Gerd Held / 08.08.2016 / 06:00 / Foto: Tim Maxeiner / 15 / Seite ausdrucken

Im Gefängnis der Worte (3): Spricht hier noch eine Regierung?

Es ist unglaublich, aber wahr: Nach der Anschlagsserie Ende Juli, die jederzeit eine Fortsetzung erfahren kann, ist die Bundesregierung nicht in der Lage, den Satz über die Lippen zu bringen: „Dies ist ein Angriff auf unser Land“. Die Bundeskanzlerin scheint ihre Aufgabe darin zu sehen, ihren Gemütszustand mitzuteilen. „Erschütternd, bedrückend und auch deprimierend“ hat sie die Anschläge auf der Sommerpressekonferenz am 28.Juli genannt. Haben wir also eine erschütterte, bedrückte und deprimierte Regierung? Das wäre schlimm. Diese Worte enthalten keine Spur von Widerstand und Wehrhaftigkeit.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem in deutschen Regierungskreisen bei Terrorakten häufig gebrauchten Ausdruck, man sei „schockiert“. Das erweckt den Eindruck, es gehe um ein Geschehen, dass wie aus heiterem Himmel auf Deutschland hereingebrochen ist. Und das dies Land völlig unvorbereitet getroffen hat. Vielleicht will die Regierung mit solchen Worten zeigen, dass sie menschliche Regungen hat. Doch das ist doppelt falsch. Denn erstens klingen solche Worte, je öfter sie wiederholt werden, immer mechanischer, immer mehr nach kühler Routine und Verwalten. Und ist es nicht eine zutiefst menschliche Reaktion, wenn man diesem dreckigen, infamen Abschlachten von Menschen mit Abscheu begegnet, und wenn man den feist grinsenden Tätern Hass bis zum letzten Atemzug schwört? Wer sind diejenigen, die den Bürgern in Deutschland solche Gefühle verbieten wollen?

Vor allem aber ist eine solche demonstrative Erschütterung nicht das, was eine Regierung in solchen Fällen beweisen muss. Es ist nicht ihre Aufgabe, mit den Bürgern nur „zusammenzustehen“. Der Staat ist einer anderen Position als die Bürger. Und die Bürger erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich um ihren Schutz kümmert. Sie erwarten von ihrer Regierung Aussagen, wie sie den Staat auf die anwachsende und im Land umher vagabundierende Gewalt ausrichtet.   

Auf keinen Fall soll der Gedanke zugelassen werden, dass hier ein Verteidigungsfall vorliegt

Aber spricht aus Merkels Mund überhaupt eine Regierung? Von der Rolle des Staates und seinen Schutzpflichten gegenüber der Gesellschaft war auf der Pressekonferenz kaum die Rede. Das „Wir“ dieser Kanzlerin scheint sich eher an die Bürger zu wenden und ihnen die Verantwortung zu übergeben. Sie sollen „zusammenhalten“, was immer das konkret bedeuten mag. Geht Merkel davon aus, dass „die Gesellschaft“ die entfesselte Gewalt einfangen kann? Auch in den führenden Medien spürt das krampfhafte Bemühen, die Anschläge „gesellschaftlich einzuordnen“ und als Ergebnis individueller Biographien darzustellen. Man versucht, den Terror in Bezeichnungen wie „Amoklauf“ oder „Beziehungstat“ zu bannen. Mit einem anderen Wort: Man privatisiert ihn.

Auf keinen Fall soll der Gedanke zugelassen werden, dass hier ein Verteidigungsfall vorliegt. Das ist aber eigentlich der naheliegende Gedanke. Die Anschläge haben kriegsähnliche Züge. Man darf sich nicht von der Tatsache täuschen lassen, dass der Krieg hier nur halboffiziell deklariert wird. Auch wenn die Motive individuell geäußert werden, so geht es doch immer um Macht. Um die Verschiebung der Machtverhältnisse in einer Straße, einem Stadtviertel, einem ganzen Land. Und die Handlungen sind nicht einfach Kriegshandlungen, sondern Kriegsverbrechen: Angriffe auf die Zivilbevölkerung, aus dem Hinterhalt, mit möglichst großer Brutalität, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Unternommen von Tätern, die sich als „Krieger“ sehen, die sich über jegliches Völkerrecht erhaben fühlen.   

Entscheidend ist, dass sich die Anschläge gegen zentrale Rechtgüter der Bundesrepublik richten. Deshalb ist von einem Angriff auf unser Land zu sprechen. Von einem Angriff auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Auf die friedliche Versammlung auf Straßen und Plätzen, auf die Unabhängigkeit der Lebensgestaltung von irgendwelchen höheren Geboten, auf die Eigenständigkeit des Rechtsstaates gegenüber jeglicher religiösen Macht und auf das staatliche Gewaltmonopol.

  Es breiten sich allmählich die kleinen Kapitulations-Erklärungen aus

Was die Regierungsantwort auf die Anschläge so verheerend macht, ist die Tatsache, dass sie die Bürger dieses Landes nicht als Träger einer gemeinsamen Rechtsposition behandelt. Sie handelt so, als sei die Bundesrepublik Deutschland, die ihre politischen und zivilisatorischen Normen der Westbindung verdankt, nun doch noch neutralisiert worden – gegenüber einem religiös-ideologischen Herrschaftskomplex, der unserer Republik mindestens so fremd ist, wie es im vorigen Jahrhundert der nationalsozialistische und der kommunistische Herrschaftskomplex waren.

