es ist der Traum der linksradikalen „No-border-no-nation“-Bewegung, den die deutsche „Politik des freundlichen Gesichts“ seit einem halben Jahr träumt, und mit ihm hat sie ihr gesamtes Bezugssystem verschoben: nicht mehr für die eigene Bevölkerung möchte sie tätig sein, sondern für alle Menschen weltweit. Was werden wir vorfinden, wenn wir aus diesem Traum erwachen: multikulturelle Harmonie oder einen „failed state“ mit Anarchie und Bürgerkrieg?

Angela Merkel gibt die Richtung vor, und die Medien ziehen voll mit, lassen sich ziehen wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Ein Austausch von Sachargumenten zwecks Lösung drängender Probleme? Unmöglich, ohne als „Rassist“ oder „Rechtspopulist“ angeprangert zu werden. Gegenrede? Nur noch von außerhalb des Mainstreams. Die ehedem feinsäuberliche Trennung von Meldung und Kommentar? Fast durchweg aufgehoben, als hätte sie nie existiert.


1. Köln

Am letzten Tag desselben Jahres kommt es in Köln und anderen deutschen Großstädten zu einer „neuen Dimension organisierter Kriminalität“ (Justizminister Maas), wie man sie bislang nur vom Kairoer Tahrir-Platz aus der Zeit des „Arabischen Frühlings“ kannte. Doch die naheliegende Vermutung, bei den Tätern könne es sich um arabische Migranten handeln, weisen die meisten Politiker und Medien empört zurück: Dafür gebe es keinerlei Belege, wer das suggeriere, sei ein „Hetzer“.

In der Tat gibt es keine Belege für irgendetwas, da ja Hunderttausende von Einwanderern unregistriert durchs Land streifen und die Kölner Polizei zudem keine Täter verhaften konnte. Bei einigen hat sie immerhin die Personalien festgestellt, zufälligerweise waren es syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltsbescheinigungen fürs Asylverfahren. Diese können jedoch auch gefälscht gewesen sein, vielleicht um - analog zu einem von Justizminister Maas gern verwendeten Argumentationsmuster - „die deutsche Flüchtlingsdebatte zu eskalieren“. Aber vielleicht waren es auch nur „polizeibekannte Intensivtäter“ (so ein Polizeisprecher), die der Polizei leider nicht bekannt sind. Nichts Genaues weiß man nicht im Wunderland, will es auch nicht wissen. Denn wenn man etwas wüsste, könnte das einen „Generalverdacht gegen Flüchtlinge schüren“ (Innenminister de Maiziere).

Auch die omnipräsente Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor warnt vor voreiligen Schlüssen. Es sei gefährlich, orientalisch geprägten Männern bestimmte Verhaltensmuster zuzuschreiben, solche Stereotype seien rassistisch und würden von der politischen Rechten missbraucht. Ihr Verweis auf „Übergriffe enthemmter deutscher Männer“ auf dem Münchner Oktoberfest kann kein rassistisches Stereotyp sein, schließlich ist Kaddor keine „Rechte“.

2. Schengen und die Türkei

Ein anderer Schauplatz, dieselbe Außerkraftsetzung von Logik und rationalem Denken. Man dürfe nicht zulassen, dass Schengen kaputt gemacht werde, kommentieren zahlreiche Politiker mit betroffenen Mienen die Einführung von Grenzkontrollen durch die dänischen Behörden, und der deutsche Außenminister Steinmeier sieht die „Freizügigkeit bedroht“.

Dabei kann der freie Reiseverkehr zwischen den Schengen-Staaten überhaupt nur funktionieren, wenn gleichzeitig die Außengrenzen geschützt werden. Da die Vertragsgrundlage seit dem vergangenen Sommer bekanntermaßen zerstört ist, müssen und werden alle Nachbarstaaten nach und nach ihre Grenzen zu Deutschland schließen. Diese Kausalkette sieht jedes Kind, nur nicht die politischen und medialen Eliten in Berlin und Brüssel.

Vieles läuft schräg im Wunderland. Angela Merkel ist im Oktober 2015 extra zum türkischen Präsidenten Erdogan gereist und hat mit ihm ein milliardenschweres Abkommen geschlossen, damit die Türkei die illegale Zuwanderung unterbindet. Erdogan hat das Geld, den Zuwachs an Reputation und die Versprechen auf EU-Visaerleichterungen für türkische Staatsangehörige gern genommen, doch der Zustrom hält seitdem unvermindert an.

Fragt hier irgendein deutsches Medien kritisch nach? Gibt es Titelstories und Hintergrundberichte investigativer Journalisten zur Interessenlage der Türkei, die mit der Schleusung der Menschenströme über ihr Territorium in die EU gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt? Gar Druck, der in der Öffentlichkeit aufgebaut wird, wegen des offensichtlich faulen Deals? Nichts dergleichen. Politiker und viele Journalisten liegen als Gefangene ihrer eigenen Fehlentscheidungen und -einschätzungen im Koma. Ihre letzte und einzige Hoffnung ist wohl, dass die Bürger sich – zumindest bis zu den nächsten Wahlterminen im Frühjahr – weiterhin von hohlen Phrasen und einseitiger Berichterstattung einlullen lassen.

