Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 06.11.2013 / 10:05 / 7 / Seite ausdrucken

Ich erspähe den Niedergang der Allianz des ‘Alten Westens’

Als letzte Woche bekannt wurde, dass es dem US-Geheimdienst gelungen war, das Mobiltelefon der deutschen Kanzlerin Angela Merkel anzuzapfen, machte dies international Schlagzeilen. Mit Recht - aber nicht nur deshalb, weil dies die neueste Enthüllung im Gefolge des Whistleblowing von Edward Snowden über die Aktivitäten der National Security Agency ist.

Die eigentliche Lektion dieses Vorfalls für uns ist etwas tiefgreifender: der „Westen“ und das transatlantische Bündnis nach dem 2. Weltkrieg sind Geschichte.

Überraschend ist nur, dass es ein altgedienter US-Diplomat war, der das unmissverständlich verdeutlichte. John Kornblum, US-Botschafter von 1997 bis 2001 zunächst in Bonn und später in Berlin, erklärte zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen, die beiden Nationen seien keine Freunde, sondern lediglich Partner. Da lagen die Tage sehr weit zurück, in denen John F. Kennedy Berlin besuchte und dort den Ausspruch tat: „Ich bin ein Berliner!“

Merkel anzuzapfen, meinte Kornblum, sei dumm gewesen. Der Tonfall, in dem er das sagte, klang allerdings so, als sei das Dümmste daran gewesen, dass die Amerikaner sich beim Ausspionieren ihres angeblichen europäischen Verbündeten erwischen ließen.

Kein Zweifel: Die Liebesbeziehung zwischen Amerika und Europa ist zerbrochen - die ohnehin niemals eine unkomplizierte Romanze gewesen war. Die systematische Überwachung des europäischen Internet- und Telefonverkehrs durch die NSA ist nur das jüngste Vorkommnis in einer langen Periode der Entfremdung. Es stellt sich die Frage, was das für die Weltwirtschaft, den globalen Handel und die internationale Währungspolitik bedeuten wird.

Um die beiderseits missliche Lage zwischen Amerika und Europa zu verstehen, kann ein Blick in einen anderen Teil der Welt hilfreich sein. Vor einigen Monaten veröffentlichte ein Blogger diese verblüffende Karte. Sie zeigt, dass mehr als die Hälfte der Menschheit in einem geografischen Kreis lebt, der (grob betrachtet) Indien, China, die Mongolei, Japan und Indonesien umfasst. Das mag zwar schon seit einiger Zeit der Fall sein, neu ist jedoch die rapide Entwicklung der Volkswirtschaften innerhalb dieses Kreises.

Amerika und Europa („der Alte Westen“) sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass nicht nur die Bevölkerungszunahme in einer wachsenden asiatisch-pazifischen Region die ihre übertrifft. Sie erkennen auch, dass ihr Anteil am globalen BIP sowohl einzeln als auch gemeinsam in Zukunft schrumpfen wird. Das muss nicht unbedingt eine schlechte Nachricht sein, da es sich dabei um einen Rückgang der relativen Größe, nicht des absoluten Wohlstands handelt. Doch für beide Kontinente ist es beunruhigend genug, dass sie im 21. Jahrhundert nicht mehr die beherrschenden Kräfte sein werden.

In den ersten Jahren des Jahrhunderts mussten sie schmerzlich erfahren, wie verwundbar sie waren. Für die Amerikaner war es der 11. September, der auf grausame Weise demonstrierte, dass die US-Werte nicht von aller Welt geteilt werden. Anschließend schickten das Platzen der Sub-Prime-Immobilienblase und der Zusammenbruch von Lehman Brothers Schockwellen durch die US-Wirtschaft.

In Europa gab es ebenfalls reichlich Ereignisse, die seine politischen und wirtschaftlichen Schwachpunkte bloßlegten. Die Staatsschuldenkrise, die den Kontinent bedroht, und die Friktionen innerhalb der europäischen Währungsunion sind offensichtlich. Es ist auch deutlich, dass die Europäische Union auf der internationalen Bühne nur noch eine Nebenrolle spielt, sei es in den WHO-Gesprächen oder bei den Klimaschutzverhandlungen. Die Europäer spüren, wie ihr Einfluss schwindet.

Vor dieser Kulisse der Bedrohung ihrer weltweiten Bedeutung haben Europa und die USA Gespräche über die Bildung der größten Freihandelszone der Welt aufgenommen. Ein Handelsabkommen zwischen den USA und der EU würde zweifellos beiden Seiten helfen, ihren Status zu sichern und ihr Revier zu schützen – nicht zuletzt auf Kosten anderer, wie ich früher in dieser Kolumne nachgewiesen habe (Tools to lock away global trade, 28. Juni).

