Henryk M. Broder / 18.02.2016 / 12:25 / 10 / Seite ausdrucken

Im Stich gelassen

Wenn es etwas gibt, das „typisch deutsch“ ist, dann ist es nicht das Oktoberfest, es sind nicht die „Meistersinger“ von Wagner und auch nicht Ausdrücke wie „Willkommenskultur“, „Trauerarbeit“ und „Zivilgesellschaft“. Es ist eine aggressive Form der Wehleidigkeit, der Wunsch, sich zum Opfer zu stilisieren, das seinen Nachbarn so viel Gutes angetan hat und dafür nichts als Undank erntet. Darum ging es auch in der letzten „hart aber fair“-Sendung mit Frank Plasberg: „Wohin mit den Flüchtlingen – lässt Europa uns im Stich?“ Und am heftigsten lassen „uns“ ausgerechnet die Staaten im Stich,  die uns am meisten verdanken, nämlich ein paar friedliche und erholsame Jahre unter deutscher Vormundschaft: Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Rolf-Dieter Krause, der seit gefühlten 1000 Jahren für die ARD aus Brüssel berichtet, brachte es auf den Punkt:

Und das ist ein Problem, das wir jetzt haben. Und ich sage, das ist gefährlich. Ich glaube, dass die Menschen, die da sitzen (zeigt ins Publikum), dass die deutschen Menschen, ganz normale, keine Journalisten, keine Politiker, die registrieren sehr genau, ob unser Land jetzt allein gelassen wird mit diesen Dingen oder nicht. Und dieses ist ein Land, das in Europa bisher immer solidarisch war, enormer-weise... Und die Folgen, die das hat, in unserem Land: Können sie sich vorstellen, dass eine deutsche Regierung es dann, wenn wir alleine bleiben, noch mal schaffen kann, vor ihren Wählern zu vertreten, dass die solidarisch ist gegenüber Ländern, die mit uns nicht solidarisch waren? Ich halte das für fast unmöglich. Und dann muss man sich überlegen, was das für Europa bedeutet...

Faszinierend zu beobachten, wie schnell ein bekennender Europäer zum Deutschen regrediert. Dabei lässt er unter den Tisch der eingeforderten Solidarität fallen, dass Deutschland mehr als jedes andere Land in Europa von der EU profitiert und sich zu einem Hegemon entwickelt hat. Und nun, da die anderen nicht mitmachen wollen bei der „fairen Umverteilung“ der Flüchtlinge, wird der Pate böse. Er droht damit, die Koffer zu packen und woanders hinzuziehen. Sollen doch die Europäer zusehen, wie sie alleine klarkommen!

Solidarität ist keine Einbahnstraße. Und Geisterfahrer, das sind immer die anderen.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Martin Wehlan / 18.02.2016

Nicht nur die Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn lassen uns im Stich, sondern auch viele Ostdeutsche lassen die westdeutschen Gutmenschen im Stich, weil sie meinen, in solchen Kommentaren wie von Rolf-Dieter Krause die Wiedergeburt der “Aktuellen Kamera” oder die Reinkarnation von Karl-Eduard von Schnitz zu erkennen - wie grausam ! Dabei waren doch die Ostdeutschen 1989 und 1990 nichts weiter als Wirtschaftsflüchtlinge, die nur D-Mark haben wollten und trotzdem jammern. Aus reiner Gnade haben die Westdeutschen die Ostdeutschen in ihr Land aufgenommen und ihnen gezeigt wie es richtig ist. Dazu waren sie keinesfalls verpflichtet und die Ostdeutschen müsse bis heute dafür dankbar sein. Aber nein, diese Ostdeutschen - kaum kommt jemand, dem es noch schlechter geht, stellen sie Ansprüche und wollen mitreden.

Eugen Karl / 18.02.2016

Deutschland hat leider nicht von der EU profitiert, das ist die traurige Wahrheit, sondern stets draufgezahlt. Allerfalls haben ein paar deutsche Ministerialbeamte oder EU-Bürokraten profitiert, die Bürger in keiner Weise, sondern sie sind nur zur Kasse gebeten worden.

Oliver Bender / 18.02.2016

Rolf Dieter Krause unterschätzt “die Leute, die da sitzen”. Wir wissen sehr genau, wer ohne Absprache die Grenzen geöffnet hat und die Klügeren wissen auch, dass deutsche Regierungen immer nur dann solidarisch waren, wenn gezahlte Gelder durch Exporte wieder mit Gewinnen zurückgeflossen sind. Wohlgemerkt gezahlt wurde stets mit Steuermitteln, während der Gewinn bei Unternehmen verbucht wurde. Diese deutsche Weinerlichkeit sollten Sie, lieber Herr Broder, vielleicht doch etwas differenzierter auf Politiker und Medienvertreter anwenden, nicht auf die Deutschen im Ganzen.

Ulrich Weinfurtner / 18.02.2016

OT: Lieber Herr Broder, obgleich ich Ihre Artikel nicht ungern lesen, es muß einmal gesagt werden: Streichen Sie doch bitte die Neusprech-Mißgeburt “einfordern” und verwenden dafür ein passendes Wort (fordern, verlangen etc.). Die Tendenz, Wörtern durch irgendein Präfix mehr Gehalt zu verleihen, ist ebenso grauenhaft, wie das allfällige Gemensche: Personen, Leute, Einwohner u.ä. scheint es in deutschen Mediensprache kaum mehr zu geben.

Detlef Dechant / 18.02.2016

Ich höre immer wieder, Deutschland profitiere am meisten von der Eurozone und der EU, vor allem im Handel. Das ist aber nur teilweise richtig. Bereits vor Einführung des EURO waren diese Länder die Haupthandelspartner! In absoluten Zahlen ist das Handelsvolumen auch gestiegen. Aber das sagt nichts über die Qualität aus. Ein Beispiel: Wenn ich an jemanden in einem Jahr 10 Güter verkaufe, aber im nächsten Jahr nur noch 5, diese aber zum doppelten Preis, und an einen anderen weitere 5, so ist hat sich mein Umsatz verdoppelt, aber Gütervolumen ist gleich geblieben und hat sich zu meinem ersten Handelspartner sogar halbiert. Ähnlich ist es beim deutschan Außenhandel. Das Gesamtvolumen ist gestiegen, auch zu den Ländern der Eurozone. Gleichzeitig ist aber der Anteil des Handels mit den Euroländern gesunken, also auch deren Bedeutung für unseren Export. Dieser Anteil beträgt nämlich nur noch etwas über 40 % und ist seit Einführung des EURO kontinuierlich zurückgegangen. Ähnlich ist die Entwicklung bei den EU-Ländern verlaufen. Der Handel mit außereuropäischen Ländern nimmt immer mehr an Bedeutung zu. Die Einführung des EURO hat also keinen Einfluss auf unseren Export gehabt, da es zwischen der Entwicklung des Handels mit den Eu-Ländern insgesamt und der EURO-Zone keine signifikanten unterschiedlichen Entwicklungen gegeben hat.

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