3. Deutschsein

„Es kommt darauf an, denen nicht zu folgen, die mit Kälte oder gar Hass in ihren Herzen ein Deutschsein allein für sich reklamieren und andere ausgrenzen wollen“, sagte Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache. Diesen einen Satz lohnt es noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Weniger wegen „Kälte“ und „Hass“. Das ist ja so üblich im Wunderland, dass die schlimmsten Spalter am lautesten vor der „Spaltung unserer Gesellschaft“ warnen und die größten Hetzer allen Andersdenkenden „Hass“ vorwerfen. Nebenbei: Wie kann die Kanzlerin eigentlich die „Kälte“ in den Herzen diagnostizieren? Ist sie nicht nur Physikerin, sondern auch Kardiologin?

Viel interessanter ist aber die Frage, was es bedeutet, „sein Deutschsein für sich zu reklamieren“. Ist die Nationalität nicht eine Prägung über Generationen, die man sich bei seiner Geburt nicht ausgesucht hat und die man möglichst mit allen positiven und negativen Aspekten akzeptieren sollte? Oder, bei Eingebürgerten, eine Art von Willenserklärung, dass diese bereit sind, sich in ihre neue Heimat zu integrieren, die damit verbundenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen? So verhält es sich jedenfalls überall sonst auf der Welt. Nur nicht bei Angela Merkel.

Mit ihrem Satz impliziert sie, Teile der Bevölkerung würden ihr „Deutschsein“ eifersüchtig wie einen Schatz hüten, würden chauvinistisch auf die Neubürger herabsehen, die verzweifelt versuchen, ebenfalls „deutsch“ zu werden. Dieses diffamierende Zerrbild für ein Land zu wählen, in dem mittlerweile jeder Fünfte einen Migrationshintergrund hat und das sich seit Jahren wie kaum ein anderes in Europa als weltoffenes Einwanderungsland definiert, das außerdem eher an kollektiver Selbstverachtung als an einem Übermaß an Nationalstolz leidet, ist völlig absurd. Der darin enthaltene Vorwurf geht ins Leere, selbst wenn er an Pegida- oder AfD-Anhänger gerichtet sein sollte, die es wohl in ihrer übergroßen Mehrheit durchaus begrüßen würden, wenn möglichst viele der nach Deutschland kommenden Migranten auch wirklich „Deutsche“ werden wollten.

Sinn ergibt Merkels Satz nur, wenn man ihn als Aufforderung versteht, ab jetzt alle Migranten, die nach Deutschland kommen, automatisch als „Deutsche“ und „Mitbürger“ zu betrachten. Wieder so eine für das Wunderland typische Verwischung der Begrifflichkeiten! Offenbar fühlen sich die Kanzlerin und ihre Gefolgsleute bereits als an keine Regeln, Beschränkungen, Definitionen oder Grenzen mehr gebundene „Weltbürger“ und damit in ihrem Bewusstseinsstand den normalen Bürgern, deren Denken noch in herkömmlichen Kategorien von Rechtsstaatlichkeit und Gesetzestreue verhaftet ist, um Lichtjahre voraus. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, hieß es vor 25 Jahren. Was wird das Leben mit einer machen, die zu früh kommt? Die so viel klüger, weiser und vorausschauender ist als alle anderen? Die besser als „das Volk“ weiß, was gut ist für dieses Land, die besser als sämtliche europäischen Nachbarländer weiß, was gut ist für Europa?

Früher nannte man eine solche Herrschaftsform Absolutismus, und diejenigen, die da unkritisch hinterher liefen, hießen Höflinge, Lakaien, Speichellecker. Dies auf die heutige Situation übertragen zu wollen, wäre eindeutig „Hetze“. Schon einmal haben sich die Menschen als unreif für eine ähnlich großartige Idee erwiesen, nämlich für die des Kommunismus. An ihrer Unreife scheiterte die mit so vielen Hoffnungen herzensguter Aktivisten verbundene Errichtung eines klassenlosen Paradieses auf Erden, ohne Grenzen, Widersprüche und Unterschiede. Das darf nicht noch einmal geschehen! Vertrauen wir also weiter unserer Herzkönigin! Sie wird schon alles richten. Und sei es auch nur zugrunde.

„Aber ich möchte nicht unter Verrückte kommen“, meinte Alice.
„Oh, das kannst du wohl kaum verhindern“, sagte die Grinsekatze. „Wir sind hier nämlich alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.”
„Woher willst du wissen, dass ich verrückt bin?”, erkundigte sich Alice.
„Wenn du es nicht wärst“, stellte die Grinsekatze fest, „dann wärst du nicht hier.“

Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor. 2015 erschien sein Kriminalroman „Wiosna – tödlicher Frühling“.

 

 

 

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