Offenbar verschlechtern sich die Chancen für eine solche Vereinbarung und einer der Hauptgründe dafür ist das US-Spionagenetzwerk, das einmal für den Kampf gegen den weltweiten Terrorismus gedacht war. Europa ist schockiert und erstaunt, dass es Ziel der amerikanischen Spionage- und Terrorbekämpfungsaktivitäten was.

Die US-Entscheidung, nach dem 11. September alles und jeden auszuspähen, hatte die ironisch anmutende Folge, dass Amerika gerade dabei ist, einen seiner ältesten Freunde zu verlieren: Europa.

Seit Jahrzehnten bestanden starke Bindungen zwischen Washington und den europäischen Hauptstädten, auch wenn dies nicht immer einfach war. Sie mussten auch stark sein - schließlich gründete sich die gesamte weltweite Architektur der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf sie. Das ist der Grund, warum die Weltbank immer von einem US-Amerikaner und der Internationale Währungsfonds immer von einem Europäer geleitet wurde. Und es ist der Grund, warum die OECD nach wie vor von den USA und Europa dominiert wird. Ebenfalls ist es darauf zurückzuführen, dass die USA und Europa der Fantasie erlegen sind, durch die nutzlosen G7- (und später G8-)Gipfel die Welt zu beherrschen.

Dass heute auf einem G8-Gipfel Italien vertreten ist, China dagegen nicht, macht die Absurdität dieses transatlantischen Hegemonieanspruchs offensichtlich. Auf beiden Seiten des Atlantiks dürfte klar sein, dass der Alte Westen nur dann einen Teil seiner weltweiten Bedeutung wahren kann, wenn er in sich einig ist oder sich zumindest nicht selbst bekämpft. Nach Bekanntwerden der neuesten NSA-Nachrichten ist dies keineswegs sicher,

wobei es in den letzten Jahren auch nicht viel besser ausgesehen hat. Während der gesamten Zeit der Finanzkrise, der großen Rezession und der Eurokrise haben die USA und Europa nie die gleichen Maßnahmen befürwortet. Meist forderten die USA eine lockerere Geldpolitik und mehr Konjunkturprogramme, während die Europäer (sprich: die Deutschen) gewöhnlich mit einem Plädoyer für mehr Sparsamkeit und geldpolitische Orthodoxie reagierten. Die USA und die EU haben nicht an einem Strang gezogen, und selbst wenn das gelegentlich doch einmal der Fall war, wirkte es auffallend wenig überzeugend.

In einem globalen Wirtschaftsumfeld, das den Alten Westen weniger braucht als früher, kooperieren Europäer und Amerikaner nicht mehr. Statt dessen tun sie ihr Möglichstes, um das kleine bisschen gegenseitiges Vertrauen, das ihnen noch geblieben war, zu untergraben. Die deutsche Kanzlerin auszuspähen, angeblich aus den Räumen der US-Botschaft in Berlin, ist dabei das I-Tüpfelchen.

Für die Weltwirtschaftsordnung bedeutet das nichts Gutes. Wir befinden uns in einer Übergangsperiode in ein Jahrhundert, das von Asien und dem pazifischen Raum beherrscht wird. Dieser Übergang wird sich mit dem Zusammenbruch der Beziehungen zwischen den Nationen, aus denen das Gefüge des Alten Westens bestand, nicht gerade leichter vollziehen.

In den nächsten Monaten und Jahren werden Präsident Obama und seine Administration viel zu tun haben, wenn sie das Vertrauen ihrer europäischen Partner wiederherstellen wollen. Und sie werden noch stärkeres Engagement zeigen müssen, um diese glauben zu lassen, sie könnten Freunde sein.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘I spy the demise of the “Old West” alliance’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 31. Oktober 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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Leserpost

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Leo Hofstädter / 08.11.2013

Amerikanische Politiker sind Patrioten, welche die Interessen ihres Landes im Sinn haben. Deutsche Politiker sind Verräter, denen ihr Land egal ist. Das sind zwei Welten, die nicht zusammen passen.

Martin Friedland / 07.11.2013

“... narzisstische Kränkung?” “Selbstverstümmelung” am 11. September? Was ist denn das für ein Blödsinn? Dort sind etwa 3000 Menschen ermordet worden!

Irma Hoffe / 06.11.2013

Deutschland und die USA waren nie Freunde, sie waren aber auch keine Partner. Partner impliziert eine gewisse Gleichwertigkeit. Dies war aber spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr der Fall. Auch Obama hat dies bei seinem vorletzten Besuch in Deutschland, er war aber damals nur auf US-Boden, nämlich bei den amerikanischen Truppen, bekräftigt: Deutschland ist ein besetztes Land. Keine der drei Westmächte wird diesen Status einfach aufgeben wollen. Nur selbstbewußte Zeichen von Souveränität, wozu auch eine engere zumindest wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland zählt, wird dies ändern können. An der Zeit ist es. Die jetzt in Deutschland lebenden Menschen, von denen viele ihren Ursprung gar nicht in Deutschland haben, werden seit Jahrzehnten moralisch, dikatorisch und finanziell in Sippenhaft genommen. Das ist ein beschämender, unhaltbarer Zustand.

