Oswald Metzger, Gastautor / 29.01.2015 / 12:00 / 2 / Seite ausdrucken

Ich bin ein Neoliberaler

Joachim Gauck sei Dank! Man kann sich in Deutschland frank und frei dazu bekennen, ein Neoliberaler zu sein. Denn der Bundespräsident hat mit einer bemerkenswerten Rede im Walter Eucken-Institut in Freiburg zurecht die Diskreditierung des Begriffs „neoliberal“ attackiert.

Das Wort ist zum „Gottseibeiuns“ unserer Tage in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung verkommen. Nicht nur die gesamte politische Linke stigmatisiert mit dem Begriff seit Jahr und Tag alles, was sie mit Sozialabbau verbindet: Hartz IV, höheres Renteneintrittsalter, Studiengebühren und so weiter und so fort. Auch auf christdemokratischen Parteitagen und selbst in FDP-Kreisen wirkt das Stigma, wenn es etwa Kritikern der Mütterrente entgegengeschleudert wird. Wer in diesem Land für weniger staatliche Versorgung und mehr Eigenverantwortung plädiert, gilt als „neoliberal“ und hat deshalb schon verloren.

Mir wurde die Schmähetikette „neoliberal“ bereits in den Neunziger Jahren ans Revers geheftet, als ich für die Grünen im Deutschen Bundestag saß. Ich stritt und streite für ausgeglichene Staatsbud-gets. Ich will fairen Wettbewerb - nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch in den innerstaatli-chen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern (einschließlich der Kommunen). Die Europäi-sche Union buchstabiert sich für mich auch langfristig nicht als europäischer Zentralstaat, sondern als Konföderation eng verflochtener, aber souveräner Mitgliedstaaten.

Freiheit und Verantwortung bedingen einander. Auf Dauer wird jede freiheitliche Gesellschaft nur dann wirtschaftlich und sozial erfolgreich sein, wenn sie ökonomische und politische Machtballung durch einen wirksamen Ordnungsrahmen verhindert. Anti-Kartellgesetze, Transparenzauflagen und demokratische Grundordnungen sind dafür konstitutionell. Gerade die Finanz- und Schuldenkrise der vergangenen Jahre zeigt, wie verheerend sich das Außerkraftsetzen eines zentralen Leitsatzes einer ordoliberalen Wirtschaftsordnung auswirkt: „Too big to fail“ ist die Konsequenz aus der Aufkündi-gung des Haftungsprinzips für die Folgen des eigenen wirtschaftlichen Handelns.

Für mich als Neoliberaler gilt das Haftungspostulat nicht nur für den Sozialhilfeempfänger, dem ich eigenes Engagement abverlange (Stichwort: aktivierender Sozialstaat!), damit er nicht in der Falle der Daueralimentation stecken bleibt. Auch Banken und Finanzmarktakteure müssen für die Folgen ihres Tuns einstehen, indem ihre Anteileigner und Gläubiger für riskante Fehlspekulationen haften - und nicht die Steuerzahler. Für Staaten gilt der gleiche neoliberale Leitsatz: „No bail out!“ Kein Staat haf-tet für die Schulden anderer Staaten. Das nennt der Neoliberale Eigenverantwortung.

Dass alle diese Prinzipien haufenweise über Bord geworfen werden - national, europäisch und global - ist eine traurige Tatsache. Der Zeitgeist weht aus einer fatalen staatsgläubigen Richtung. Mehr Staat garantiert vermeintlich mehr Sicherheit. Doch diesen gigantischen Trugschluss müssen wir Neolibera-len entlarven. Tatsache bleibt, dass ohne wirtschaftliche Prosperität auf Dauer kein Wohlstand exis-tieren kann. Denn wo nichts mehr erwirtschaftet wird, kann auch nichts mehr verteilt werden. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem INSM-Ökonomenblog  

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Leserpost

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Axel Knappmeyer / 30.01.2015

