Nun glaubt selbst Fritz Vahrenholt nicht mehr an die Vorhersagen zur Klimaerwärmung
Hunderttausende Christen treten alljährlich aus der Kirche aus. Das erregt kaum Aufsehen. Doch wenn ein Bischof vom Glauben abfällt, ist es ein Paukenschlag. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Glauben an die Klimakatastrophe. Nur noch 31 Prozent der Deutschen fürchten sich vor globaler Erwärmung. 2006 waren es noch genau doppelt so viele. Und jetzt verstärkt ein Schwergewicht die Reihen der Ungläubigen. Fritz Vahrenholt, einer der Väter der deutschen Umweltbewegung, vertraut den Vorhersagen des Weltklimarats (IPCC) nicht mehr. Und auch nicht den Szenarien des Potsdam Instituts, das Kanzlerin und Umweltminister berät und seit Jahren den Klimaalarm ausruft.
Den Konsens, dass die Welt im 20. Jahrhundert um 0,8 Grad wärmer wurde, teilt Vahrenholt nach wie vor. Nicht jedoch die Prognosen für einen weiteren massiven Temperaturanstieg. „Bis vor zwei Jahren“, sagt er, „glaubte ich dem Weltklimarat und vertrat seine Empfehlungen in meinen Vorträgen.“ Zweifel kamen ihm, als er als Gutachter den IPCC-Report über erneuerbare Energien überprüfen sollte. „Ich entdeckte zahlreiche Fehler und fragte mich, ob die anderen IPCC-Berichte wohl ähnlich unzulänglich sind.“
Gleichzeitig brachte ihn die Tatsache ins Grübeln, dass entgegen den Vorhersagen die globale Durchschnittstemperatur seit über einem Jahrzehnt nicht weiter angestiegen ist. Vahrenholt fragte sich, ob die vom Menschen erzeugten Treibhausgase tatsächlich die wichtigste Kraft im Klimageschehen darstellen. Nach Gesprächen mit Dutzenden Wissenschaftlern hält er den Einfluss der Sonne für unterschätzt. Und schließlich zieht Vahrenholt in Zweifel, dass eine Erwärmung grundsätzlich schlecht für Menschen und Natur sei.
Stutzig machte ihn zusätzlich die Ent-hüllung von E-Mails, die offenbarten, dass führende Klimawissenschaftler unerwünschte Forschungsergebnisse unter den Teppich kehren wollten. Sein Vertrauen war vollends erschüttert, als sich herausstellte, dass die sogenannte Hockeyschläger-Kurve manipuliert
war. Diese Grafik spielt eine Hauptrolle in Al Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“. Sie soll zeigen, dass die jüngste Erwärmung dramatischer verläuft als alle historischen Warmzeiten.
Kommende Woche wird Vahrenholt gemeinsam mit dem Geologen und Paläontologen Sebastian Lüning seine gesammelten Zweifel als Buch vorlegen. Titel: „Die kalte Sonne“. Seit Monaten kursieren Gerüchte über die bevorstehende Veröffentlichung. Der Verlag Hoffmann und Campe hält das Manuskript bis zum Erscheinen geheim. Doch als Vahrenholt vor einigen Tagen einen Vortrag an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hielt, wurde deutlich, dass eine Generalabrechnung mit dem IPCC, dem Potsdam Institut und Angela Merkels Energiewende bevorsteht.
Auch im persönlichen Gespräch macht der 62-Jährige keinen Hehl daraus. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, sagt er, „ich musste dieses Buch schreiben.“ Seine Kritikpunkte sind nicht neu. Sie wurden bereits von vielen Wissenschaftlern vorgetragen. Doch in der Politik kommt es weniger darauf an, was gesagt wird, sondern viel-mehr, wer es sagt. Vahrenholt war jahrzehntelang der prominenteste Umweltschützer in der SPD neben Erhard Eppler, der das Vorwort zu seinem ersten großen Bestseller schrieb: „Seveso ist überall“. Ein Titel, der vielen noch heute im Gedächtnis haftet. Das Buch über „die tödlichen Risiken der Chemie“ erschien 1978. Es war eines der Werke, die der aufstrebenden grünen Bewegung Argumente lieferte. Vahrenholt avancierte dadurch zum bekanntesten Kritiker der Chemieindustrie. In den 90er-Jahren machte ihn die SPD zum Umweltsenator von Hamburg.
Zweiflern wie ihm wurde in der Vergangenheit oftmals vorgeworfen, sie würden die Interessen der Kohle- und Erdölindustrie vertreten. Diesem Vorwurf kann Vahrenholt gelassen entgegenblicken. Seit 2001 arbeitet er für Konzerne, die ihr Geld mit regenerativer Energie verdienen, zunächst für Repower Systems, einen führenden Hersteller von Windenergieanlagen. Seit 2008 für Innogy, den größten deutschen Investor in erneuerbare Energien. Über eine Milliarde Euro steckt die RWE-Tochtergesellschaft jährlich in kohlendioxidfreie Stromerzeugung. Es läge also in seinem Interesse, die Energiewende der Bundesregierung nach Kräften zu bejubeln.
Er tut jedoch das Gegenteil. „Die Förderung der Photovoltaik ist Irrsinn“, sagt er in München. „Sie ist die unwirtschaftlichste Form des Klimaschutzes.“ Windenergie hält er nach wie vor für vernünftig. Doch seine frühere Euphorie wurde gebremst, als er 2009 und 2010 erleben musste, dass der Wind in Mitteleuropa manchmal wochenlang Pause macht. Er fing an, sich mit den zyklischen Luftdruckschwankungen zu befassen, die starken Einfluss auf das Windgeschehen und auf das Klima ausüben.
Ein zweiter natürlicher Faktor, den Vahrenholt für mindestens so bedeutsam wie das Kohlendioxid (CO2) hält, ist die Sonnenaktivität. Die Arbeiten des Dänen Henrik Svensmark und anderer Klimaforscher überzeugten ihn davon, dass das schwankende Magnetfeld der Sonne ein Motor des Klimawandels ist, da es zyklisch mehr oder weniger kosmische Strahlung von der Erde abschirmt. Diese Teilchenstrahlung aus dem Weltall trägt zur Wolkenbildung bei.
Wenn Vahrenholt am Montag mit seinem Buch an die Öffentlichkeit tritt, wird sich zeigen, ob die etablierten Klimaforscher so über ihn herfallen wie über andere Kritiker in der Vergangenheit. Es gibt jedoch Anzeichen, dass inzwischen selbst im Potsdam Institut der Zweifel nagt.
Abweichend von früheren Vorhersagen räumte Institutschef Hans Joachim Schellnhuber vor einigen Tagen auf einem Seminar internationaler Agrarexperten ein, es sei durchaus möglich, dass wärmeres Klima in Kombination mit einem weiteren Anstieg des CO2 in der Luft zu mehr Pflanzenwachstum und besseren Ernten führt. Wenige Tage später verwunderte sein Stellvertreter Ottmar Edenhofer Münchner Journalisten bei einer Pressekonferenz, die er gemeinsam mit Vahrenholt abhielt. Der Skeptiker sagte, es sei seit über einem Jahrzehnt nicht wärmer geworden und werde in Zukunft wohl eher kühler. Da wollte Edenhofer auch auf Nachfrage nicht widersprechen.
Erschienen in FOCUS Nr. 5/2012