James Taylor / 06.11.2013

Welche Allianz meinen Sie? Von den USA aus betrachtet teilt sich die Welt in Amerikaner und Idioten, wobei die Idioten in nützliche und nicht nützliche Gruppen eingeteilt werden. Wenn man verstehen will, warum die US-Regierung ihre Verbündeten nicht nur abhören lässt (das haben sie immer schon getan!), sondern technisch total überwachen, dann liegt das einfach daran, dass Europa für die US-Regierung nur aus Vollidioten besteht, von denen nicht einmal klar ist, ob sie jemals einen Nutzen besessen haben. Und mit Verlaub, was kann man beim Abhören des Telefons der Frau Dr. Angela M. schon hören? Lauter Nichtentscheidungen, das schmerzhafte Lavieren und Zögern einer Frau, die keine Meinung besitzt. Da können einem die Menschen, die sich das sinnlose Gerede anhören müssen eher Leid tun.

Renate Brunner / 06.11.2013

Die USA und Europa waren nie Freunde, sie haben das die Bevölkerungen, insbesondere die Deutschen, nur glauben gemacht.  Insofern hat Herr Kornblum das eben klar und deutlich ausgesprochen, hoffentlich habe es alle Deutschen auch gehört und endlich verstanden. Sie waren immer nur Partner, insbesondere während des Kalten Krieges. J.F.Kennedy hat die Emotionen der Berliner verständlicherweise immens stark getroffen, als er seinen berühmten Ausspruch tat, aber in Wirklichkeit war es ein deutliches Signal an die Sowjetunion. England ist wahrscheinlich der beste Freund/Partner der USA, von Frankreich kann man das schon lange nicht mehr sagen, wenn man es überhaupt je sagen konnte >> siehe zB Charles de Gaulle. Ja, wenn eine Großmacht/Weltmacht - militärisch sind das die USA ja noch immer - um ihre Macht- und Wirtschaftsbedeutung fürchtet, dann wird alles, aber eben auch alles in Bewegung gesetzt um diese zu erhalten, koste was es wolle. Für Gesamteuropa und insbesondere für Deutschland wäre es nun längst an der Zeit SELBSTBEWUSST im globalen Geschehen aufzutreten!

Franz Schuster / 06.11.2013

Es ist nicht der Untergang des Westens, aber hoffentlich der Untergang der alten “Imperial-Staaten” USA, GB, IT und FRA. Deutschland hat das seltsame historische Glück, dieses Trauma schon zum großen Teil bewältigt zu haben, im Gegensatz zu den meisten ehemaligen oder niedergehenden Großmächten.

Markus Weber / 06.11.2013

Sehr geehrter Herr Dr. Hartwich, haben Sie vielen Dank für Ihren ausführlichen Artikel, der genauso seriös, arglos und umsichtig geschrieben ist wie die Grundhaltung, für die er steht, und die Stimmung, die er verbreitet. Erlauben Sie mir, Ihre Schilderungen den Interpretationen aus einem Paralleluniversum gegenüberzustellen. Hier bei Ihnen lenkt der Präsident die USA und den Geheimdienst, dort wird er gelenkt. Bei Ihnen verschafft sich die NSA im Nachgang zu 9/11 alle erdenklichen Informationen, dort wissen die schon seit geraumer Zeit alles mögliche. Hier werden die USA am 11. September 2001 eiskalt von Moslems erwischt, dort zeigt lediglich der im Innern schon lange stattfindende organisierte Landesverrat seine hässlichste Fratze. Hier drohen die USA sich mit Europa zu überwerfen, dort hat Europa noch eine hauchdünne Chance, davonzukommen, ohne vom gleichen Moloch verschlungen zu werden wie die USA. Seit die eine Mauer dem Erdboden gleichgemacht wurde, während anderswo Stein auf Stein an neuen Mauern gewerkelt wird, wird der nächste Kennedy auch anderswo dringender gebraucht als in Berlin. Die USA haben durch ihre vorschnelle Festlegung auf Afghanistan und den Irak als Schuldige die Europäer zur Mittäterschaft in Verbrechen genötigt, die jeder halbwegs aufrichtige Mensch noch lange bereuen würde. Am Tage, da die USA zu einer aufrichtigen Reue hierüber finden, werden sie die Herrschaft wieder in die Hände der “We, the people” legen, die Spionage eindämmen, und es finden sich auch die Freunde aus Europa wieder ein. Allerdings setzt das voraus, dass die USA die narzisstische Kränkung durch die Einsicht, am 11.09.2001 Selbstverstümmelung verübt zu haben, ohne selbstzerstörerische Todessehnsucht bewältigen. Dafür aber stehen die Zeichen gut. Der Amerikaner an sich blickt nach vorne und nicht allzu lange zurück.

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