Wolfram Weimer / 10.10.2017 / 06:27 / Foto: Tim Maxeiner / 19 / Seite ausdrucken

Ihr habt nicht verstanden!

Fast drei Millionen Deutsche sind der Union von einer Bundestagswahl zur nächsten davon gelaufen. Jeder fünfte Deutsche wählte eine extreme Partei, in Sachsen werden Rechtspopulisten sogar größte Partei. Deutschland ist schwer regierbar geworden, hoch polarisiert und tief verletzt in seinem Sicherheits- und Selbstgefühl. Spätestens seit der Bundestagswahl ist klar: Die Migrationspolitik Angela Merkels hat das Land schwer verwundet – und das in einer Boomphase der Wirtschaft, mit der es den Deutschen eigentlich so gut geht wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Die Verantwortung und das Versagen des Politischen ist also glasklar. Doch was macht die CDU? Die Parteivorsitzende erklärt nach der Wahl mit atemraubender Selbstgefälligkeit: "Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“

Während SPD und CSU um Selbstkritik und Wahrheit ringen, pocht die CDU-Führung auf ein stures Weiter-so, als sei nichts passiert. In Wahrheit aber ist die Republik erschüttert. Angela Merkel will sich durchlavieren und verbittet sich offene Kritik. Sie gibt die Technokratin der Macht, fingert neue, immer wildere Koalitionen zusammen, drückt ihren umstrittenen Fraktionschef trotz schwerer Widerstände unter den Abgeordneten durch und läßt ihn Nebelkerzen werfen. So verkündet Volker Kauder allen Ernstes, dass man nun die Förderung ländlicher Gebiete zum zentralen Thema der Koalitionsverhandlungen machen werde. Der Wahlerfolg der AfD habe mit dem dort „verbreiteten Gefühl“ zu tun "mehr und mehr abgehängt zu werden“. Das ist so als würde man bei einem Orkan den Teebeutel problematisieren, weil der ja auch nass sei.

Die CDU macht mit dieser Verweigerung einer offenen Fehleranalyse den Eindruck, man sei zur Selbstkritik unfähig und merke gar nicht, was im deutschen Bürgertum wirklich los ist. Denn die Union hat nicht Millionen Wähler verloren und die Republik instabil werden lassen, weil der ländliche Raum mehr beachtet werden will. Der Elefant im Wohnzimmer der Bundesrepublik heißt Migration. Die unkontrollierte Massenzuwanderung muslimischer junger Männer hat das Land schlichtweg schockiert. Und der Schock ist nicht verwunden.

Die Wahlerfolge der AfD sind wie ein Notruf eines ungehörten Bürgertums. Diesen Notruf zu überhören, wäre ein schwerer Fehler der CDU. Denn schon jetzt ist es so, dass sich klassische Kernmilieus der Union, wertkonservative, christliche, wirtschaftsliberale, und patriotische Menschen bei ihr kaum mehr beheimatet fühlen. Wer die Migrationspolitik der Kanzlerin aus Unionskreisen kritisierte, der wurde als Rechter und AfD-Sympathisant stigmatisiert. Oder wie Jens Spahn und Wolfgang Bosbach als Karriere-Egoisten gebrandmarkt. Ostdeutsche Mahner wurden behandelt wie Demokratie-Analphabeten. All das verstärkt den Proteststurm, denn rund um die CDU ist derzeit das Ungesagte das Eigentliche.

Die Aussitz-Strategie der Kanzlerin dürfte sich rächen. Wahrscheinlich schon bei der Niedersachsenwahl, die die CDU mit einer ehrlichen Kommunikation locker gewonnen hätte, zumal die SPD in Selbstauflösung und die AfD in Machtkämpfen versinken. Nun aber wenden sich selbst Stammwähler enttäuscht ab. Wenn in Berlin so arrogant über die bitterernste Sorge im Bürgertum hinweggegangen wird, wieso sollte man diese CDU in Hannover wählen? Wer Wähler nicht hören will, muss an Wahltagen fühlen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.

Foto: Tim Maxeiner

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B.Rilling / 10.10.2017

Das ist nur die Kirsche auf der Sahne, ich bemängle die Energiepolitik, den Investitionsstau, die Rentenpolitik und en Umgang mit der immer noch schwelenden Eurokrise. Alles gegen die Wand gefahren, alles zu unserem Ungunsten verschwurbelt. Sobald es der Wirtschaft schlechter geht und der Leitzins erhöht wird, wird auch der Letzte im Lande merken, dass die letzten 12 Jahre richtig schlecht regiert wurde. Aber dann ist es zu spät, dann müssen wir alle jahrelang durch ein tiefes Tal. Und dreimal dürft Ihr raten, wem es dann noch richtig supi gehen wird?

Roland Müller / 10.10.2017

Lieber Herr Weimer, ich kann und will dem Geschwätz von den extremen Parteien nicht mehr folgen. Unter extreme Partei fällt inzwischen alles, was nicht zu den Altparteikartellen gehört, und zwar ohne jede inhaltlich stichhaltige Begründung. Ob AfD, UKIP, FN, Fünf Sterne, Lega Nord, usw. spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr. Für mich gibt es für diese pauschalen Abwertungen nur einen einzigen nachvollziehbaren Grund. Den Altparteivertretern und der linksgrünen Pressezunft im Schlepptau geht der Allerwerteste mit Grundeis, weil sie um ihre Pfründe fürchten. Das ist aber nicht verwunderlich, da sie zu einer Diskussion in der Sache schon seit Jahren nicht mehr fähig sind. Der derzeitige österreichische Bundeskanzler hat das vor einem Jahr unter den Begriffen Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit zusammen gefasst. Leider hat er seine Worte von vor einem Jahr inzwischen schlicht vergessen. Die Wahlmanipulationen, welche oft und gern von den “Qualitätsmedien” und den “aufrechten Demokraten” in den Altparteien den “bösen Russen” in die Schuhe geschoben werden, sind für ihn offensichtlich das Mittel der Wahl, um am Ruder zu bleiben.