Neoliberal, neokonservativ - alles Zuschreibungen der Gegnerschaft. Begriffe wie deren Inhalte sind mir sympathisch. Dennoch ergibt sich für mich die Frage, wenn Prosperität in allen Lebensbereichen der Gesellschaft ansteigt, hat sie eine Rationalisierung - der Kampfbegriff der 80er - zur Folge, sprich: Immer weniger Menschen werden benötigt für die Arbeit, die dann das erwirtschaftet, was verteilt wird. Die Tendenz der fortschreitenden Domestizierung des Einzelnen, sprich alle möglichen Waren von zu Hause zu bestellen um dann erst auszuwählen und den Ausschuss wieder zurückzusenden (Amazon, Zalando etc.): dies hat zur Folge, dass Millionen von Waren logistisch erfasst (von Maschinen) werden und dann ausgeliefert werden müssen. Das sind einfache Arbeiten, sehr einfache. Wer vollzieht diese zu welchem Lohn? Mindestlohn? Wie es hier auf der Achse diskutiert wurde: Der Bahnstreik war nicht nur der Zickenkrieg zweier Gewerkschaften, nein, im Hintergrund leuchteten alle Warnlampen im grellsten Licht, da sich die Unternehmen Bahn etc. anschicken, mittelfristig den Menschen durch die Maschine zu ersetzen. Was tun mit Mr. Lokführer? Ich besuchte in meinem Wohnort eine Maschinenbaufirma: man konnte vom Boden essen und von vormals hunderten Malochern, die noch im Schweiße und Ölfilm ihres Angesichts standen, waren nur ein paar wenige übrig geblieben: von 1400 Mitarbeitern waren nur 300 in der Produktion tätig. Also – der Bärtige aus Trier hatte mit einer Sache recht: was tun mit der industriellen Reservearmee? »Für mich als Neoliberaler gilt das Haftungspostulat nicht nur für den Sozialhilfeempfänger, dem ich eigenes Engagement abverlange (Stichwort: aktivierender Sozialstaat!), damit er nicht in der Falle der Daueralimentation stecken bleibt.« Aktivierung - für was? Lieferdienste für fünf Euro die Stunde? Straße fegen? So sehr ich dem “sog.” Neoliberalismus nahe stehe, da er die Menschheit technisch, sprich der Utopie der Abschaffung der Plackerei ein Stückchen näher bringt, frage ich mich ganz einfach: Was macht Mensch, ist nahezu alle Arbeit von Maschinen ersetzt worden? Die wenigsten Individuen werden (inter)national erfolgreiche Ingenieure, Entwickler und Forscher – das sind die Ausnahmen; das sind die Menschen, die hochqualifizierte Zuarbeit benötigen. Aber wenn das Ingenieurstum nun alle Arbeit auf die Maschine übertragen hat – was doch großartig wäre, hätte die Plackerei ein Ende – one more time: und dann? Was für eine Antwort oder was für Antworten gibt mir der Neoliberale darauf? Das ist kein Sozialromantikkitsch, das ist Pragmatismus pur.

Norbert Fiedler / 30.01.2015

Sehr geehrter Herr Metzger, ich beobachte seit langem hin und wieder Ihre Aussagen. Meistens finde ich das sehr gut, und auch das, was Sie hier dargestellt haben. Die Ansichten sind nicht neu und die Aufgabe besteht m.E. Darin, die Mehrheit der “Andersdenkenden”, die seit sehr vielen Jahren ihr Denken durch die Instanzen bringen, zu einer ernsthaften Auseinandersetzung zu bringen, über das was (noch) gütigsten und was schlecht am momentanen Mainstream ist. Und dann in der Folge die Zukunft mit mehr Eigenverantwortung zu gestalten. Ohne Eigenverantwortung gibt es keine gute Zukunft für uns. Also wie schaffen wir es, den Mainsream von zu einfachem auf etwas richtigeres Denken und Handeln zu bringen? Wie schaffen wir andere Mehrheiten?

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