Neutralisiert ist auch die Zukunft Deutschlands. Während die Regierung sich noch erschüttert, bedrückt und deprimiert zeigt, wird von manchem Kommentator schon mit dem Gedanken gespielt, dass wir uns an den Terror gewöhnen sollten. „Aber am Terror ändert sich so oder so: nichts“ schreibt Jasper von Altenbockum am Ende seines Kommentars auf der FAZ-Titelseite vom 27. Juli unter der Überschrift „Deutsche Utopie“. Bei seiner Kollegin und Frankreich-Korrespondentin Michaela Wiegel hört sich das einen Tag später so an: „Lange war ein IS-Attentat auf eine Kirche erwartet worden. Und doch war Frankreich nicht darauf vorbereitet. Vor solchen Anschlägen kann der Staat nicht schützen.“ So breiten sich allmählich die kleinen Kapitulations-Erklärungen aus: Zuerst heißt es „Eine absolute Sicherheit kann es nicht geben“ und bald darauf „Man kann sowieso nichts machen“. 

Die deutsche Gesellschaft soll sich an ein Leben Tür an Tür mit der Gewalt gewöhnen. Eine Änderung darf sie nicht verlangen. Mehr hat ihre Regierung nicht zu bieten – für die nächsten hundert Jahre nicht.   

 

 

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Wolfgang Kaufmann / 09.08.2016

Ich denke, Herr Schmode hat Recht. Die Kanzlerin liefert den Bürgerinnen und Bürgerinnen die Illusion einer heilen Welt, für die sie gewählt wurde. Geliefert wie bestellt: die Wellness-Oase Deutschland. So geht Marketing.

Philipp Richardt / 08.08.2016

“Die deutsche Gesellschaft soll sich an ein Leben Tür an Tür mit der Gewalt gewöhnen. Eine Änderung darf sie nicht verlangen. Mehr hat ihre Regierung nicht zu bieten – für die nächsten hundert Jahre nicht.” Gescheiterte Staaten, wie die Merkel Republik, bestehen keine 100 Jahre (naja, ausser Griechenland, vielleicht).

Peter Weser / 08.08.2016

Die Kirche in Frankreich stand sogar auf einer IS Liste für Anschläge!Dafür muss man aber jihadwatch oder ähnliches lesen.

Andreas Arndt / 08.08.2016

Es wird leichtsinnig dir dünne Decke der Zivilisation durchlöchert. Über dir Folgen wird man sich noch wundern. Schuld ist dann das Volk oder die AfD

Inge Anna Rausch / 08.08.2016

Ja, Herr Held, so ist es! Und ich bin froh, daß Sie es so formulieren, gleichzeitig unendlich traurig, hilflos und wütend, weil es so ist. Was soll man tun? Wahlen werden nichts ändern. Wie soll man mit diesem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit weiter leben?

Ruth Hellweg / 08.08.2016

“Wir sind betroffen, aber wir haben nichts damit zu tun. Die Welt ist nun mal voller psychisch gestörter Einzeltäter. Deswegen kann man ja nicht einfach mal so den Islam(ismus) verurteilen. Es gibt gibt ja auch anderweitig gestörte Amokläufer. Das Leben ist immer lebensgefährlich.” Genau das isses! Würden sie etwas anderes sagen, wäre es ein Schuldeingeständnis, das Eingeständnis des eigenen Versagens! Und die MITSCHULD der Presse und des ÖR, weil man niemals die richtigen Fragen gestellt hat! Gut, daß es immer mehr alternative Medien gibt, die den Finger in die Wunden legen. Wo Führung, Stärke, Vertrauen in die Regierung seien sollte, ist nur noch eine große, klaffende, blutende Wunde. Das System Merkel ist am Ende.

Gerhard Alfred / 08.08.2016

Alles hängt mit allem zusammen, doch habe ich von unserer Regierung eben nicht den Eindruck, dass wir mit ihr noch wirklich zusammenhängen. Irgendwie doch auch, aber eben anders, so, wie Gerd Held es hier beschreibt. Es war doch klar, dass auch wir mit dem Terror zu tun bekommen, nicht immer nur die anderen. Politiker und auch Psychologen stellen die Situation so dar, dass wir uns daran gewöhnen müssten, dass wir den Terror zu akzeptieren hätten, so wie das natürliche Hintergrundrauschen des Weltalls. So entnehme ich auch, dass sich Politiker noch Psycholgen nun doch einmal einig sind und auch keine halbwegs schlüssige Antwort auf den Terror haben. So verstehe ich diese Argumentationsketten, dass der Terror nun etwas Unausweichliches ist, an den es sich zu gewöhnen gilt, das unausweichliche wird zur Normalität werden wie, wie den ohnehin absehbaren Tod eines jeden Individuums. Durch den Tod verlieren wir etwas, wir erkennen jedoch nicht, was wir durch ihn gewinnen, das ist die metaphysische Botschaft unserer Politiker. Hieraus ergibt sich die Schnittmenge aus beiden Welten, das muss man erstmal verstehen, worum es beim Aufeinanderprall der “Kulturen” geht.

Markus Hahn / 08.08.2016

Die Bundeskanzlerin sowie die meisten Journalisten geben lediglich das repräsentative Maß an Wehrhaftigkeit in unserer Gesellschaft wieder. Schluchzende Kerzenaufstellerinnen, tapfere Schilderhochhalter (“meinen Hass bekommt Ihr nicht!!!”) und um Islamophobie besorgte Individualpathologisierer bestimmen das Bild. Kinder halten sich die Augen zu, wenn sie vor jemandem Angst haben. Das Böse sieht sie dann nicht, magisches Denken. Und wenn doch, ist man lieb und demütig - dann lächelt das Böse zurück.  Psychomental war die Evolution schon mal weiter…

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