Dr. Markus Müller / 10.10.2017

“Die unkontrollierte Massenzuwanderung muslimischer junger Männer hat das Land schlichtweg schockiert.” Sehr zutreffend. Sie muss auch dringend umgekehrt werden, sonst werden wir noch viele “Kölns”, “Freiburgs”, “Bonns” erleben.

Heinz Thomas / 10.10.2017

Lieber Herr Weimer, dem zweiten Teil ihrer Analyse kann ich voll zustimmen. Aber leider unterscheidet sich der erste Teil nicht von den Allerweltskommentaren in den Mainstreammedien. Die Zuschreibung für die AfD als extreme, rechtspopulistische und, und, und-Partei ist nur billig und soll dem Wähler-Volltrottel doch nur zum tausendsten Mal vor Augen führen, was für ein stumpfsinniger Gesell er ist.    Es ist einfach unwürdiger Jounalismus. Zumal es komisch ist, dass man derartige Stigmatisierungen bei all den anderen Parteien nicht findet - und da gäbe es reichlich Möglichkeiten. Es wird alles nichts helfen - ich bleibe dumpf (und Millionen mit mir)!

Isabelle Nolte / 10.10.2017

Sie haben das richtig analysiert! Natürlich ist der Erfolg der AFD nur und betone nur der katastrophalen Migrationspolitik geschultert! Aber wegen dieser unsäglichen Ignoranz und Arroganz der Unionsspitzen wurde der Wählernotruf nicht erhört! Dieser faule Obergrenzen Kompromiss stinkt gewaltig und soll nur zur Wöhlerverblödung dienen!!Drehhofer hat sich über den Tisch ziehen lassen- aber er wird die Quittung dafür bekommen! Einer Jamaika Koalition kann man nur mit Grauen entgegenblicken! !

Claudia Dorf / 10.10.2017

“es den Deutschen eigentlich so gut geht wie nie zuvor in ihrer Geschichte”  - bitte nicht schon wieder das, wir hatten auch schon Zeiten, in denen EIN Gehalt ausgereicht hat, um eine Familie zu ernähren!

Reiner Gerlach / 10.10.2017

Ja, die Migrationspolitik “unserer” Kanzlerin wird uns noch ganz schön zu schaffen machen. Insbesondere wenn der mühselig zusammengewurstelte Kompromiss der Unionsparteien bei den Koalitionsgesprächen mit den Grünen einigermaßen sicher unter die Räder kommen wird. Jürgen Trittin faselte gestern etwas über Familiennachzug als unabdingbare Voraussetzung für die Integration. Erstens sollen sich meiner Meinung nach die meisten Zugereisten gar nicht integrieren, sondern sich auf eine Rückkehr in die Heimat zwecks Wiederaufbau vorbereiten. Dabei sollte man sie auch gerne unterstützen. Zweitens frage ich mich, wozu der Familiennachzug unabdingbar für die Integration sein soll. Ein kräftiger junger Mann, der Frau und Kinder in Lebensgefahr allein lässt und nur sich selbst in Sicherheit bringt, gehört auf gut deutsch in den Arsch getreten und nicht noch weiter verhätschelt. Drittes sollte man aufhören, uns immer den syrischen Kinderarzt als leuchtendes Beispiel von Fachkräftezuwanderung vorzuzeigen. Wer behandelt denn jetzt die kranken syrischen Kinder? Wahrscheinlich ein junger deutscher Kinderarzt, der für Ärzte ohne Grenzen unterwegs ist. Und viertens sollte auch der eventuelle Familiennachzug mal realistisch betrachtet werden. Das BAMF geht von einer Person je Flüchtling aus, Trittin redet schon von Frau und Kindern und am Ende kommen dann Eltern, sechs Geschwister und evtl. auch noch die Großeltern. Und wenn wir schon mal da sind, dann bleiben wir auch hier… Manchmal hilft bei solchen Fragen schon der gesunde Menschenverstand. Man muss nur die Ideologie außen vor lassen.

Th.F. Brommelcamp / 10.10.2017

Lieber Herr Weimer. Es war vor der Wahl eigentlich klar, das die AFD die einzige wählbare Partei unter den Parteien war, die NICHT Merkels Kurs unterstützen würde. SPD hat es getan und würde es auch weiterhin tun. Grüne und Links sind Merkels ideengeber. FDP geht mit jedem mit, der etwas bietet. Egal welcher Couleur. Ein Chamäleon eben! Die AFD hat die Standpunkte wie die CDU vor Merkel hatte -auch die von ganz rechts waren dabei-. Eine auf dem Grundgesetz basierende Partei. Meine Frage an Sie ist, wenn sonst hätte man wählen sollen? Ich finde ihr AFD Wähler bashing unseriös, undemokratisch und unbegründet.

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